Call of Cthulhu im Test – Der kosmische Schrecken für die Konsole

Eifrige Bücherleser mit einem Fable für Horrorliteratur werden nicht um den Namen H.P Lovecraft herumkommen. Der schon in jungen Lebensjahren als Sonderling geltende Schriftsteller aus Neu England Providence gilt als einer der Hauptbegründer der sogenannten „übernatürlichen Horrorliteratur“. Zu seinen bekanntesten Schöpfungen zählt zweifelsfrei der „Cthulhu-Mythos“. Dieser Mythos umschreibt einige von Lovecrafts bekanntesten Geschichten, in denen es um gottähnliche, außerirdische Wesen geht. Kommen die Protagonisten mit dem Mythos zu sehr in Kontakt, verfallen diese meist dem Wahnsinn. Selten gehen seine Geschichten gut für die Protagonisten aus und wählen aufgrund ihrer schrecklichen Erlebnisse den Freitod oder landen im dankbarsten Fall in einer Gummizelle. Die Idee dieses Cthulhu-Mythos hat sich über die Jahre auch nach Lovecrafts Tod verselbstständigt und inspirierte zahllose kreative Autoren in Form von Filmen, Büchern oder auch Videospielen.

Zu den beliebtesten Lovecraft-Medien gehört das Pen & Paper-Rollenspiel „H.P Lovecrafts Cthulhu“ aus dem Hause Chaosium. Anders als die meisten P&P-RPGs, spielen sich die Abenteuer eher wie Detektivgeschichten mit viel Recherchearbeit und Befragung von NPC-Charakteren. Direkten Kämpfen geht man in der Regel aus dem Weg, da man gegen die fremdartigen Wesen aus dem Mythos sowieso keine reale Chance hätte. Eine weitere Besonderheit ist, dass die Spieler mit fortlaufender Spieldauer ebenfalls dem Wahnsinn verfallen, was regeltechnisch durch das Attribut „Geistige Stabilität“ dargestellt wird.

Focus Home Interactive hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein Videospielabenteuer ganz im Stile dieser lovecraft’schen Art zu schaffen. In der Rolle des Privatermittlers Edward Pierce führen uns unsere Ermittlungen nach einer vermissten Künstlerin in das kleine Fischerdorf Darkwater. Kann ein Spiel, das hauptsächlich aus  Recherchearbeiten und Gesprächen besteht für langfristigen Spaß sorgen? Und schaffen es die Entwickler den geistigen Verfall und Wahnsinn des Protagonisten und spielerisch ansprechender Form auf den Bildschirm zu zaubern? Der vorliegende Test soll für Klarheit sorgen.

Gelungener Einstieg

Die Geschichte beginnt im Büro unseres Alter Egos Edward Pierce im Jahr 1924. Der vom Schicksal gezeichnete Protagonist ist ein Kriegsveteran aus dem ersten Weltkrieg, hat seitdem ein Problem mit engen Räumen und ertrinkt seine traumatischen Erlebnisse gerne mal im Alkohol. Aufgeschreckt von einem seltsamen Alptraum klopft es spät abends an seine Bürotür.

Bei unserem Besuch handelt es sich um den Vater der seit kurzem für Tod erklärten Sarah Hawkins. Laut Polizeiberichten kam sie bei einem tragischen Brand in ihrem Anwesen ums Leben, doch schon vor ihrem Tod veränderte sich das Verhalten der renommierten Künstlerin. Kurz vor ihrem Tod zeichnete sie mehrere merkwürdige Bilder mit surrealen Motiven. Ihr Vater glaubt den Polizeiberichten nicht und hält es für angebracht, euch als privaten Ermittler nach Darkwater Island zu schicken und dem Geheimnis von Sarahs Tod nachzugehen.

Bevor wir unser Büro verlassen, werden wir mit den Grundmechaniken des Spiels vertraut gemacht. Da es sich bei Call of Cthulhu um ein sogenanntes “RPG-Investigation-Game” handelt, können wir hier Fähigkeitspunkte auf die Werte Psychologie, Stärke, Ermittlung oder Redegewandtheit verteilen. Die Fähigkeiten über okkultes Wissen (Okkultismus) und Medizin lassen sich nur durch das Finden von Büchern und anderen Gegenständen steigern. Zum größten Teil schalten diese Fähigkeiten zusätzliche Dialogoptionen frei, die uns bei den Ermittlungen weiter helfen. Hohe Werte in Ermittlung erlauben uns mehr Gegenstände zu finden, was sich gleichzeitig positiv auf unsere medizinischen und okkulten Fähigkeiten auswirken kann. Selbst die Fähigkeit „Stärke“ stellt meist eine zusätzliche Option dar, in dem wir mit unserer kraftvollen Präsenz Redepartner einschüchtern können. Nur selten brauchen wir diese Fähigkeit um vielleicht auch mal eine schwere Tür zu bewegen oder eine Truhe zu öffnen. Bewaffnet mit nichts weiter als unserem (noch) klarem Verstand und unseren ermittlerischen Fähigkeiten machen wir uns in das entlegene Fischerdorf mit dem verheißungsvollen Namen Darkwater auf, das Abenteuer beginnt…

Seltsamen Gestalten

Die Aufmachung und Inszenierung des Fischerdorfs wirkt auf dem ersten Blick gelungen. Wir können den Pier, eine Taverne und ein Lagerhaus frei erkunden und mit vielen Einwohnern Gespräche führen. Architektur sowie Beleuchtung können durchaus überzeugen. Der Bodennebel sowie der schimmernde Grünstich der Straßenlaternen sorgen in Kombination mit der düsteren Hintergrundmusik für eine schaurige Atmosphäre wie sie zu Lovecraft besser nicht passen könnte. Leider kann das Design der Figuren vor allem auf technischer Seite diese inszenatorische Qualität nicht halten. Zwar sind die Dialoge gut vertont, doch wirken die Animationen oft statisch und leider auch manchmal unfreiwillig komisch oder überzeichnet. Das ist besonders ärgerlich, da wie bereits erwähnt, ein Großteil des Spiels in der Interaktion mit den Figuren besteht. Es ist kein Totalausfall, aber hier wäre mit etwas mehr Feinschliff sicher mehr drin gewesen.

Recherche für Anfänger

Spätestens im Herrenhaus der verstorbenen Künstlerin kommen dann auch unsere Ermittlerfähigkeiten zur Geltung. In bestimmten Stellen können wir durch Drücken der beiden Schultertasten in eine Art „Ermittlermodus“ wechseln und so Tathergänge rekonstruieren, wobei auch unserer Attribute zum Einsatz kommen. Das klingt zunächst sehr interessant, stellt sich aber nach kurzer Zeit als reine Symbolabsucherrei heraus. Wir werden lediglich von einem Interaktionspunkt zum nächsten geschickt und bekommen dann die Schlussfolgerung vorgekaut. Hier geht leider viel Potential für knifflige Rätsel und freie Recherche verloren, zumal sich die restlichen Untersuchungen ähnlich gestalten. Viel zu selten werden unsere eigenen Kombinationsfähigkeiten gefragt, wie beispielsweise bei der Suche nach einer dreistelligen Tresorkombination mit Hilfe von Tonbandaufnahmen. Durch das plumpe Ablaufen von einem Interaktionspunkt zum nächsten geht mit der Zeit auch das Gefühl der freien Erkundung verloren und die inszenatorischen Schienen werden zu deutlich. Auch in diesem Punkt haben die Entwickler leider zu viel Potential verschenkt.

Der schleichende Schrecken

Besser gelungen sind da schon die Situationen, in denen wir beispielsweise unbemerkt aus einer Irrenanstalt flüchten müssen. Hier können wir im kleinen Stil Wächter weglocken oder verstecken uns in Schränken vor ihnen. Natürlich können die Passagen nicht mit einem gewöhnlichen Stealth-Spiel oder gar einem Metal Gear mithalten, doch bilden sie eine gelungene Abwechslung zu den sonst eher simpel gestrickten Rätseleinlagen. Komisch ist es nur, dass ein Ex-Soldat nicht über die Fähigkeit verfügt, unachtsame Wachposten auch mal hinterrücks zu überwältigen. Dies hätte sicherlich noch für etwas mehr spielerischen Tiefgang gesorgt.

Der Mythos ist stark in diesem…

Überzeugend hingegen ist das Drehbuch. Mit der Zeit werden wir immer tiefer in die Geschichte der Hawkins-Familie sowie dem seltsamen Fischerdorf gezogen und machen zunehmend Erfahrung mit dem kosmischen Schrecken. Je mehr wir über Darkwater und seine Vergangenheit erfahren, umso mehr beginnt unser Verstand im Wahnsinn zu versinken. Wir hören unmenschliche Stimmen, machen Bekanntschaften mit geheimen Kulten und bizarren Wesen aus fremden Welten. Fans von Lovecraft werden sich über diverse Querverweise und Anspielungen auf Geschichten wie „Der Flüsterer im Dunkeln“ oder „Das Ding auf der  Schwelle“ freuen. Auch die Zwielichtigkeit mancher NPCs wird gut in die Geschichte integriert. So stellt sich im Verlaufe der Geschichte so mancher Verbündeter als Intrigant heraus, während uns zunächst feindlich anmutende Bekanntschaften plötzlich Hilfe anbieten. Ganz ohne klischeehafte Charakterzeichnungen kommt das Spiel aber dann doch nicht aus. So ist die Gesinnung des Nervenarztes Fuller allein durch seine Darstellung mit der ersten Begegnung sehr eindeutig und somit auch eindimensional, was aber anhand der sonst gelungen geschriebenen Charaktere verzeihbar ist.

Etwas Potential wird leider bei der Inszenierung der Wahnvorstellungen und den Begegnungen mit dem Übernatürlichen verschenkt. Meist wird dieser Schrecken durch geskriptete Sequenzen dargestellt, die zwar Optisch sehr ansprechend sind, jedoch kaum spielerische Tiefe haben. Es fehlt der Nervenkitzel eines Amnesia oder Eternall Darkness.

Fazit

Fasst man meine Hauptkritikpunkte an Call of Cthulhu zusammen fällt das Urteil zunächst ernüchternd aus. Die Technik schwächelt vor allem beim Figurendesign, es gibt zu wenig Freiheit in den Punkten Erkundung und Recherche und selbst die Begegnung mit übernatürlichen Phänomenen habe ich in anderen Titeln schon besser erlebt. Trotz all dieser Kritik hat das Spiel eine gewisse Faszination in mir ausgelöst und ich kann mir selber beim besten Willen nicht mal genau erklären woran das gelegen hat. Sicherlich war es zum einen die Gelungene Handlung mit einigen spannenden Entwicklungen gerade im letzten Drittel der Geschichte oder die zum Großteil überzeugenden Charaktere. Des Weiteren war es auch sicherlich meine Affinität zum Lovecraft-Mythos, welcher im Spiel gut rüber kommt. Vielleicht war es aber auch gerade der spielerische Minimalismus der mich dazu bewegt hat am Ball zu bleiben. Dazu muss ich vielleicht erwähnen, dass meine derzeitige berufliche Situation wenig Zeit für größere Spielprojekte wie etwa ein Red Dead Redemption 2 lässt. Call of Cthulhu hat es jedoch geschafft in verhältnismäßig kurzer Zeit genug Interesse in mir auszulösen um für etwa 13 Stunden Spielzeit immer am Ball zu bleiben und mich trotz aller Defizite gut zu unterhalten. Es stellt schon eine gewisse Ironie dar, dass der sicherlich größte Kritikpunkt des spielerischen Minimalismus dafür gesorgt hat, das Spiel mit Spaß durchzuspielen. Wenn da mal nicht übernatürliche Phänomene jenseits unserer Vorstellungskraft im Spiel waren…

Präsentation/Grafik
72
Story/Atmosphäre
86
Gameplay
70
Spielspaß
85
Leserwertung0 Bewertungen
0
Lovecraftsche Atmosphäre kommt gut rüber
Spannende Haupthandlung
Entscheidungen haben Konsequenzen auf den Spielverlauf
Gute englische Sprecher
überwiegend simple Rätsel
technisch schwaches Figurendesign
Keine deutsche Sprachausgabe
wenig spielerische Freiheit
78