Life is Strange: Before the Storm im Test

Anfang 2016 überraschte mich ein Titel, auf den ich vorher mehr oder weniger nicht vorbereitet war. Ich wusste vor dem Spielen weder zur Story noch zum eigentlichen Spielablauf etwas, aber alle meine PC-Kumpels schwärmten in den höchsten Tönen. Völlig unerwartet schaffte es die sympathische und authentische Geschichte rund um die Fotografie-Studentin Max und ihrer rebellischen Freundin Chloe mich von der ersten Minute an in ihren Bann zu ziehen. Umso erfreuter war ich natürlich, als Anfang Juni erste Gerüchte über ein neues Abenteuer in Arcadia Bay auftaucht. Life is Strange: Before the Storm wurde dann schließlich als Prequel am 12. Juni auf der E3-Pressekonferenz von Microsofts Xbox One bestätigt. Entwickelt wurde der Titel dieses Mal jedoch nicht vom französischen Team Dontnod Entertainment, sondern vom US-Entwickler Deck Nine Games mit Sitz in Colorado. Drei Episoden sollen die Vorgeschichte zwischen Chloe Price und Rachel Amber erläutern, die das Grundgerüst der Story rund um den ersten Teil bildet. Nun ist die erste Episode erhältlich und ich frage mich, ob das Spiel sich auch ohne Max mit dem grandiosen Vorgänger messen kann.

Vor dem Sturm – Ohne Schmetterlinge

Wie bereits im ersten Teil von Life is Strange wirft euch das Prequel recht unvermindert ins kalte Wasser. Ihr schlüpft in einer kalten Nacht in die Haut der jungen Chloe Price, einer Außenseiterin, die gerade dabei ist, mächtig auf die schiefe Bahn zu geraten und sich gegen ihre Mutter samt verhassten Stiefvater zu stellen. Die Beweggründe der sechzehnjährigen Teenagerin für ihren nächtlichen Ausflug sind einem Rockkonzert der Band Firewalk geschuldet. Die Umgebung ist jedoch für ein junges Mädchen alles andere als geeignet. Der Gig steigt in einer verlassenen Sägemühle und die Gästeliste besteht vornehmlich aus Rockern, Bikern und Drogendealern. Doch Chloe scheint durch ihre toughe Art und ihre “Ist mir egal”-Mentalität irgendwie in dieses Metier zu passen und erlebt eine ereignisreiche Nacht, die sie mit Rachel Amber in Kontakt bringt. Rachel Amber ist das beliebteste Mädchen der Schule, weshalb die Außenseiterin Chloe dieser ganzen Begegnung zunächst mit Skepsis und Unsicherheit gegenübertritt. Während sie verkatert darüber nachdenkt, was Rachel an einem solchen Ort überhaupt zu suchen hatte und weshalb sie sich mit ihr abgegeben hat, holt sie (und auch uns) der langweilige Alltag ein. Frühstück, Smalltalk und dann Schule, es sind genau diese normalen Momente, die die Atmosphäre von Life is Strange irgendwie besonders machen. In der Schule angekommen stellt Chloe überraschend fest, dass sie weiterhin die Aufmerksamkeit von Rachel genießt und die beiden erleben einen aufregenden und merkwürdigen Tag zusammen.

Außergewöhnliche Beziehung

Wer den Erstling kennt, weiß bereits einige Dinge über die Beziehung der Beiden, da euch Chloe während eurer Suche munter die gemeinsamen Erlebnisse erzählt. Zur Erinnerung: Max war zu diesem Zeitpunkt in Seattle und kennt die Freundschaft der Zwei nur aus den Erzählungen. Da Rachel vermisst wird und Chloe auf der Suche nach ihr ist, hat sie die beiden nie zusammen erlebt. Die Geschichte mit Before the Storm jetzt im Nachgang mit zu erleben, fühlt sich fantastisch an. Natürlich darf ich nicht allzu viel von der Geschichte preisgeben, da dieser Titel nun mal einfach fast ausgenommen von eben jener Geschichte lebt. Und hier ist Life is Strange einfach unschlagbar gut. Ihr begleitet Chloe und Rachel auf einer ungewöhnlichen Reise, die eigentlich nur eine Art Tagesausflug darstellt und sich dennoch als etwas ganz Besonderes entpuppt. Diese natürliche Atmosphäre der sich anbahnenden Freundschaft zwischen den beiden völlig unterschiedlichen Mädchen mit ihren Höhen und Tiefen ist dabei beinahe greifbar. Und es ist genau diese Gratwanderung zwischen banalen Dingen und perfekter Erzähl– und Darstellungsweise, die das Spiel und dessen Storytelling so faszinierend macht.

Bisher ohne übernatürliche Elemente

Definitiv war Max’s Fertigkeit der Zeitmanipulation der zweite Star des ersten Teils. Gleich zu Beginn stellt die angehende Fotografin nämlich fest, dass sie die Zeit beinahe nach Belieben zurückdrehen kann. Diese Tatsache erweiterte das sonst eher passive Gameplay auf eine sehr angenehme Art und Weise. So war es beispielsweise den beiden Freundinnen in Gesprächen mit anderen Figuren stets möglich, Unterhaltungen genau so enden zu lassen, wie es ihnen beliebt, um an ihr Ziel zu gelangen. Auch in brenzligen Situationen ließen sich auf diese Weise begangene Fehler kinderleicht ausbügeln. Später im Spiel musstet ihr jedoch auch feststellen, dass zu viele Eingriffe in die Zeitlinien ein wahres Chaos anrichten können, welches teilweise auch schwer wieder zu entwirren war. Nun ist an Chloe dieses Talent jedoch vorbei gegangen, die junge Dame hat jedoch auch ein Alleinstellungsmerkmal, um sich Gameplay-technisch von der Konkurrenz abzusetzen. Chloe verlässt sich als rebellische Rockgöre nämlich einfach auf ihr loses Mundwerk. In einem kleinen Tutorial vermittelt euch das Spiel, dass ihr eurem Gesprächspartner nur genau zuhören müsst, um ihm anschließend aus vier Möglichkeiten eine passende Antwort zu liefern. In der Regel müsst ihr auf wiederholende Wörter achten und möglichst wenig nachgeben. Wählt ihr die richtige Antwort und überrumpelt damit euer Gegenüber, erhaltet ihr einen Punkt. Füllt ihr die Leiste in der Diskussion mit allen Punkten vor eurem Gegner, habt ihr das Wortduell gewonnen und schreitet in der Story weiter.

Tagesablauf

Optisch hat sich gegenüber dem Vorgänger nicht sonderlich viel getan. Life is Strange: Before the Storm ist kein Hochglanz-Spiel, sieht aber aufgrund seines weichgezeichneten Comicstils sehr schön aus. Darüber hinaus ist der Soundtrack wieder erstklassig gewählt und liefert, wie bereits in Teil 1, zu jeder Szene die scheinbar perfekte Melodie, der es zu lauschen gilt. Sammelwütige Spieler kritzeln mit Chloe in jeder Episode zehn Graffitis an versteckten Punkten, statt wie Max zehn imposante Fotos zu schießen. Sonst lebt der Titel einfach von seinen Erlebnissen und den kleinen Nebengeschichten, die überall zu finden sind. Für euer Weiterkommen sind all diese Nebenschauplätze überhaupt nicht wichtig, teilen aber ungemein zur natürlichen Atmosphäre bei. So entscheidet ihr beispielsweise, ob ihr einfach schnurstracks zu eurer Chemie-Prüfung lauft oder ob ihr mit den Schul-Nerds zuvor auf dem Pausenhof noch eine Runde Tabletop-RPG spielt. Neben diesen eigentlich unwichtigen Nebenaktivitäten findet ihr zahlreiche Dokumente, bekommt SMS oder inspiziert allerhand Objekte, um mehr über Personen und Orte zu erfahren. Hier kann ich jedem nur empfehlen, möglichst viel an Informationen mitzunehmen und dadurch die eigene Spielerfahrung noch intensiver zu gestalten.

Fazit

Life is Strange: Before the Storm lässt euch an der, zuvor nur aus Erzählungen bekannten, Geschichte zwischen Chloe Price und Rachel Amber teilhaben. Die Begegnung der Beiden ist vom ersten Moment an spürbar etwas Besonderes und die Reise der zwei fühlt sich herrlich natürlich und gleichzeitig ungewöhnlich an. Deck Nine Games hat es wunderbar geschafft die besondere Atmosphäre des Erstlings einzufangen und legt einen tollen Start der beiden Protagonistinnen hin. Statt der Zeitreisen-Rätsel setzt man dieses Mal auf Wortgefechte, um den Schein von Gameplay ein wenig zu wahren. Der Titel lebt aber definitiv primär von seiner tollen Geschichte, die euch einsaugt und euch lässig im Strom der Atmosphäre mitschwimmen lässt. Zu meinem Bedauern ist jetzt wieder warten angesagt. Für das richtige Life is Strange 2 wünsche ich mir daher einen kompletten Disk-Release.

Life is Strange: Before the Storm
Grafik/Präsentation
86
Story/Atmosphäre
92
Gameplay
82
Spielspaß
91
Leserwertung2 Bewertungen
20
88