Kolumne: Entschleunigung als Gamer – Alles easy oder was?

Mir wird alles zu viel! Ein Spiel erscheint nach dem nächsten, besonders im bevorstehenden Herbst wird es wieder übel. Ist das eine Meisterwerk veröffentlicht, warten schon wieder zwei weitere Titel auf angemessene Aufmerksamkeit und dann sind da ja noch die ganzen Indie-Games, wovon es gefühlt täglich 30 neue gibt. Als Gamer fühle ich mich zunehmend gehetzt, aufgrund der Fülle an neuer Software, auf die ich eigentlich auch noch wirklich Bock habe, aber keine Zeit diese angemessen zu spielen. Übrig bleibt ein Haufen von Spielen, durch die man entweder gehetzt ist oder die man nicht zu Ende gespielt hat, weil ja schon der nächste Knaller darauf wartet, runtergeladen oder ins Laufwerk gelegt zu werden. Besonders seitdem ich Anfang letzten Jahres Vater geworden bin und ohnehin weniger Zeit habe, Videospiele zu spielen, hat sich der Druck als auch ‚Pile of Shame’ in die Höhe geschraubt.

Entschleunigung als Gamer?

In anderen Lebenslagen, wo sich Menschen durch die Gesellschaft, Job und Erwartungen anderer gehetzt fühlen, wird gerne das Mittel Entschleunigung gewählt. Das bedeutet, dass man Dinge bewusst langsamer und weniger macht, um sich von Ballast zu befreien und den Fokus auf die wirklich wichtigen Dinge zu lenken.

Kann das auch als Gamer funktionieren? Fakt ist, es ist unmöglich all die guten Games oder solche, die es sein wollen, mit der gebührenden Aufmerksamkeit zu spielen, welche sie eigentlich auch verdient haben. Immerhin haben nicht wenige Personen an den Spielen gearbeitet, die natürlich auch wollen, dass ihr Werk gewürdigt wird. Zur schieren Anzahl an neuen Spielen kommt auch noch, dass Videospiele tendenziell immer umfangreicher werden und eine lange Spielzeit als Verkaufsargument gilt, was logischerweise wieder die Zeit schmälert, die man mit anderen Spielen verbringen könnte: ein Teufelskreis. Wenn man wie ich die Xbox One, PlayStation 4 und Nintendo Switch besitzt, wird es noch komplizierter. Was machen, wenn in einer Woche Horizon Zero Dawn und The Legend of Zelda: Breath of the Wild erscheinen, wie es letztes Jahr der Fall war? Legt man ein Spiel auf den ‚Pile of Shame’, um es später zu zocken, ist es schon wieder in Vergessenheit geraten, weil dieser Haufen mit ungespielten Spielen in der Zwischenzeit wieder um fünf weitere Spiele angewachsen ist.

Doch wieso nicht einfach mal ein Spiel bewusster spielen. Sich wirklich Zeit dafür nehmen und all die schönen Ecken erkunden und entdecken, die man vielleicht bei seinem gefühlten Speedrun gar nicht zu Gesicht bekommen hätte? Während dieser Zeit einfach alles drum herum vergessen: Alle Spiele, alle Konsolen, alle „Ich bin viel besser“-Vergleiche unter Freunden oder mit Fremden im Internet bei Seite schieben. Videospiele können so schön sein, wenn man sich wirklich die Zeit nimmt diese zu genießen. Man muss nicht alles gespielt haben, um ein wirklicher Gamer zu sein. Auch mal Spiele liegen lassen, um ein anderes mehr zu würdigen. Auf Facebook würde es vermutlich heißen, „Ein wahrer Gamer muss Spiel XY gespielt haben“ – Ist ein wahrer Gamer nicht eher jemand, der Spiele zu würdigen weiß und nicht von Spiel zu Spiel hetzt?

Ich habe das zuletzt mit Life is Strange: Before the Storm und Wolfenstein 2: The New Colossus aktiv versucht. Das eine ein Spiel, welches ich aufgrund seines wirklich grandiosen und berührenden Vorgängers genießen wollte und irgendwie auch musste. Das andere ein ziemlich abgedrehter Shooter mit vielen witzigen Anspielungen, wenn man sie denn entdeckt. Erschwerend kommt hier natürlich noch hinzu, dass es sich bei Life is Strange um ein storygetriebenes Spiel handelt. Wenn man durch so eine Art Spiel hetzt, nur um es gespielt zu haben, sollte man es ganz bleiben lassen. Unterm Strich ist das kleine Experiment aber mehr als geglückt. Seit langem konnte ich ein Spiel mal wieder genießen und richtig in die Welt eintauchen, ohne das nächste Spiel im Hinterkopf zu haben, so dass ich beispielsweise die Geschichte um Chloe Price und Rachel Amber noch intensiver erleben durfte.

Alles easy oder was?

Eine andere Variante ein Spiel mehr genießen zu können, ist es auf einer leichteren Schwierigkeitsstufe zu spielen. Ja, am besten auch noch auf leicht. Was? Auf leicht? Nur ein wahrer Gamer spielt es auf Hardcore, Blutrünstig oder wie auch immer die schwierigste Stufe gerade heißt.

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Das funktioniert natürlich nicht bei jedem Spiel, weil oftmals eine gewisse Hürde dazugehört. Doom wäre ein Beispiel, welches sich auf leicht wie eine ziemlich belanglose und stumpfe Ballerei anfühlt, da eine Story quasi nicht existent ist oder so unwichtig, dass man sie getrost ignorieren kann. Aber Spiele wie beispielsweise Gears of War, Halo, Horizon Zero Dawn oder auch das zuletzt erschienene God of War machen auch auf niedrigerer Schwierigkeitsstufe Spaß, da sie im Hintergrund eine starke Story haben. Sony hat sogar bei Horizon Zero Dawn und God of War auf die etwas abwertende Bezeichnung „leicht“ verzichtet und nennen den niedrigsten Schwierigkeitsgrad einfach nur „Story“. Auf psychologischer Ebene ein kluger Schachzug, weil sich der Gamer dadurch nicht wie ein Spieler zweiter Klasse vorkommen muss und an seinen Fähigkeiten zweifelt. Zumindest wenn man dem gemeinen Volk auf Facebook glauben darf. Ein Gegenbeispiel dabei ist Wolfenstein 2, welches einem eher vermittelt, dass die leichteren Schwierigkeitsgrade eher was für Babys seien.

Ist das Skill-Argument bei den meisten Spielern doch ein großer Gradmesser, ob man überhaupt würdig ist, ein Spiel zu spielen? Je schwerer die Gegner, desto besser der Gamer? Aber wem nutzt es, wenn man stattdessen frustriert ist und dadurch die gute Story in Vergessenheit gerät oder das Spiel gar vorzeitig beendet? Unterm Strich kann man also viel mehr von einem Spiel haben, wenn man es nicht als Wettkampf sieht, sondern eher den Fokus auf das Spiel selbst und seine vielen Facetten der Story legt. Glaubt mir, ab einem gewissen Alter ist man es leid, diesen Wettkampf mitzugehen.

Jeder muss es selber wissen

Ein Spiel zu genießen kann ein großer Gewinn sein

Aber unterm Strich muss es natürlich jeder selber wissen, auf welcher Art und in welchen Umfang er seine Spiele zockt. Aufgrund meiner Tätigkeit für GamingNerd ist es natürlich schwierig jedes Spiel so zu spielen, wie ich es bei Life is Strange: Before the Storm und Wolfenstein 2: The New Colossus getan habe. Aber ich habe gemerkt, wie befreiend und bereichernd es sein kann, sich auf ein Spiel wirklich zu konzentrieren. Es kommen ohnehin so viele Spiele auf den Markt, dass man gar nicht alles spielen kann und immer wieder sind Spiele dann auch gar nicht so gut, wie man vorher dachte. Zumindest die Rosinen in vollen Zügen zu genießen, hat sich für mich als guter Mittelweg herausgestellt. Es bleibt nicht das Gefühl ein Spiel zwar durchgespielt, aber nicht richtig gespielt zu haben. Wenn es euch ähnlich geht, dann probiert es mal aus, vielleicht lohnt es sich auch für euch.