Werewolf the Apocalypse: Earthblood im Test – Ein Nerd im (Wer)Wolfspelz

Publisher Paradox hetzt den Werwolf von Entwickler Cyanide Studio auf die Meute der Gamer auf der ganzen Welt. Dabei setzt das Spiel für den Storyunterbau auf eine spannende Pen & Paper Rollenspielvorlage von White Wolf. Die spielt nämlich in der World of Darkness, wo auch Vampire: The Masquerade, Spielern vielleicht bekannt als Videospielumsetzung Vampire: Bloodlines, zu Hause ist. Die Entwickler konnten also auf eine detailliert ausgearbeitete Welt für ihre Geschichte zurückgreifen. Leider mangelt es dann vor allem auf Seiten der Technik aber auch des Gameplays an eben diesem Detailreichtum. Ist der Budget-Titel zum Preis von knapp 40 € trotzdem geeignet um bis zum Vollmond durchzuspielen oder solltet ihr lieber früher schlafen gehen?

Auf brennendem Eis…

ist der Titel eines „Ökoactionthrillers“ aus dem Jahre 1994 mit Actionlegende Steven Seagal. Darin kämpft ein Experte für Ölbrände gegen einen bösen Ölkonzern, der es auf die Natur in Alaska abgesehen hat. Was das nun mit Werewolf the Apocalypse – Earthblood zu tun hat? Ersetzt Steven Seagal durch Cahal, einen Werwolf, den wir als Spieler steuern und schon habt ihr die Ausgangslage des Spiels.

Denn die Werwölfe sind in der World of Darkness naturverbundene Wesen, die sich dem Schutz und Erhalt von Gaia, also der Erde selbst und ihren Geistern, verschrieben haben. Die Rolle des bösen Ölkonzerns des Films übernimmt hier das Energieunternehmen Endron. Die entwickeln einen neuen Biotreibstoff, betreiben Fracking auf Kosten der Natur und machen nebenbei Jagd auf Werwölfe. Hierzu setzen sie unterschiedliche Soldatenklassen ein, vom schweren Nahkämpfer über einfache Schützen bis zu mit Silbermunition gewappneten Scharfschützen. Um eine Chance gegen die über drei Meter großen und eine Tonne schweren Werwölfe zu haben, setzen sie zusätzlich auf bemannte Kampfmechs, die ein wenig an die Exos aus der Schlacht um Zyion im dritten Teil von Matrix erinnern. Die Cockpits sind nämlich offen und die Piloten so viel greifbarer für die Krallen der Werwölfe. Absicht?

Schnell wird klar, dass Endron aber noch weitaus bösere Pläne hat und sogar die Zukunft der Menschheit und der ganzen Welt in Gefahr ist. Also zieht Cahal mit seinem Rudel los und versucht schlimmeres zu verhindern. Dabei verpufft leider der Versuch, Cahal nach dem als spielbares Tutorial und gleichzeitig Prolog dienenden Einstieg, als gebrochenen Wolfsmann einzuführen. Primär durch das mitunter wenig nachvollziehbare Writing, insbesondere in der emotional komplexen Vater-Tochter-Beziehung.

Der mit dem Wolf tanzt

Denn im Tutorial wird seine Frau, ein Mensch, von einem feindlichen gesinnten Werwolf getötet. Cahal gibt aus Schmerz aufgrund des Verlusts seiner Frau seiner unbändigen animalischen Wut nach und tut etwas, was er schnell bereut. Fünf Jahre später kommt er durch Zufall zurück in die Nähe seines Rudels, dass er seinerzeit verließ und damit auch seine Tochter zurückgelassen hat. Nun geht es gemeinsam gegen Endron. Dabei öffnet sich die Spielwelt auch ein wenig. Denn im Grunde findet das Spiel auf einer bzw. eigentlich zwei großen, offenen Karten statt. Hier gibt es ein Höhlensystem, dass dem Rudel als Heimat dient und drumherum finden sich, ohne weitere Ladezeiten, Einrichtungen von Endron. Trotzdem bleibt das Spiel über die gesamte Spielzeit von acht bis zehn Stunden linear und bietet aufgrund des repetitiven Gameplays auch wenig Motivation, längere Zeit am Stück die Krallen zu wetzen und Horden von Gegner zu Gulasch zu verarbeiten.

Wahlweise in Menschgestalt oder in der Wolfsform (genannt Lupus) können wir die Gegend erkunden und mit der Penumbravision, also einer speziellen rotfarbigen Sicht, Geister ausfindig machen kann. Die geben uns kurze Storyschnipsel oder aber mehr Erfahrungspunkte, wodurch wir schneller neue Fertigkeitspunkte freischalten. Denn auch wenn es ein Actionspiel ist, darf natürlich auch ein Fortschrittsystem nicht fehlen. Mit den Fertigkeitspunkten erhöhen wir u. a. unsere Heilmöglichkeiten, sind in Lupusform besser vor neugierigen Blicken unserer Gegner geschützt oder aktivieren die Zeitlupe im Kampf. Denn im Kampf verwandelt sich Cahal auf Knopfdruck in den Crinos, seine drei Meter große Werwolfgestalt, in der wir krallenbewehrt unseren Gegnern die rote Farbe aus den Körpern schlagen. Dabei bleiben die Körper, bis auf wenige Finisher bei nicht menschlichen Gegnern, stets vollständig, auch wenn jede Arena nach dem Kampf aussieht, als würden zehn Tatortreiniger ihr gesamtes Berufsleben hier verleben müssen.

It´s not Lupus!

Aber müssen wir überhaupt kämpfen? Immerhin können wir Gegner doch auch unbemerkt im Nahkampf ausschalten, als Lupus und in Menschenform umherschleichen und mit der Armbrust auch lautlos Gegner zu Boden schicken. Wir können ja sogar besser schleichen, Kameras und Geschütze ausschalten, wenn wir die passenden Skills freigeschaltet haben. Sagen wir mal so: ja, man kann eigentlich sehr lange im Spiel auch viele Gegner umgehen. Als Lupus sind wir vor den Augen der Gegner besser geschützt, huschen durch die perfekt auf die Körpergröße eines Wolfs abgestimmten und überall verteilten Luftschächte, deaktivieren an entsprechenden Terminals Kameras, Geschütztürme und öffnen bislang versperrte Türen. Aber warum sollte man das denn überhaupt tun?

Denn das Stealth-Gameplay führt in erster Linie dazu, dass alles länger dauert und ein Scheitern wird nicht bestraft. Also, schon, irgendwie. Die Bestrafung bekommen dann aber die Gegner zu spüren. Denn ein Schleichfehlschlag führt zum offenen Kampf und trotz eintreffender Verstärkung ist es in fast allen Fällen wesentlich schneller und weniger nervenaufreibend, einfach alle Gegner umzunieten. Dass der Kampf vorbei ist wird dadurch erkennbar, dass Cahal sich von seiner Werwolfgestalt wieder zurück zu seiner humanoiden Form verwandelt. Übrigens kommt dann auch immer wieder, ohne Schäden, seine Kleidung zurück. Schade ist, dass das nicht in der Story erklärt wird. Vermutlich zieht hier also der Marvel-Hulk-Hosen-Faktor mehr als das Watchmen Dr Manhattan Prinzip.

Und dann geht es durch die nächste Tür, in den nächsten Raum wo weiterhin alle Gegner brav aufpassen, ihren wenigen und sehr kleinen Patrouillenrouten folgen. Oder mit anderen Worten: der mächtig böse Konzern Endron hat zwar Exos, Waffen, Monster und Co. in seinem Arsenal, aber kein Alarmsystem, dass einen gesamten Gebäudekomplex alarmiert.

Da man aber ohnehin haufenweise Gegner, dank kaum existenter KI, hintereinander weg im „ich habe da drüben was gehört“ Modus im Nahkampf ausschalten kann ohne den Alarm innerhalb des Raumes auszulösen, darf man wohl ohnehin nicht erwarten, dass die Funkgeräte des Wachpersonals eine höhere Reichweite haben als innerhalb eines Raumes.

Später im Spiel bekommt man es übrigens immer wieder mit dem Missionsziel „Töte alle“ zu tun. Hier müssen wir weiterhin storyrelevante, immer gleiche, Knöpfe drücken aber dann auch zwangsweise alle Gegner in den immer gleich aussehenden, minimaltexturierten Räumen ausschalten. Spätestens hier bereut man die Investition von Fertigkeitspunkten in Schleichfähigkeiten. Umso besser, dass man die Fertigkeiten an verschiedenen Stellen im Spiel zurücksetzen kann. Das geht auch unabsichtlich, da es keine „Bist Du sicher?“ Abfrage gibt. Argh.

Den Letzten beißen die Werwölfe

Die zahlreichen, immer gleichen Kämpfe in immer gleichen rechteckigen Arenen könnten dann richtig Spaß machen, wenn die Kamera nicht immer wieder der größere Feind, womöglich sogar Endgegner, wäre. Das Lockon-Feature, also das Anvisieren von Gegnern, sollten interessierte Gamer direkt vergessen. Denn dann geht so viel Übersicht verloren, dass man erst recht kaputt geht. Wobei das Spiel selbst auf dem mittleren der drei Schwierigkeitsgrade extrem anspruchslos bleibt. Denn bis zum Abspann bin ich vielleicht, trotz nerviger Kamera und einer Hand voll Bosskämpfen, bis zu zehn Mal gestorben. Dabei beginnen wir stets in dem aktuellen „Raum“ neu. Besonders bei einem Bosskampf gegen mehrere Gegner parallel hat mit das besagte Lockon-Feature sogar aktiv verhindert, dass ich sehen konnte wann der Boss angreifbar wird!

Mit jedem Angriff bauen wir Wut und Zorn auf. Während wir Wut nutzen können um Spezialangriffe auszuführen oder uns, und das ist tatsächlich wichtig, zu heilen, können wir mit einer prallgefüllten Zornleiste die Raserei auslösen. So wird Cahals Crinosform noch stärker und schneller, dafür können wir uns nicht mehr heilen, bis die Raserei abgeklungen ist. Sie ist vor allem bei Exos und anderen nicht menschlichen Gegnern im späteren Spielverlauf hilfreich und auch in den wenigen Bosskämpfen.

In den Bosskämpfen finden wir uns, bis auf zwei Ausnahmen, immer im Kampf gegen andere Werwölfe wieder, die dazu eigentlich alle die gleichen Angriffsschemata abrufen. Sie schlagen nach vorne, starten dann eine Sprint- oder Sprungattacke, ehe sie dann auf den Boden einschlagen und eine Art Druckwelle auslösen. Nach rechts ausweichen beim Krallenangriff, nach rechts ausweichen beim Sprungangriff und bei der Druckwelle kann man am Ende von hinten angreifen. Ist das Zorn-O-Meter aufgefüllt geben wir dem Pelzvieh mit der Raserei den Rest.

Die Geschichte ist einerseits vorhersehbar, andererseits durchaus motivierend, wenn man sich darauf einlässt. Denn die wenigen niedrigaufgelösten vorgerenderten Cutscenes, die Dialoge und die auffindbaren Texte in der Spielwelt zeigen schon, dass hier in der Story viel Potential verborgen ist. Aber warum erzählt uns ein NPC von seinem Leben als Polizist und seinem Werdegang zum Kämpfer gegen Endron nur in einem drögen Ingamedialog, statt mit einer chicen Rückblende seiner Erzählung mehr Tiefe zu geben? Da helfen auch Dialogoptionen nicht, die sich ohnehin nicht auf den Spielverlauf auswirken.

Die nur in Englisch verfügbare Vertonung ist durch die Bank weg gelungen, dafür sind die deutschen Untertitel voll mit Fehlern. Und warum Cahal über Funk mit seinen Kameraden spricht und sich dabei immer einen Finger in sein Ohr steckt, in dem aber gar kein Funkgerät zu entdecken ist, weiß er wohl nur selbst. Das passt aber zum technischen Gesamteindruck des Spiels. Bestenfalls nette Licht- und Spiegelungseffekte können nicht über hölzerne Animationen, kaum existente Gesichtsanimationen, copy & paste Gegner und die niedrig aufgelösten Umgebungstexturen hinwegtäuschen. Dafür sind die Ladezeiten auf der Xbox Series X auch hier angenehm kurz, der Metal Soundtrack gefällt, aber wird viel zu wenig eingesetzt und, bis auf einen Absturz zur Spielmitte, lief das Spiel durchweg stabil.

Fazit

Ja, Werewolf the Apocalypse – Earthblood bleibt, trotz spannender Pen & Paper Vorlage, weit hinter seinen Möglichkeiten zurück. Dabei wirft es schon nach kürzester Spielzeit die Frage auf, ob hier wirklich die gleichen Entwickler am Werk waren, die mit Styx und dessen Fortsetzung solide Stealth-Kost für Genrefans geliefert haben. Denn das Stealth-Gameplay ist nur ein Spielzeitstrecker, die Optik des Spiels ist auch für die Last-Gen-Konsolen hoffnungslos veraltet und das Jahr 2007 hat angerufen und möchte seine Animationen zurück. Andererseits handelt es sich um einen nur 40 € teuren Budgettitel, der durch das Werwolfsetting in einem unverbrauchten Szenario spielt und in kleinen Wolfshappen verspeist durchaus zu unterhalten weiß. Die Story ist interessant und motiviert zum Weiterspielen, auch wenn die Erzählwerkzeuge ebenfalls aus einer anderen Zeit zu stammen scheinen. Kleine Anspielungen, wie z. B. auf Stephen Kings der Werwolf von Tarker Mills, sind wohl eher was für eingefleischte Werwolffans. Und das bin ich und deshalb schäme ich mich auch nicht zu sagen, dass ich die rund acht Stunden bis zum Abspann über durchaus zwischendurch auch Spaß hatte beim Metzeln, Schleichen, Schalter drücken und vertiefen der Geschichte. Und bei einem Nachfolger wäre ich auch beim ersten Tag direkt wieder mit dabei. Nur vielleicht bekommt er, falls er überhaupt kommt, ja ein höheres Budget für deutliche bessere Technik, spendiert. Ausgehungerte Werwolffans sollten hier ruhig mal reinschauen. Alle anderen widmen sich wohl besser ihrem Pile of Shame oder schauen sich den Werwolf-Filmklassiker Dog Soldiers an.

Werewolf the Apocalypse: Earthblood
Präsentation (Grafik, Sound)
59
Story, Atmosphäre
63
Gameplay
58
Spielspaß
68
Leserwertung0 Bewertungen
0
Pros
gelungene englische Synchronisation
kurze Ladezeiten
unverbrauchtes Setting
Werwölfe!
Cons
keine deutsche Sprachausgabe
veraltete, hölzerne Animationen
hoffnungslos veraltete Optik
nervige Kamera
62