Meine Eltern waren damals fies und gemein, zumindest habe ich es so empfunden. Jahrelang standen Dinge wie Super Nintendo und Game Boy auf meinem Wunschzettel. Geburtstag, Weihnachten, vor lauter Verzweiflung habe ich es nachher sogar mit Ostern und Nikolaus versucht. Natürlich vergeblich. Mir war es damals zu Grundschulzeiten einfach nicht vergönnt eine eigene Nintendo-Konsole zu besitzen, was mein sehnlichster Wunsch war. Wenn ich eine bekomme, dann verliere ich bestimmt schnell das Interesse und überhaupt sind die Dinger viel zu teuer und gehen sowieso nur kaputt. So zumindest die Meinung meiner Eltern.
Doch was tun, wenn man zuhause nicht das bekommt, was man gerne hätte. Die kostenlosen Club Nintendo Hefte im Kinderzimmer durchblättern, wenn man die Spiele nicht spielen kann macht das Drama nicht besser und man kann den netten Herrn im örtlichen Spielwarenladen ja auch nicht täglich nerven, dass er die Spiele in der Demo-Station des Game Boys alle dreißig Minuten wechselt.
„Darf ich mit dir spielen?“
Dann also mit Schulkameraden verabreden, die mehr Glück hatten und Zuhause Videospiele spielen konnten. Damals ging der Griff noch zum Festnetztelefon, wenn man sich nicht bereits in der Schule verabredet hatte. Aber auch dann war trotzdem oft noch ein Anruf nötig, um die jeweilige Mutter um Erlaubnis zu fragen. Ja, tatsächlich, damals war es immer die Mutter. Der obligatorische Satz „Darf ich mit XY spielen?“ klingelt mir noch jetzt oft in den Ohren.
Viele der Freunde, mit denen ich mich damals verabredet hatte waren sorgsam ausgesucht und ab und zu qualifizierten sie sich auch nur als Spielpartner, weil sie Zuhause eine Spielkonsole oder Computer stehen hatten. Die meisten waren zwar wirklich meine Freunde, aber andere mochte ich eigentlich gar nicht. Ich hab also einiges auf mich genommen, um meine benötigte Dosis Videospiele abzuholen.
NES, SNES, Game Boy, C64, Amiga…
Man kann nicht sagen, dass ich besonders wählerisch gewesen wäre. In die Verlosung kam eigentlich jede Art von Videospiel, wobei ich natürlich meine Favoriten hatte. Besonders oft war ich bei Johannes, der mit dem NES und dem SNES die geballte Videospiele-Macht zuhause stehen hatte. Dadurch, dass seine Eltern Selbstständig waren, hatten wir auch wirklich viel Zeit nachmittags nach der Schule unserer Videospiele-Lust zu frönen. Ich kann mich an Stunden und Tage erinnern, die wir mit Donkey Kong Country, Super Mario Kart und Super Mario Bros. 3 verbracht haben. War es nicht möglich den aktuellen Spielstand zu speichern, blieb die Konsole gerne mal über Nacht an und am nächsten Nachmittag ging es weiter. Das Drama war groß, wenn die Eltern ausversehen oder auch aus Unwissenheit die Konsole ausgemacht hatten. Kam immer mal vor.
Ähnlich oft, und tatsächlich ist er auch heute noch einer meiner Besten Freunde, war ich bei Jannis. Mit ihm habe ich zwar nicht nur Videospiele gespielt, sondern auch viele andere Dinge wie ins Freibad gehen, Fußball spielen oder Buden bauen unternommen, aber es gab auch Nachmittage, wo wir die ganze Zeit vor dem Amiga 500 von seinem großen Bruder gehangen haben. North & South, Turrican oder Giana Sisters kann man getrost als unsere Favoriten bezeichnen. Gerne haben wir auch seinem Bruder zugeschaut, der eigentlich jedes Spiel besser konnte als wir. Der Kampf, um den Platz am Amiga wurde öfters mit einem Spiel ausgefochten, was natürlich immer er gewann. Fair ist anders, Thomas!
Ich war ein kleines Arschloch
Dann gab es aber natürlich noch die Schulkameraden, die ich einfach nur ausgenutzt habe. Das hat sich damals nicht so angefühlt und war vermutlich auch gar nicht so hinterlistig von mir geplant, aber rückblickend habe ich diejenigen einfach nur ausgenutzt. Kurz gesagt, ich war wirklich ein kleines Arschloch.
Doch was machen wenn meine wirklichen Freunde keine Zeit hatten. Nils nicht mit seiner N64, Marian nicht mit seinem PC und dem beliebten Bundesliga Manager Hattrick. Die bereits erwähnten Optionen Johannes und Jannis waren auch schon ausgebucht. Schnell zum Telefon gegriffen und Kevin, Dominik oder – ja, ein Mädchen – Andrea angerufen.
Alle drei mochte ich nicht wirklich, ich kam mit ihnen klar und hatte eigentlich nicht wirklich was gegen sie. Aber es gibt ja immer die Außenseiter und Leute, die von allen geärgert werden. Heute würde man mobben dazu sagen. So traurig es rückblickend ist, sie haben sich gefreut sich mit mir verabreden zu können, da sie sich nicht oft mit jemanden aus der Klasse am Nachmittag trafen. Im Prinzip war es eine Win-Win-Situation für beide. Sie hatten einen Spielkameraden und ich konnte Videospiele spielen.
Bei Dominik war es der Game Gear von SEGA, ich glaube er war auch der einzige mit einer SEGA Konsole. Bei uns im Dorf war Nintendo absolut vorherrschend. Vielleicht auch, weil der einzige Spielwarenladen nur Nintendo führte. Wie wir ja alle wissen, ist der Game Gear sehr gefräßig, was Batterien angeht. Das hatte auch die Mutter von Dominik erkannt und hat ihm eine Grenze gesetzt, wie viele Batterien er pro Woche verbraten kann. Es war immer blöd, was ich auch später durchschaut hatte, sich mit ihm zum Ende der Woche zu verabreden, da die Batterien da oft schon aufgebraucht waren.
Ähnlich enttäuschend wie die Batterielosen Verabredungen bei Dominik, konnten die Nachmittage bei Kevin werden. Er war Kind von Lehrern und hatte oft genug mit deren etwas härteren Erziehungsmethoden zu kämpfen. Eine Katastrophe war es dann natürlich, wenn man mit der Absicht Commander Keen auf dem C64 spielen zu können dorthin kommt, um dann festzustellen, dass er gerade C64-Verbot hatte oder man nur eine Stunde davorsitzen darf. Eine Stunde… und was mit den restlichen vier machen? Hart sag ich euch, es war hart.
Sehr lustig war rückblickend die einzige Verabredung mit Andrea. Andrea war ein Mädchen. Also eine von jenen mit denen man sich als Junge in der Grundschule eher seltener verabredete. Umso verwunderter war meine Mutter, dass sie mich doch bitte zu Andrea bringen mag. Sie hat mich natürlich ein wenig damit geärgert, dass ich jetzt wohl Mädchen interessant finden würde. Was sie nicht wusste war, dass Andrea einen Game Boy hatte und eigentlich die kleine graue Kiste das Objekt der Begierde war.
Die Erlösung war mein Opa
Doch irgendwann war meine Leidenszeit tatsächlich beendet und ich musste mich nicht mehr mit Schulkameraden verabreden, die ich eigentlich gar nicht so gerne mochte. Nach langer Überzeugungsarbeit, was sich in ständigen Quengeln und Betteln äußerte, hat sich mein Opa erbarmt mir, ohne Einverständnis meiner Eltern, einen Game Boy zu kaufen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie der Mitarbeiter im Kaufhaus das gute Stück aus der Vitrine nahm und es zur Kasse brachte. Sie hatten nur noch wenige Exemplare und auch nur in einem Bundle, dessen Spiele ich eigentlich gar nicht wollte. Super Mario Land und/oder Tetris sollten dabei sein. Keines der beiden war es, sondern Castlevania und Motocross Maniacs. Beides Spiele, die ich damals nicht zu schätzen wusste, jetzt dafür umso mehr. Die schöne schwarze Game Boy-Bauchtasche, die ebenfalls dabei war, hat den Schmerz immerhin etwas gelindert. Ich hatte zwar kein Super Mario Land oder Tetris, dafür aber endlich einen eigenen Game Boy. Meine Mutter war zwar weniger begeistert, aber sie hatte glaub ich eingesehen, dass ich mich tatsächlich darüber gefreut habe. Entgegen ihrer Erwartungen lag der Game Boy auch nicht nach kurzer Zeit herum, sondern ich habe lange damit gespielt und ihn liebevoll mit Edding und Aufklebern „verschönert“.
P.S.: Die Namen meiner damaligen „Opfer“ habe ich natürlich geändert und die Jungs und das Mädel hießen tatsächlich anders. Falls das einer derjenigen zufällig lesen sollte, dann entschuldige ich mich für mein junges Ich.