Ghost of Tsushima im Test – Ein Nerd im Kampf um seine Ehre

Die PlayStation 5 steht vor der Tür und trotzdem bringt Sony weitere exklusive Spiele auf ihre aktuelle Konsole. Mit Ghost of Tsushima hat Sucker Punch Productions eine neue IP geschaffen. Ob ihr neuester Open World Epos die Qualität ihrer Infamous Reihe erreichen kann, werde ich hier im Test erläutern.

Der Weg der Samurai

Als Jin Sakai stehen wir mit unserem Onkel Shimura, dem Fürsten von Tsushima, einer mongolischen Invasion gegenüber. Als ehrbare Samurai reiten die Krieger offen in die Schlacht und bekommen eine empfindliche Niederlage von den Mongolen zugefügt. Jin fällt in der Schlacht und Fürst Shimura wird gefangen genommen. Halb tot wird Jin von der Dieben Yuna vom Schlachtfeld in Sicherheit gebracht und versorgt. Jin will die Insel wieder zurückerobern und seinen Onkel aus den Händen des Kahns befreien. Dazu schart er nach und nach immer mehr Verbündete um sich und baut auch eine Beziehung zu den einzelnen Charakteren auf. Das Storywriting ist in Ordnung und rückt vor allem Stolz und Ehrgefühl des japanischen Volkes in den Fokus. So wird auch der Kodex der Samurai etwas genauer beleuchtet. Jin wird aber auch immer wieder mit jenem Kodex, den sein Onkel ihm gelehrt hat, konfrontiert. Denn um seine Insel von den Mongolen zu befreien, muss er immer wieder die Grenzen des Kodex überschreiten, was allerdings in der „Charakterentwicklung“ kaum eine Rolle spielt. Jin ist schnell einfach jedes Mittel recht, wird aber nicht müde zu erwähnen, dass seinem Onkel das nicht gefallen wird. Insgesamt trieft das gesamte Writing nur so von Klischees aus bekannten Filmen, was insgesamt gesehen nichts Überraschendes ist, aber dem Fan gefällt. Die Nebenquests sind, bis auf die Legenden und Sagen, eher mau geschrieben und typische Standardkost. Die erwähnten Legenden stechen ein wenig heraus und belohnen uns mit neuen Rüstungen oder Kampftechniken und passen wunderbar in die Welt und sind dabei schön inszeniert.

Nichtsdestotrotz hat es Ghost of Tsushima geschafft mich in seinen Bann zu ziehen. Auch wenn auf dem Papier typische Open World Standardkost steht, hat sich das Team die Rosinen aus dem Genre gepickt. Wirklich die gesamte Insel ist so schön gestaltet und inszeniert, dass jeder Hotspot ein kleines Highlight ist. Sei es die sammelbaren Fuchsschreine, mit denen Talisman Slots freigeschaltet werden, oder Bambusstände an der Jin seine Schwertkunst verbessern kann. Alles ist so platziert, dass wir wunderbare Aussichten oder Landschaften genießen können. Auch ist es wunderbar immersiv, die große Karte wird, wenn wir wollen, kaum benötigt. Wir reiten mit unserem Pferd durch die Landschaft und wenn wir ein Missionsziel verfolgen, leitet uns der Wind. Ich habe selten ein so gut passendes Navigationssystem gesehen. Der Wind, der die (Kirschblüten) Blätter umherwirbelt, passt wie die Faust aufs Auge für dieses Setting. Auch ist es möglich einfach in der Umgebung nach Rauchschwaden Ausschau zu halten, welche auf Mongolenlager oder Siedlungen hinweisen. Zu guter Letzt taucht noch ein goldener Vogel auf, wenn wir uns gerade in der Nähe eines Point of Interest befinden und leitet uns dort hin. Alles in allem gibt es selbst ohne die Karte genug Hinweise auf interessante Orte und ist so für mich eine der immersivsten und stimmungsvollsten Open World Erfahrungen seit Zelda Breath of the Wild.

Für eine Open World typisch ist auch hier wieder ein kleines Craftingsystem vorhanden. Wir können verschiedene Materialien in der Welt aufsammeln, was dankenswerter weise im Vorbeireiten oder -gehen funktioniert. Bei den verschiedenen Händlern können so Rüstungen, das Schwert oder der Bogen verbessert werden. Gesammelte Talismane können in freie Slots am Schwert eingesetzt werden und verbessern bestimmte Attribute wie beispielsweise den Herausforderungsmodus oder das Sammeln von Entschlossenheit. Schön umgesetzt ist, dass das Spiel uns die Möglichkeit gibt neben der Rüstung noch unabhängig Maske und Kopfbedeckung wählen zu können. So ist es möglich Jin ein wenig auf unseren Geschmack zu individualisieren. Auch unterstützt die ausgewählte Rüstung immer bestimmte Spielstile. So verlängert die Rüstung des Sakai Clans die Herausforderungskette. Andere Rüstungen verstärken beispielsweise die Furcht der Gegner und lässt diese nach erfolgreichen Tötungen von Kameraden gelegentlich die Flucht ergreifen.

Ehre oder nicht, das ist hier die Frage

Kommen wir nun zum Kampf. Als ich die Vorstellung von Ghost of Tshushima sah, wirkte das Kampfsystem auf mich deutlich zu einfach. Da wurde ich von dem Spiel aber schnell eines Besseren belehrt. Der offene Kampf gestaltet sich abwechslungsreich und fordernd, vor allem in den höheren Schwierigkeitsgraden. Jeder Gegnertyp hat seine eigene Konterkampfhaltung. Diese können wir über eine Kurzwahl während des Kampfes schnell wechseln. So ist es einfacher Gegner, welche mit Schild und Schwert bewaffnet sind, mit Wasser Kampfhaltung entgegenzutreten. Speerkämpfern hingegen werden mit der Wind-Kampfhaltung klein gehalten. Aber auch das Blocken, Parieren und Ausweichen will gelernt sein. Eine perfekte Parade lässt den Gegner sofort taumeln und Jin kann ihm mit gezielten Hieben ein Ende bereiten. Nicht blockbare Angriffe werden durch einen Roten Punkt am Gegner angekündigt damit man rechtzeitig ausweichen kann. Ein Ausweichen in letzter Sekunde ermöglicht einen gezielten Stich. Hinzu kommen spezielle Wurfwaffen. Per Knopfdruck kann Jin Kunai’s oder Schwarzpulverbomben auf seine Gegner werfen und diese aus dem Gleichgewicht bringen oder sogar direkt töten. Mit einer Rauchbombe kann Jin sich Raum verschaffen und kurzzeitig verschwinden, sollte die Zahl der Gegner doch einmal zu groß sein. Durch geblockte Angriffe und Kills sammelt Jin Entschlossenheit. Entschlossenheit benötigt Jin zur Heilung oder für spezielle Moves. Die reinen Kämpfe sind über das gesamte Spiel durch verschiedene Gegnerzusammenstellungen und Erweiterungen immer fordernd und unverzeihlich.

Das Spiel zwingt den Spieler dazu alle Kampftechniken und Fähigkeiten zu meistern. Button mashing führt hier schnell zum Tod. Sucker Punch schafft hier über das gesamte Spiel eine hervorragende Balance in den Kämpfen zu halten. Als aufrichtiger Samurai kann Jin vor dem Kampf den Gegnern offen in einer Herausforderung gegenübertreten. In einer Art Quick Time Sequenz ist es hier bereits möglich die Zahl der Gegner deutlich zu minimieren und im späteren Verlauf können so mit dem richtigen Timing bis zu fünf Gegner eliminiert werden. Ein wenig Immersionsbruch ist aber auch in den Kämpfen vorhanden. So kündigen die Bogenschützen ihre Pfeile immer an. Klar damit sich die Verbündeten weg ducken können. Die Schützen rufen, aber auch wenn sie allein sind, was nun nicht wirklich sinnvoll ist. Den größten Fehltritt erlaubt sich Sucker Punch hier aber in dem es keine Lock-On Mechanik einführt. Sollten wir auf bestimmte Gegner eindreschen wollen, wie beispielsweise die lästigen aber nur schwach geschützten Bogenschützen oder Bombenwerfer entscheidet manchmal ein wenig das Glück ob der Hieb bei dem Richtigen ankommt.

Eins gegen Eins

Ein großes Highlight sind die Duelle. Eins gegen Eins an den schönsten Schauplätzen der Insel. Die Kampfarenen sind so wunderschön gestaltet und die Kämpfe machen einfach Spaß. Das Kampfsystem wird hier komplett auf das Schwert reduziert und es gilt die Bewegungen vom Gegner zu lesen. Vielleicht wirkt es ein wenig, wie ein Souls-Like, aber es ist bei weitem nicht so schwer und abwechslungsreich. Sei es nun ein Kampf am Fuße eines Wasserfalles oder am Rande einer Klippe umzäunt von peitschenden Wellen. Die Kampfschauplätze an sich sind die Kämpfe schon wert.

Aber Jin erlangt nicht den Spitznamen Ghost of Tsushima in dem er seine Gegner im offenen ehrenvollen Kampf besiegt. Stealth ist im Spiel ein fester Bestandteil und Jin bekommt hier das volle Moveset eines Meuchelmörders. Schleichen, klettern, sich in hohem Gras verstecken, Ninja typisch auf gespannten Seilen zu laufen, ohne auch nur einen Mucks von sich zu geben. Gegner können durch Papiertüren, von oben oder typisch von hinten gemeuchelt werden. Ein Verstecken der Leichen ist allerdings nicht möglich. Ablenkungsmanöver durch Wind Glocken oder Böller ist ebenfalls möglich. Mit Pfeil und Bogen kann Jin seine Gegner aus der Distanz gezielt ausschalten und dabei unentdeckt bleiben. Hier hat mich allerdings am meisten die Klettermechanik gestört. Leider sind die ganzen Gadgets etwas umständlicher auszuwählen. So gibt es für Kurz- und Langbogen verschiedene Pfeilarten. Ich habe mich bis zum Ende des Spieles damit schwer getan die richtigen Sachen schnell auszuwählen. Wodurch ich meist mit einer vorab ausgewählten Ausrüstung in den Kampf gegangen bin. Es mag zwar nett sein, dass Jin nicht einfach über eine Kante drüber läuft, sondern davor stehen bleibt. In der Hitze des Gefechtes stört es aber massiv. Selbst von niedrigen Steinen wird nicht direkt gesprungen und man muss ein weiteres mal den Stick in Richtung Kante drücken.

Sightseeing auf Tsushima

Wenn man bei Ghost of Tsushima nach Details sucht, sei es Gesichtsanimationen, bestimmte Texturen oder kleinere Gegenstände anschaut, dann findet man vielleicht das Haar in der Suppe. Eine matschige Textur hier oder die manchmal etwas steif wirkenden Gesichtsanimationen. Dennoch Tsushima sieht im Gesamten fantastisch aus. Durch den Tag-Nacht-Rhythmus, der die langweiligen Zeiten gefühlt etwas verkürzt, taucht gerade bei Sonnenaufgang und -untergang die Insel in ein fantastisches Licht. Die Windanimationen wie sich das Gras und die Blumen bewegen oder Jin von seinem Pferd beim Vorbereiten mit der Hand über die hohen Gräser streichelt laden einfach zum Genießen ein. Die gesamte Lichtstimmung sei es nun von Mond, Sonne oder Feuer ist wirklich atemberaubend schön. Ein Grund, warum ich den Kuruzawa Modus nur kurz angeschaltet habe. Filmfans werden Regisseur Akira Kuruzawa vermutlich kennen, welcher für seine asiatischen Schwarzweiß Filme bekannt ist. Untermalt wird das Ganze von einem Soundtrack der perfekt passt. Hier haben Ilan Eshkeri, bekannt für die Musik von Hannibal Rising oder 47 Ronin, und Shigeru Umebayashi, ebenfalls bekannt für Hannibal Rising sowie diverse chinesischen und japanische Filme, hervorragend zusammengearbeitet. Der orchestrale Sound gemixt mit einigen typisch asiatischen Instrumenten ist einfach wunderschön und passt sich wunderbar an.

Fazit

Ich bin der Open World Spiele eigentlich überdrüssig. Tja, Sucker Punch Productions hat mir mit Ghost of Tsushima gezeigt das es aber auch anders geht. Das Setting, die Inszenierung und das ganze Drumherum haben mich absolut in ihren Bann gezogen. Jedem der mit dem frisch unverbrauchten Setting des feudalen Japans ohne Fantasy Einflüsse etwas abgewinnen kann, kann ich diesen Titel nur ans Herz legen. Über die fehlende Lock-On Mechanik oder das etwas hakelige Klettern kann man getrost hinwegsehen und seinen Blick über die wunderbaren Landschaften von Tsushima schweifen lassen. Für mich ist der Titel besser als jeder Teil der Infamous Reihe, wohl auch aufgrund des unverbrauchten Settings oder so schönen Inszenierung.

Ghost of Tsushima
Präsentation (Grafik, Sound)
86
Story, Atmosphäre
84
Gameplay
83
Spielspaß
84
Leserwertung7 Bewertungen
75
Tolle Landschaften
Unverbrauchtes Setting
Immersive Welt
Keine Lock-On Mechanik
Hackelige Kletteranimationen
Seichtes Storywriting
84