Forza Horizon 4 im Test – Vier gewinnt

Neulich war ich auf Kos im Urlaub und ziemlich viel mit Auto und Buggy unterwegs. Von der Küstenstraße über enge Serpentinen bis zu ruppigen Schotterpisten, teilweise direkt am Abgrund, ab und an sogar mit ein paar Tröpfchen Gischt im Gesicht und fast immer mit genialer Aussicht. Da stellt man sich natürlich schon die Frage, ob ein Rennspiel wirklich noch viel Spaß macht, erst recht ein vierter Teil. Und dann ausgerechnet in England. Immerhin haben sich Playground Games diese deutlich weniger sonnige Insel als neue Location ausgesucht. Ob das wirklich Spaß macht?

Little Britain mal vier

Auf den ersten Blick könnte man Großbritannien für einen denkbar langweiligen Ort für ein neues Forza halten. Nach Colorado, der französisch-italienischen Gegend rund um Nizza und natürlich Australien könnte man die Insel für denkbar langweilig halten. Noch dazu ausgerechnet den Grenzbereich zwischen England und Schottland. In der Praxis sieht das aber ganz anders aus. Unser Horizon Mikrokosmos bietet hügelige Wald und Wiesenlandschaft, Sandstrände, Seen und schroffe schottische Berge. Wasserfall, Edinburgh Castle oder das aus den Harry Potter Filmen bekannte Glennfinnan Viadukt. Sehenswürdigkeiten findet man also reichlich. Auch an Abwechslung der Strecken mangelt es ganz sicher nicht, von Beschleunigungsstrecken über Straßenrennen und Schotterpisten zu knallharten Offroadrennen ist wieder alles dabei. Neu sind Driftrennen als eigene Kategorie. Natürlich finden sich auch Gefahrenschilder, Driftzonen, Blitzer und so weiter wieder. Vor allem aber bietet Forza Horizon 4 seine vier von Grund auf unterschiedlichen Jahreszeiten. Einen ersten Vorgeschmack in der Richtung gab es bei Forza Horizon 3 immerhin schon mit Blizzard Mountain. Dieses Mal gibt es aber kein extra Areal, die Jahreszeiten wechseln. Wenn auch mit harten Übergängen. Dabei fahren sich alle Saisons auch ernsthaft unterschiedlich, wobei gerade der Winter natürlich besonders herausragt. Obendrein bietet sich allerdings auch reichlich optische Abwechslung, nicht zuletzt weil Forza Horizon 4 sehr idealisierte Jahreszeiten bietet. Blühender Frühling, sattgrüner Hochsommer, goldener Herbst und verschneiter Winter entsprechen vielleicht nicht ganz der Realität, sehen aber verdammt schick aus. Obendrein gibt es z.B. auch Bereiche, die nur im Winter erreichbar sind, weil die Seen dann zufrieren.

Da die Jahreszeiten nach dem Tutorialabschnitt nur noch alle paar Tage wechseln ist es natürlich ungemein praktisch, dass man per Blaupause immer selbst einstellen kann, ob man zur aktuellen oder einer eigens gewählten Jahreszeit unterwegs ist. Denn so lässt sich einiges mehr an Abwechslung ins Spiel bringen. Auch gar nicht so unbedeutend, echte Hindernisse sind deutlich seltener als früher. Große Bäume und Hauswände mögen uns noch ebenso aufhalten wie Felsen oder Banden, aber kleinere Bäume lassen sich ebenso umsemmeln wie englische Steinmäuerchen, Zäune und Sträucher. Schafe und Rehe flüchten immer brav vor uns, statt die Windschutzscheibe rot zu färben.

Buckle up and sit tight

Auf den ersten Blick gibt sich Forza Horizon 4 wie gehabt. Die Schwierigkeit lässt sich wieder  beliebig anpassen, etwa per Arcade- oder Simulations-Steuerung, Traktionskontrolle, Ideallinie, KI-Schwierigkeit und so weiter. Gerade wenn man nicht gegen menschliche Mitstreiter fährt sind die Drivatare auch nach wie vor eine große Stärke des Spiels. Nach wie vor gehören sie trotz gelegentlicher Ausreißer zu den glaubwürdigsten KI-Fahrern, was gerade nach Titeln wie The Crew 2 mal wieder besonders auffällt. Vielleicht noch einen Ticken mehr als bisher steuern sich alle Fahrzeuge glaubwürdig, individuell und reagieren entsprechend auf Änderungen im Setup. Kein anderes Rennspiel schafft momentan im gleichen Maße die Brücke zwischen arcadig und realistisch zu schlagen wie Horizon 4. Obendrein ist die Steuerung per Controller gewohnt perfekt. Außerhalb von Meisterschaften lässt sich jedes Rennen entweder direkt oder per Blaupause mit dem gerade aktuellen Fahrzeug fahren, allerdings kann man mittlerweile auch jederzeit kostenlos das Auto wechseln.

Tuner kommen auch wieder voll auf ihre Kosten, bzw. noch mehr als bisher. Mittlerweile gibt es nicht nur zusätzliche Breitbau Bodykits, etwa für den Skyline R32 oder den Golf 2, einige Fahrzeuge bieten auch die Möglichkeit, die Spurbreite zu erhöhen, was spürbaren Einfluss auf die Straßenlage hat, aber natürlich auch optische Unterschiede macht. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, ein spezielles Driftfahrwerk zu verbauen, das mit höheren Einschlagwinkeln krassere Drifts erlaubt, aber natürlich nicht für normale Rennen geeignet ist. Beschleunigungsrennen über die Viertelmeile sind dagegen eigentlich erst mit Handschaltung und Kupplung so richtig fordernd, Automatik, Allradumbau und Traktionskontrolle lassen uns andernfalls meistens leichtes Spiel. Immerhin gibt es hier auch verschiedene Austragungsorte, was für optische Abwechslung sorgt.

Leider arg knapp gehalten sind die gerade mal fünf Schaurennen, von denen wir eines bereits im Intro fahren und später dann wiederholen. Das klingt aber schlimmer als es ist. Zwar macht es wirklich Spaß, gegen Luftkissenboot oder Avro Vulcan Bomber anzutreten, auch wenn man bei letzterem den eigenen Motor nicht mehr hört. Aber Hilfe naht in Form der Horizon Stories. So dürfen wir unter anderem als Stuntfahrer ran. Die einzelnen Stories mögen zwar nicht so viele eindrucksvolle Momente wie die Schaurennen bieten, machen aber reichlich Spaß. Natürlich merkt man den verstärkten Onlinefokus auch deutlich. Zwar kann man Forza Horizon 4 immer noch wie gehabt solo und auch komplett offline spielen. Allerdings kann man auch mit 72 anderen in Horizon Life unterwegs sein, normale Rennen absolvieren oder Veranstaltungen wie Infection und sich sogar in der Gruppe auf die Suche nach Scheunenfunden machen. Eher kooperativ geht es dagegen im Team Abenteuer zu, in dem man maximal in Sechsergruppen unterwegs ist. Das erinnert sichtlich ans kooperative Spielen bei Teil drei. Schließlich und endlich wird mit dem Route Creator eine der vielleicht spannendsten Neuerungen Ende Oktober per Update nachgereicht, hier werden wir eigene Strecken nämlich frei in der Spielwelt basteln dürfen.

Von Hauskauf bis Klimmbimm

Keinen Bausparvertrag abgeschlossen? Das ist schlecht. Denn in Forza Horizon 4 dürfen wir reichlich Buden kaufen. Und die Auswahl ist ordentlich, reicht sie doch vom kleinen Cottage bis Edinburgh Castle. Das Problem dabei, einige der Häuser sind verflucht teuer. Gerade die Burgen erreichen Beträge von 10 bis 15 Millionen, während ein kleines Häuschen vielleicht kaum über die 150.000 kommt. Dabei stellen die Häuser unsere Stützpunkte abseits des Festivals dar. Schnellreisen zu gekauften Häusern sind generell kostenlos möglich, Autos kaufen, tunen etc. darf man hier ebenfalls, dafür fehlen allerdings die unterschiedlichen Festivalgelände, wie es sie in Australien gab. Entsprechend unpraktisch ist es, dass einzelne Häuser so extrem teuer sind. Obendrein sind Dinge wie Fähigkeitenlieder oder einzelne Scheunenfunde an bestimmte Häuser gebunden. Damit kann eine eigentlich wirklich gute Idee in Einzelpunkten auch zum Ärgernis werden.

Allerdings gibt es eh genug Scheunenfunde, nämlich stolze 15 Stück. Natürlich gibt es auch einige Forza Editions und Autos, die es nur per Spielfortschritt gibt. Trotzdem bleiben über 400 direkt kaufbare Wagen übrig. Auch wenn einzelne Hersteller wie Mitsubishi oder Lexus aktuell fehlen, hier ist für jeden was dabei, vom Rally Monster über Sportwagen Klassiker und Trophy Truck bis zum Hypercar. Es hat sich also nicht wirklich was verändert. Anders ist das mit unseren Avataren. Für die gibt es neuerdings Gerümpel ohne Ende. Gefühlte 20.000 Hosen und Schuhe etwa, komische Accessoires, Siegesposen, Jacken, Brillen… Unmengen an Items, die leider allzu oft per Wheelspin oder Fortschritt in einzelnen Kategorien freigeschaltet werden. Ironischerweise mangelt es gleichzeitig an Avataren. Mitdreißiger und/oder Bartträger? Fehlanzeige. Auch die Hupen haben generell überhand genommen. Immerhin gibt es ab und an auch Super Wheelspins, bei denen man gleich drei Preise ergattern kann und Kategoriefortschritt etwa bei Straßenrennen kann auch einen Lamborghini Huracan oder ähnliches freischalten. Trotzdem, in dem Punkt hätte ich mir weniger Gerümpel und dafür vielleicht auch etwas mehr echte Diversifizierung gewünscht. Auch dass wir unseren Fertigkeiten Baum für jedes Auto einzeln freispielen müssen ist eine ziemlich unnötige Entscheidung.

Schönes Schottland

Akustisch wie optisch ist und bleibt Forza Horizon auch mit dem neuesten Teil eine Wucht. Dabei sieht das Spiel auf der Xbox One X tatsächlich schöner aus als auf der Standard Xbox, die für den Test genutzt wurde. Hier gibt es nicht ganz so detaillierte Pflanzen, weniger Zuschauer, nicht so hoch auflösende Texturen und schon gar keinen 60fps Modus. Und trotzdem, es ist ein verdammt schickes Spiel. Unsere Autos stauben ein, werden nass oder matschig, Schnee bleibt daran haften. Blütenmeere wogen sanft im Frühlingswind und rotgoldenes Herbstlaub leuchtet im Sonnenuntergang. Dabei bleibt die Bildrate immer stabil und nur wenige Elemente ploppen mal ins Bild, trotz phänomenaler Weitsicht. Auf der Xbox One X legt selbst der 60fps Modus optisch noch etwas zu und spielt sich natürlich auch etwas flüssiger. Der 4K Qualitätsmodus macht dann aber noch mal einen guten Sprung nach vorne. Gerade Bäume sehen auf der One X einfach besser aus, Objekte ploppen seltener ins Bild oder auf höhere Detailstufen und natürlich profitieren Schatten, Anti Aliasing und so weiter von der Mehrpower. Kurzum, Forza Horizon 4 sieht auf jeder Xbox sehr gut oder besser aus.

Soundseitig bleibt trotz neuer Lieder alles beim Alten. Klar wäre da erstmal die erstklassige Soundkulisse. Auch ohne Radio macht das Spiel akustisch Laune, dank erstklassiger Motorsounds und extrem stimmiger Fahrgeräusche. Aber natürlich sind auch unsere Radiosender samt DJ’s wieder am Start. Einzig der Timeless FM Moderator kommt mir etwas weniger bissig als in Australien vor. Die Musikauswahl bietet unterm Strich auch alles, was man erwarten kann, ob Pop, Rock, Klassik oder Drum’n Bass, irgendetwas sollte hier eigentlich jeder finden.

Gereifte Leistung

Ich hab tatsächlich erst im August Forza Horizon abgeschlossen. Das lag zugegeben auch daran, dass ich es erst vor zwei Jahren bei Games with Gold runtergeladen habe und dann viel mehr Zeit mit Teil drei verbracht habe. Warum ich das erwähne? Selbst das erste Horizon wischt mit fast allen anderen aktuellen Open World und Arcade Rennspielen den Boden auf. Ausgenommen die eigenen Nachfolger. Man merkt einfach, wie deutlich die Reihe in den vergangenen Jahren gereift ist. Gleichzeitig hat sich der Fokus mehr in Richtung Online verschoben, die volle Packung bietet Forza Horizon 4 letztlich erst im Mehrspieler, wobei der Wechsel jederzeit fließend möglich ist. Allerdings, mit der nunmehr dritten Fortsetzung bietet auch die Horizon Reihe nur mehr vom gleichen, wenn auch auf einem extrem hohen Qualitätsniveau. Und seien wir mal ehrlich, das trifft auf praktisch jede Rennspielreihe zu.

Fazit

Es könnte so einfach sein. Best racing game out there, period. ganz so einfach ist es aber nicht. Forza Horizon 4 ist verdammt gut. Es ist allerdings auch wieder mehr vom Gleichen und mit teuren Häusern und viel Avatar-Gerümpel bietet es durchaus Nervpunkte. Schließlich und endlich ist die Online Komponente nun endgültig so wichtig geworden, dass Solisten einen Gutteil des Spiels verpassen werden, auch wenn es trotzdem reichlich zu tun gibt. Aber mal ehrlich, am Ende ist Forza Horizon 4 trotzdem das beste Rennspiel. Punkt.

Forza Horizon 4
Grafik/Präsentation
93
Story/Atmosphäre
90
Gameplay
92
Multiplayer
93
Spielspaß
92
Leserwertung8 Bewertungen
53
Überraschend schöne Location
Vier Jahreszeiten
Drift- und Dragrennen
Fließender Übergang zwischen Mehrspieler und Singleplayer
Technisch top
Abwechslungsreicher Fuhrpark
Unnötiges Avatargedöns´bei Wheelspins
Keine Offline Meisterschaften
Teure Häuser
92