Krieg ist der Vater aller Dinge. Das Sprüchlein stammt von Heraklit, einem griechischen Philosophen und wird in der Regel eigentlich komplett falsch verstanden. Interessanterweise ist er trotzdem nicht völlig verkehrt, wenn es um Computer geht. Denn die elektronischen Rechner erleben im zweiten Weltkrieg den ersten Entwicklungsschub und das Militär ist einer der ersten großen Geldgeber für Geräte, die anfangs eigentlich kaum mehr sind als gigantische Taschenrechner. Gleichzeitig haben Ingenieure und Wissenschaftler erstaunlicher Weise ziemlich schnell nichts besseres zu tun als unsäglich teure, unglaublich komplexe Geräte für Spiele einzuspannen. Der Spieltrieb ist eben doch eine der wichtigsten menschlichen Eigenschaften. In jedem Fall ist dies die elektronische Ursuppe, in der allererste Spiele entstanden und aus der ein gigantischer Markt wurde, mal einen Blick in die Vergangenheit wert.
Sag niemals NIM
Eigentlich noch kein Computerspiel, weil es gar nicht auf einem Computer im eigentlichen Sinn läuft sondern auf einem elektromechanischen Rechner, wird auf der New Yorker Weltausstellung 1940 der Nimatron vorgestellt. NIM ist ein Spiel, bei dem Streichhölzer oder andere Gegenstände in einer oder mehreren Reihen liegen und Spieler abwechselnd, aber immer nur aus einer Reihe, ziehen dürfen. Ob das jemand anderem als Mathematikern besonders viel Spaß macht sei mal dahingestellt. In jedem Fall ist NIM ein ziemlich einfach automatisierbares Spiel. Das erklärt vielleicht auch, warum es das erste ‘Opfer’ wird, das seinen Weg in die noch gar nicht digitale Welt findet. Leider funkt an der Stelle auch schon der zweite Weltkrieg dazwischen, zumindest fast.
Schon mal von Steve Wozniak und Steve Jobs gehört? Die wilden Garagenbastler die Apple gründeten? Nun, das ist eigentlich gar nicht so ‘neu’ (falls man da von neu reden will). Die Computerhippies der wilden Siebziger haben in gewisser Hinsicht schon Vorgänger. Ok. Die sind vielleicht nicht so wild und cool. Mathematiker sind rechenfaul und Ingenieuren ist ihre Zeit kostbar. Vielleicht ein Grund warum beide Berufsgruppen gerne Mittel und Wege erdenken, sich das Rechnen einfacher zu machen. So basteln die beiden Amerikaner Atanasoff und Berry an einem elektromechanischen Rechner namens, haltet euch fest, Atanasoff-Berry-Computer. Der ist zwar nicht frei programmierbar, aber immerhin schon digital. Und hat sowas ähnliches wie ein RAM. Gebaut zwischen 1937 und -41 funktionierte es wohl nie besonders zuverlässig.
Schon etwas cooler ist da der Zuse Z3. Der angehende Ingenieur Konrad Zuse findet Kopfrechnen auch etwas zeitraubend. Also wird lieber Zeit in den Bau von Rechenmaschinen investiert. Und die Z3 ist dabei die interessanteste, weil es der erste frei programmierbare Digitalrechner der Welt ist. Gebaut in der elterlichen Wohnung. Zuses Rechner setzte auf Relais, damit waren ein paar Hertz Taktrate pro Sekunde drin. Also nein, Crysis läuft nicht drauf, Tetris auch nicht und Pong ebenfalls nicht. Dennoch ist der Z3 mit Fertigstellung 1941 ein Meilenstein, weil er eben genau das Grundkonzept darstellt, das bis heute für Computer gilt.
Jetzt aber. Zweiter Weltkrieg. Während die Amerikaner unter anderem enorme Mengen Rechenleistung für Project Manhattan brauchen, welches zur Atombombe führt, wollen die Briten unbedingt deutsche Geheimcodes knacken. Das führt unter anderem zur sogenannten Turingbombe (die nicht wirklich explodiert) und zum, ebenfalls von Alan Turing entwickelten, Colossus. Der ist einer der ersten Röhrenrechner und damit viel schneller als Zuse’s Z3. Gebaut um die Lorenz-Schlüsselmaschine zu knacken zeigt Colossus auch direkt eines der Probleme der Röhrentechnik. Geht so eine Elektronenröhre kaputt, was schnell passieren kann, muss sie ausgewechselt werden und die Berechnung unter Umständen wiederholt.
Besonders wichtig ist hier wohl Alan Turing. Der ist einer der ersten Informatiker, entwickelt unter anderem das Konzept der Turingmaschine und ein erstes Schachprogramm. Allerdings sind zu seiner Zeit die Computer einfach noch nicht leistungsfähig genug dafür. Auf der anderen Seite des Atlantik rechnet der Mark 1, ebenfalls ein Röhrenrechner, fleißig an ballistischen Berechnungen. Auch dort sind einige Computergrößen involviert. Ein gewisser John von Neumann schreibt das erste Programm für Colossus. Wer irgendwann mal IT-Unterricht hatte kennt den Namen vielleicht in Zusammenhang mit der von Neumann Architektur. Lustigerweise wurde das gleiche Konzept schon vorher von Konrad Zuse ausgedacht.
Erst nach Kriegsende zum Einsatz kommt der ebenfalls Röhren verwendende ENIAC. Der überdimensionale Taschenrechner wiegt zwar 27 Tonnen und verbraucht ungefähr so viel Strom wie 1000 Playstation 4, aber er ist frei programmierbar. Wenn auch anfangs über Umwege. Und dank Röhrentechnik viel schneller als Zuses Z3. Auch wenn die Röhrentechnik fehleranfällig war, defekte Röhren führten zu Rechenfehlern und mussten ständig ausgetauscht werden, die Taktrate im Kilohertzbereich beschleunigte Rechenarbeiten enorm.
Allgemein passiert zu der Zeit einiges, das so direkt noch gar keine Auswirkungen haben soll. Praktisch zeitgleich mit dem ENIAC taucht der Transistor auf. Und der wird noch eine große Rolle für Computer spielen. Weil aber der normale Elektronenrechner ein tonnenschweres, sündhaft teures Monster ist denkt ausgerechnet der damalige IBM Chef, es gäbe vielleicht einen Markt für fünf Computer. Die Zeitschrift Popular Mechanics wiederum glaubt Ende der 40er, Computer der Zukunft würden weniger als 1,5 Tonnen wiegen.
Wie wir wissen ist das auch richtig. Damals aber eine gewagte Prognose. Entsprechend groß sind auch die Geräte, auf denen die ersten richtigen Computerspiele laufen.
Cathode Ray Tube Amusement Device und Electronic Delay Storage Automatic Calculator
Langer Name, eigentlich noch kein Videospiel im eigentlichen Sinn, dennoch wichtig. Das Cathode Ray Tube Amusement Device soll einerseits unterhalten und läuft andererseits auf einer Bildröhre. Kurzum, auf einem Oszilloskop wird erstmals eine interaktive Grafik dargestellt. Nämlich ein einfacher Strahl, der ab einem gewissen Punkt defokussiert und sich in einer Lichtkugel auflöst. Um den Strahl zu lenken gibt es Drehregler, außerdem eine Overlay Folie die Flugzeuge darstellt, sozusagen Missile Command 1947. Ziel ist es natürlich, die ‘Flugabwehr’ im Bereich eines Flugzeugs explodieren zu lassen. In einigen Punkten nimmt das System damit auch die erste Videospielkonsole, Magnavox Odyssey, vorweg. Der CRTAD kommt nie über den Prototypenstatus hinaus und dient wohl eher als Demonstration, was mit einer Bildröhre möglich ist.
Dem gegenüber steht drei Jahre später Bertie the Brain. Das kanadische Elektro-Tic Tac Toe nutzt zwar keine Bildröhre sondern Glühbirnen für die ‘Grafik’, läuft aber auf einem Computer. Und es ist vier Meter hoch. Bertie the Brain wird von Josef Kates genutzt um auf der Canadian National Exhibition seine additron tubes, eine Art Mini-Elektronenröhre, zu bewerben. Weil die Miniröhre in Kanada aber auf wenig Interesse stößt und das US-Patent erst Jahre später akzeptiert wird erfüllt sich Kates’ Ziel nicht. Bertie the Brain fällt trotz diverser Artikel für Jahre in Vergessenheit.
Ein Jahr später darf der deutsche Wirtschaftsminister und spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard gegen NIMROD verlieren. Richtig, wieder NIM-Spiel, dieses Mal aber auf einem ausgewachsenen Computer. Auch NIMROD ist eigentlich mehr Technikdemonstrator als Unterhaltung, stammt er doch von Englands erstem kommerziellem Computerhersteller Ferranti. Auch werden wieder Glühbirnen zur Darstellung genutzt. Auch NIMROD ist mit alleine vier Metern Breite wieder ein riesiges und tonnenschweres Gerät.
Ebenfalls 1951 schreibt ein Dr. Dietrich Prinz ein funktionierendes Schachprogramm für Ferrantis ersten kommerziellen Computer Mark 1. Der ist eine ‘aufgeräumte’, kommerzielle Variante des Manchester Mark 1 und braucht, trotz vieler Einschränkungen, eine Viertelstunde und länger für einen einzigen Zug.
Wesentlich schneller ist da Christopher Stracheys Dame. Zumindest auf dem Mark 1. Denn ursprünglich für den ebenfalls britischen Pilot ACE geschrieben überfordert das Dame Programm dessen Speicher. Frühe Computer sind mit den vielen Variablen von Spielen wie Schach und Dame schlicht überfordert oder zumindest aufs Äußerste gefordert.
Entsprechend sollte es wenig wundern, dass das nächste Spiel wieder ein Tic Tac Toe ist. Außerdem läuft es schon wieder auf einem britischen Computer. Briten und Videospiele halt. Noughts and Crosses, heute eher als OXO bekannt ist auch das erste richtige Computerspiel mit richtiger Grafik. Es läuft auf dem Electronic Storage Delay Automatic Calculator oder kurz EDSAC und nutzt tatsächlich einen CRT um die Grafik wiederzugeben, stellt allerdings noch keine Bewegtbilder dar.
Nahezu alle genannten Spiele dienen förmlich als Programmierübung, um die Mensch-Maschine Interaktion auszuloten oder stellen schlicht eine Arbeit im technischen Grenzbereich dar.
Tennis und Krieg
Die nächsten Jahre bringen keine großen Schritte bei der interaktiven Unterhaltung. Das mag auch an der Technik liegen. Das ändert sich mit Tennis for Two. Das nutzt 1958 einen Analogrechner um seine 2D Ballphysik zu simulieren, läuft aber mit Bewegtbilddarstellung auf einem Oszilloskop und nutzt Drehregler um den Ball zu steuern. Außerdem folgt Tennis for Two nicht direkt einem höheren Zweck sondern soll bei einem Tag der offenen Tür im Brookhaven Forschungszentrum rein der Unterhaltung dienen.
Auf einem Digitalrechner mit Transistortechnik, nämlich dem PDP-1, läuft schließlich Spacewar von 1962. Der Schrankgroße PDP-1 gilt als Minicomputer, lässt sich aber nicht wirklich als Raspberry Pi seiner Zeit bezeichnen. Dennoch stellt der PDP-1 einen großen Durchbruch in der Computertechnik dar. Zusammen mit anderen Rechnern. Denn er nutzt Transistoren. Die lassen sich nicht nur wesentlich schneller takten als Röhren, sie sind auch erheblich kleiner, viel weniger fehleranfällig und mittlerweile deutlich günstiger herzustellen. Das sorgt dafür, dass entsprechende Rechner gleich dutzendweise verkauft werden und, im Vergleich zu früheren Computern, vergleichsweise häufig zu finden sind. Etwa an Universitäten. Das wiederum hilft der Verbreitung von Spacewar, einem in mehr als einer Hinsicht herausragenden Computerspiel. Von Steve Russell 1962 entwickelt lässt Spacewar zwei Raumschiffe mit limitiertem Treibstoff und Munition um ein gemeinsames Gravitationszentrum, also einen Stern, kreisen um sich gegenseitig abzuschießen. Anders als bisherige Spiele hat Spacewar damit kein real existierendes Vorbild. Heute normal, Anfang der Sechziger ein absolutes Novum. Es wird damit auch das erste Computerspiel, das auf mehreren Rechnern läuft, auf andere Systeme portiert wird und das Erste, dass in teils abgewandelter Form kopiert wird. Außerdem kommen viele spätere Computer- und Videospielgrößen in Kontakt mit Spacewar. Etwa Nolan Bushnell.
Wenig überraschend aber kaum bekannt, Bushnells erstes Spiel ist 1971 gar nicht Pong sondern Computer Space, das deutliche Anleihen bei Spacewar nimmt. Anders als bei Spacewar muss man allerdings zwei UFO’s abschießen und es gibt kein Gravitationszentrum. Computer Space spielt sich viel zu kompliziert, um Leute am Automaten zu halten. Trotzdem ist es für die ersten Jahre der Arcadespiele ganz entscheidend. Denn weil richtige Computer entweder viel zu teuer sind oder aber nicht ansatzweise leistungsfähig genug, entwickelt Bushnells Firma Syzygy fest verdrahtete, für das Spiel maßgeschneiderte aber viel günstigere Schaltungen. Das senkt die Kosten deutlich.
Der Beinahe 1:1 Spacewar-Klon Galaxy Game scheitert letztlich genau daran. Galaxy Game läuft auf einem PDP-11 der Digital Equipment Corporation, der Computer kostet allerdings 14.000$ in der Anschaffung, gängige Spielhallenautomaten nur einen Bruchteil. Zwar stellt der Galaxy Game Prototyp dennoch einen der ersten Videospielautomaten dar und läuft schon auf Mikroprozessoren, die Technik ist aber letztlich noch unbezahlbar.
Wenig verwunderlich, dass Ralph Baer für seine Brown Box ganz andere Wege geht. Die erste richtige Videospielkonsole nutzt intern eine feste Verdrahtung. Module schalten letztlich zwischen verschiedenen Verdrahtungen um anstatt echte Programme abzuspielen. Die Firma Magnavox zeigt Interesse an der Brown Box und bringt sie als Odyssey in die Läden. Damit gilt Baers Entwicklung als erste Konsole. Noch ohne Farbbild, ohne Ton und mit Overlay Folien erinnert vieles frappierend an das Cathode Ray Tube Amusement Device.
Auch wenn das Ballverhalten etwa des beiligenden Tennisspiels etwas eigenwillig ist, die Odyssey bringt Nolan Bushnell und sein mittlerweile Atari heißendes Unternehmen auf die richtige Idee, nämlich Pong. Das nutzt die günstige Technik des Computer Space Automaten, hat eine simple aber nachvollziehbare Ballphysik und wird ein Bombenerfolg. Der Rest, samt Klage von Magnavox, Pong Heimversionen und natürlich Atari VCS 2600 ist mittlerweile Geschichte.
Ein anderer Stern
Für alles was folgt ist eine Erfindung absolut elementar, die integrierte Schaltung die den Mikrochip und damit die moderne CPU möglich machen sollte. Von Jack Kilby 1958 entwickelt, macht der IC in den fortschreitenden 60ern den Weg frei für immer kleinere Schaltungen. Erst passen dutzende, dann hunderte und schließlich gar tausende Transistoren auf einen Chip. Auch wenn wir heute bei Prozessoren mit Milliarden von Transistoren sind und die Zahlen lächerlich klein wirken, im Vergleich zu Röhren und Transistoren ist das eine gigantische Schrumpf- und Sparkur.
Eines der federführenden Unternehmen ist denn auch tatsächlich die junge Firma Intel. Die entwickelt mit dem 4004 die erste (4-bit) CPU, auf die 8008 und 8080 folgen. Mikroprozessoren verhelfen nun unter anderem dem Taschenrechner zum Durchbruch. Der 8-bit Prozessor 8080 hat dabei aber seine ganz eigene Bedeutung. Denn der treibt den ersten Heimcomputer an. Den MITS Altair 8080.
MITS vertrieb ab Anfang der Siebziger Taschenrechner Bastelkits, kein Scherz, sowie fertig montierte Taschenrechner. Die waren sogar erweiter- und vor allem programmierbar. Mit ausbrechendem Preiskampf kam man aber schnell in finanzielle Schieflage. Das führte zum großen Projekt Heimcomputer, der mit Intel 8080 Prozessor ausgerüstet wurde und ab 1975 als Selbstbaukit oder Fertigrechner zu Hunderten verkauft werden sollte. Aus den Hunderten wurden allerdings schon in kurzer Zeit tausende Rechner. Auch ein kleines Unternehmen namens Micro-Soft wurde von Jungspunden gegründet, die unter anderem ein Micro-Soft BASIC für den Altair 8080 heraus brachten. Der Name Altair stammt übrigens aus einer Star Trek Folge.
Von hier an geht es dank Mikroprozessoren nun Schlag auf Schlag. Ein weiter oben schon genannter Steve Wozniak entwickelt seinen eigenen Computer, Freund Steve Jobs überredet ihn dazu, das Ding als Bausatz zu vertreiben. Atari veröffentlicht mit dem VCS 2600 die erste Videospielkonsole mit richtiger CPU. Büroartikelhersteller Commodore bringt mit dem PET einen der ersten komplett fertigen Rechner auf den Markt.
Das alles zusammen tritt eine unglaubliche Welle an Software los, die sich in den folgenden Jahrzehnten rasant weiterentwickelt. Und weil die Softwareseite letztlich nun mal viel interessanter ist geht’s demnächst auch genau da weiter.