Horizon Zero Dawn im Test: Zurück in die Techno-Steinzeit

Das Jahr 2017 scheint noch recht jung und doch scheint es, als ob zwei Hochkaräter schon jetzt im März um die Position des Games of the Year buhlen. Während gerade die Zelda-Serie mit Breath of the Wild Nintendos neueste Konsolengeneration namens Switch gebührend einläutet, versucht ein Horizon Zero Dawn auf der PS4 mit traumhaft schöner, surrealer Welt das Open-World-Genre neu zu definieren und mit spielerischen Innovationen und Akzenten zu glänzen. Ob die Maschinenjagd in der postapokalyptischen Steinzeit wirklich die durch die Trailer und Ankündigungen geschürten Hoffnungen erfüllt, wird dieses Review zeigen.

Auf Metall-Jagd

Die Menschheit hat sich und den Planeten vernichtet – mal wieder. Eine geheimnisumwitterte Katastrophe hat dazu geführt, dass wir wieder bei null anfangen, sprich zurück in die Steinzeit als Jäger und Sammler; alles auf Anfang, na ja nicht ganz. Obwohl die Natur sich des Planeten wieder angenommen hat und die Menschen sich in Stammesverhältnissen arrangiert haben, ist das Hoch der technisierten Welt nicht vollends verschwunden. Äußerst clevere Maschinenwesen streunen durch die Welt, gelten als Anzeichen dafür, von welch technologisch hohen Standpunkt die Menschheit abgefallen ist und sind quasi mit den neuen Herrschern von Planet Erde gleichzusetzen. Diese Maschinen, die Tieren sehr ähneln, sind Dreh- und Angelpunkt des ganzen Spiels. Sie tragen nicht nur zur einzigartigen Atmosphäre und dem Ambiente des Games bei, sondern sind in spielrelevante Episoden eingebunden, und zwar für Aloy. Die junge, rothaarige Frau, die wir durch das Endzeit-Setting steuern dürfen, wird von ihrem Ziehvater Rost aufgezogen, um von ihm die Kunst des Jägerhandwerks zu lernen, ohne dessen Meistern jeder Mensch schwerlich überlebensfähig ist. Denn die Maschinenwesen, welche die Spielwelt bevölkern, dienen den Stämmen als Ressourcenquelle für Waffen und Rüstungen. Klarerweise herrschen deswegen Revierkämpfe zwischen den Stämmen der Nora, Carja und Banjuk, die in der unwirtlichen Welt überleben wollen. Die Waise Aloy trifft es besonders hart, da sie schon seit ihrer Geburt als Ausgestoßene des Stammes der indianisch angehauchten Nora gilt, die nur dank der Obhut von Rost nicht Futter für die Maschinen geworden ist.

Avatar mit Maschinen

Horizon Zero Dawn strahlt auf der PS4 in einzigartigem Glanz. Die Naturidylle, gemixt mit den Facetten einer ehemals technisierten Welt, ist in dieser Zusammenstellung einzigartig in der Gameswelt. Wer auf der PS4 Pro spielt und mit einem 4K-Monitor verbunden ist, wird sich stundenlang nicht satt sehen können an der Welt. Allein das unterstreicht die dichte Atmosphäre des Spiels, deren Endzeit-Setting in einer archaischen Naturwelt mit dem futuristischen Einfluss der Maschinenwesen aus der Masse der Open-World-Games heraussticht. Dabei wird es auch niemals langweilig, da es ständig etwas zu entdecken gibt. Das Naturparadies verbirgt gerade im Erdinneren so manches Geheimnis, die Zeugnis der vergangenen technisierten Welt darstellen und Hinweise darüber geben, was einmal gewesen ist und wie die Menschheit ihren Untergang herbei geschworen hat. Diese Hintergründe zu lüften, nach Aloys rätselhafter Vergangenheit sowie dem Verbleib ihrer Mutter zu suchen und das wahre Wesen der Maschinen zu ergründen, diese Handlungsfäden bilden ein Hauptaspekt des Spiels.

Die Welt und ihre Bewohner, aber insbesondere das tragende Thema der Jäger- und Sammler-Kultur haben bei mir Erinnerungen an James Camerons Film Avatar aufkommen lassen. In dem liebevoll inszenierten Science-Fiction-Film erleben die Zuschauer, wie das Volk der Na’vi als urzeitliches Stammesvolk um die Bewahrung ihrer natürlichen Welt kämpft. In puncto postapokalyptische Welt im technisierten Setting ist mir auch Cloud Atlas in den Sinn gekommen. In einer der vielen Handlungsstränge des Films kann man ebenso eine urzeitliche Menschheit erleben, die eine neue Religion erschaffen hat und sich vor den Untaten ihrer ungläubigen (hochtechnisierten) Vorfahren fürchtet. In spielerischer Hinsicht fällt einem beim Schleichen von Aloy durch die prähistorische Welt schnell Far Cry Primal ein. Doch während jenes Spiel von Ubisoft im fortgeschrittenen Spielverlauf mehr und mehr als schöne Kulisse verkommt, punktet Horizon Zero Dawn mit intensiver Storyentwicklung und einem starken Hauptcharakter. Obwohl das Spiel damit Bezüge zu großen Titeln des Endzeit-Genres hat, lässt es sich nur von diesen inspirieren. Es erzeugt eine grundlegend eigene Stimmung, insbesondere illustriert durch die liebevoll gestaltete Werdegangs-Story von Aloy unter der Führung von Rost, die mit erstklassig inszenierten Zwischensequenzen vorangetrieben wird. Gerade dieses Charakter Duo aus Vater und Tochter von Rost und Aloy erinnert zu stark an Joel und Ellie aus The Last of Us, als das es einem nicht sofort auffallen würde. Doch schafft es Horizon Zero Dawn in der Hinsicht nicht eine schlechte Kopie des starken Gespanns aus dem Spiel von Naughty Dog zu sein, das kurioserweise ebenso in einem Endzeit-Setting stattfindet.

Der Horizont einer weiten Welt

Wer erleben möchte, wie man ein Tutorial ganzheitlich im Spielfluss integriert, ohne dass der Spieler auf die Nase gebunden bekommt, dass er ein solches spielt, der kann dies in Horizon Zero Dawn erfahren. Dies haben die Entwickler Guerilla Games, die bisher durch ihre Killzone-Reihe auf sich aufmerksam gemacht haben, meisterlich umgesetzt. Rost bringt der kleinen Aloy von Kindesbeinen an bei, wie man auf die Pirsch geht und das Jagdhandwerk beherrscht, darunter mit Pfeil und Bogen umgeht und sich mit Heilpflanzen wieder aufpäppelt. Zudem findet Aloy eine Art Headset unter dem Namen „Fokus“, welches die junge Jägerin im Verlauf des Spiels bei Lösen von Aufgaben unterstützt. Zunächst sieht alles gut für Aloy aus, darf sie doch an ihrem Status als Ausgestoßene arbeiten und Teil des Nora-Stammes werden, insofern sie eine rituelle “Erprobung” besteht. Allerdings wendet sich ihr Schicksal aufgrund von unvorhergesehenen Ereignissen, die dazu führen, dass Aloy eine Kundschaftermission als “Sucher” antritt, um herauszufinden, was es mit der neuen Dominanz der Maschinenwesen auf sich hat. Den Entwicklern gelingt es dabei vortrefflich, den Plot in der Weite der Open-World derart einzukleiden, dass eine Balance aus Story und Welt entsteht und man sich nie verloren fühlt – außer man will es. Denn die Open-World ist ein Herzstück des Spiels, die nicht nur mit Grafik und großen Weiten glänzt, sondern durch vielerlei Nebenmissionen, versteckten Klettereinlagen und Rätseln die Welt lebendig werden lässt. Und auch am Drumherum ist einiges geboten, was die offene Welt um weitere Spielstunden erweitert. Sei es die Karte komplett erkunden, Banditenlager zerstören, im Inneren der Erde nach geheimen Maschinenbrutstätten suchen oder Artefakte sammeln, Horizon Zero Dawn klotzt mit vielen Dreingaben zur eigentlichen Hauptmission.

Wie oft sind es gerade die lebendigen Details der einzelnen Settings, die das Spiel abrunden und zu etwas Besonderem machen. Zuletzt hat Red Dead Redemption mit seiner Tierwelt bewiesen, wie sehr dieser Aspekt zur Atmosphäre eines Open-World-Titels beitragen kann. Auch in Horizon Zero Dawn erleben wir bei unseren Abenteuern allerlei Getier, wir begegnen Fischen, Waschbären, Truthähnen, Füchsen, Ebern und vielen mehr. Die Tierarten variieren je nach Gebiet, seien es Wüstengebiete, Dschungel oder schneebedeckte Gebirge, überall gibt es etwas zu erkunden und zu erleben. Herausstechen tun dabei natürlich die für das Game tragenden Geschöpfe der Maschinenwesen, deren individuelles Wesen wir als Spieler erkunden. So gibt es 25 Arten, von denen alle verschiedenen realen Tierarten nachempfunden sind. Zum Beispiel begegnen wir schnellen, defensiven Läufern wie Hirschen oder aggressiveren Zeitgenossen wie Säbelzahntiger, die ein Äquivalent zu Raubtieren darstellen. Spannendes Element des Spiels ist es, jedes neue Wesen mittels der Fokus-Fähigkeit auf seine Schwachpunkte zu erkunden, beispielsweise bestimmte Bauteile am Körper, die bei einem Treffer zu Lähmungen führen oder die Maschine schocken. Und wenn man einmal nichts zu tun hat, ist man damit beschäftigt, einfach zuzuschauen und die Welt auf sich wirken zu lassen. Horizon Zero Dawn ist einer der schönsten PS4 Titel aller Zeiten, die Kulisse und die Charaktere, ob NPCs oder Gegner klotzen mit wunderschönen Einzelheiten, die Lichteffekte hinterlassen auf glänzenden Oberflächen ein atemberaubendes Spiel und jede Landschaft, ob Dschungel, Wüste oder Wintergebiet weist neue Eindrücke auf. Man ist geradezu überrascht von Guerilla Games, die mit den Killzone-Titeln in den vergangenen Jahren, was Grafik angeht, eher shooter-typische Kost serviert haben. Einziges Manko bei der schönen, neuen Welt: Die Ladezeiten sind schon ein kleines Ärgernis, aber sofort wieder vergessen, sobald man diese endlich betreten hat. Aber wäre jede Welt eintönig, würde sie nicht durch entsprechende Sounduntermalung zum Leben erweckt. Auch hier gibt es nichts zu beanstanden, jede Umgebung fühlt sich durch andere Soundgeräusche anders an, jede Maschine gibt ihre spezifische Tonabfolge von sich und auch die deutsche Synchronisation ist ordentlich. Untermalt wird das Ganze von einem Ohrenschmaus an Soundtrack, dessen Titelmelodie sich einem schnell ins Gehirn einbrennt.

Open-World erhält mit Horizon Zero Dawn somit ein neues Level, an dem sich zukünftige Spiele messen müssen. Umso erstaunlicher, dass Guerilla Games es dabei schafft, die Story und Charakterentwicklung von Aloy nicht aus den Augen zu verlieren und diese wirklich tragender Bestandteil des Games sind. Während man bei anderen Open-World-Titeln wie Skyrim recht schnell der Hauptmission den Rücken kehrt und sich in den Weiten der Welt dahintreiben lässt, haben wir bei Horizon Zero Dawn eine stringente Plotlinie, der wir auch gerne folgen mögen. Die mit viel Liebe im Detail gestaltete Charakterentwicklung von Aloy, die sich über rund 30 Spielstunden hinweg derart aufbaut, dass wir ihre Werdereise von einem schüchternen Mädchen zu einer taffen Kriegerin erleben, ist und bleibt treibender Spannungsfaktor des Spiels.

Ein prähistorischer Garrett

Natürlich ist bei Weitem nicht alles so rosig und schön wie die Welt von Horizon Zero Dawn selbst. Passend zur prähistorischen Welt und unserem mickrigen Dasein als kleine Jägerin sind wir in einem ständigen Überlebenskampf verstrickt, wobei unsere Hauptkontrahenten neben Menschen natürlich die Maschinenwesen bilden, die wir mit allerlei Mitteln bekämpfen können. Schnell gewöhnt man sich daran, zu Beginn des Kampfes mit Fokus die Schwachstellen der Gegner abzusuchen, ehe man als fälschlicher Steinzeit-Rambo wild Pfeile verschießend sogleich ins Gras beißen muss. Haudrauf-Taktik sollte man sowieso tunlichst vermeiden. Horizon Zero Dawn verlangt auch im weiteren Spielverlauf ein eher raffiniertes Vorgehen, was Kampfgeschehen angeht. Passend zur Rolle von Aloy als Jägerin sind langsames Vorgehen und Anpirschen, Fallen legen sowie gezieltes Schießen mit der richtigen Munition (beispielsweise Eis oder Feuer) das richtige Mittel, um gegen die Metall-Giganten zu bestehen. Falls man dann doch entdeckt wird, ist es mit simplem Draufschießen auch nicht getan, nur gute Reflexe beim Ausweichen und gezieltes Schießen führen zum Ziel, da einem die viel größeren Maschinenwesen sonst einfach umrennen. Letzlich wird man das ein oder andere Mal auch die Flucht ergreifen müssen. Eine interessante Komponente des Spiels tut sich nach einigen Spielstunden auf, wenn es möglich ist, einzelne Maschinen mittels eines Energiestabs gefügig zu machen. Auf diese Weise erhält man zum Teil mächtige Reittiere, die einem im Kampf gegen Menschen und andere Maschinenwesen unterstützen. Das eröffnet ganz neue taktische Möglichkeiten und eine ganz andere Erfahrung der Spielwelt, da der Moment, mit einem Maschinenwesen durch die Welt zu reiten, mit zu den Höhepunkten des Spiels gehört.

Neben der storytechnischen Entwicklung von Aloy bildet das RPG-System des Spiels zudem die Möglichkeit, durch das Erledigen von Missionen EXP zu sammeln, was wiederum in Fertigkeitspunkte mündet. In drei Skillbäumen, Krieger, Jäger und Sammler, sind wir in der Lage, diese dann zu verteilen und uns dementsprechend zu spezialisieren. Dabei ist dies alles nicht nur nette Dreingabe, je nachdem welchen Skillbaum wir anvisieren, verändert sich das Spielerlebnis, da die insgesamt 36 Fertigkeiten zum Teil neue Taktiken und Herangehensweisen im Kampf hervorrufen. Neben dem Aufleveln der Heldin ist das Crafting ein weiteres Element, das Horizon Zero Dawn als Rollenspiel aufleuchten lässt. Gerade ersteres, das Erschaffen neuer Gegenstände aus den Hinterlassenschaften von erledigten Maschinenwesen (Metallscherben) sowie den Materialien, die man in der Natur findet, erfährt im späteren Spielverlauf massive Bedeutung, da sich daraus neben Munition und Tränken, zusätzliche Taschen und Fallen allerlei andere Utensilien gestalten lassen, die einem den Heldenalltag erleichtern. Obendrein dienen die Metallscherben als Währung bei den Händlern, Sammlerfreunde werden mit dem Spielelement demnach ihre Freude haben. Mit den Händlern können wir, sowie mit anderen NPCs im Spiel, auch Gespräche führen, was ein weiterer RPG-Aspekt von Horizon Zero Dawn bedeutet. So können wir gezielt nach Infos fragen und auch zwischen mehreren Antwortoptionen auswählen, die eine entsprechende Wirkung bei unseren Gegenüber auslösen, aber auch tragend für das Spiel sind, da sie die Story vorantreiben und die Welt abrunden. Dies ist gut umgesetzt, doch hätte man vor allem in den Nebenmissionen mit den Dialogpartnern etwas mehr machen können. Manche Missionen gestalten sich leider als RPG-Standardkost im Stile von bringe A nach B.

Das Waffenarsenal, das sich Aloy im Kampf bietet, bleibt auch im fortgeschrittenen Spiel recht überschaubar, neben Bogen finden wir beispielsweise noch eine Schleuder, eine Rassler genannte Schrotflinte sowie Stolperfallen. Zwar lässt sich alles, sowohl Aloys Outfits als auch die Waffen mit entsprechenden Updates, verbessern, doch bleibt das Game seiner Linie treu, dass unsere Protagonistin Jägerin ist, weswegen die Auswahl sich dementsprechend fügt. Wer sich darauf einstellt, mit Raketenwerfern und großen Wummen auf die Metall-Ungeheuer zu ballern, der wird enttäuscht sein. Aloy ist kein Duke Nukem, sondern von der schleichenden Zunft im Stile eines Garretts aus der Thief-Reihe. Stets ist es bei der Überzahl an Gegnern das Beste, sich erst einmal schleichend im hohen Gras einen Überblick zu verschaffen, Feinde abseits der Masse herauszulocken und einzeln zu erledigen.

Fazit

Die Erwartungen und Hoffnungen waren hoch, die Überraschung, dass sich alles bewahrheitet hat, umso größer: Horizon Zero Dawn ist das versprochene Open-World-Meisterwerk, dass sich die Spieler gewünscht haben. Die Palette der Must-Have PS4-Titel ist um einen Platzhirsch erweitert worden. Zwar bietet das Open-World-Adventure im prähistorisch-futuristischem Setting rund 30 Stunden Spielspaß, doch das gilt nur für die ganz Eiligen, ja man ist versucht zu sagen, Gamer-Banausen. Denn das Kunstwerk Horizon Zero Dawn ist ein Game zum Verlieben, das einem abverlangt, viele weitere Spielstunden zu investieren. Sei es die Story um die Figur Aloy, die riesige Welt mit ihren Lebewesen und herrlichen Details, mit den Dutzenden von Aufgaben und Entdeckungen, das Kampfsystem, das Geheimnis um die Maschinenwesen, das RPG-System – alles baut sich harmonisch zu einem Ganzen auf, sodass es zu den wenigen Spielen dieser Welt gehört, die einen nicht unberührt lassen und man wie in ein schönes zu Hause immer wieder kehren möchte. Doch darf man sich nicht von der Schönheit blenden lassen, auch Horizon Zero Dawn hat seine (klitzekleinen) Mankos. Die Ladezeiten sind zum Teil enorm und bei den Nebenmissionen hätte man sich zum Teil mehr Kreativität gewünscht. Aber daran kann man ja an einem Folgetitel arbeiten, der schon jetzt auf der Wunschliste steht. Letztlich ist Horizon Zero Dawn bereits jetzt eines der Games 2017.

Horizon Zero Dawn
Grafik/Präsentation
92
Story/Atmosphäre
91
Gameplay
89
Spielspaß
92
Leserwertung2 Bewertungen
97
91