Tennis World Tour – Doppelfehler aus dem Bilderbuch

Während nahezu jede populäre Sportart mittlerweile als Spiel auf aktuelle Konsolen umgesetzt wurde, schauten Tennis-Fans bisher in die Röhre. Zwar erschien bisher mit AO International Tennis ein Vertreter dieser Zunft, welcher spielerisch jedoch ein ziemlicher Reinfall war. Bigben Interactive will mit Tennis World Tour vom Entwicklerstudio Breakpoint diese Lücke jetzt schließen – und hat Kompetenz am Start: Bei Breakpoint lassen sich eine ganze Reihe Entwickler-Veteranen des ehemaligen 2K Czech-Teams finden, das 2011 den vierten und letzten Teil der Top Spin-Serie herausgebracht hatte.

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Da drängen sich gleich Gedanken auf: Hui, ein Top Spin 5 im anderen Gewand! Doch weit gefehlt: Tennis World Tour verfügt schon im Ansatz über eine gänzlich andere Spielmechanik. War in Top Spin 4 noch das exakte Timing der Schläge der Schlüssel zum Sieg, liegt der Fokus bei Tennis World Tour auf der Taktik. Es gilt, die Spielweise des Gegners zu bewerten, die Fähigkeiten des Alter Egos korrekt einzuschätzen und Präzision sowie Härte des Schlages angemessen zu dosieren. Per Knopfdruck wird die Schlagart (Slice, Lob, flacher Schlag usw.) und Schlagrichtung festgelegt, die KI erledigt dann bei Ballkontakt die Ausführung des eigentlichen Schlages automatisch. Damit, so die Idee der Entwickler, könne sich der Spieler völlig auf die taktische Ausrichtung des aktuellen Ballwechsels konzentrieren.

Für mehr Abwechslung sollen verschiedene Bodenbeläge sorgen, auf denen gespielt werden kann. Teppich, Rasen, Sand oder feinstes Stäbchenparkett – alles kein Problem. Breakpoint verspricht hier natürlich authentisches Verhalten von Ball und Spielern.

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Dabei kann man sich die Filzkugel mit einigen prominenten Gestalten um die Ohren hauen. Insgesamt 30 lizensierte Spieler sind dabei (25 Männer, 5 Frauen), eine übersichtliche Anzahl, die aber laut Breakpoint noch mittels kostenfreier DLCs aufgestockt werden soll. Mit diesen Profis kann man sich in einfachen Einzelmatches messen oder gleich den Karrieremodus starten. Wer es lieber langsam angehen lassen möchte kann sich erst einmal in der Tennisschule in vielerlei Tutorials austoben und die Spielmechanik erlernen.

Leider ist besagte Tennisschule wenig einladend geraten: Am Fließband werden hier vorgegebene Übungen nach und nach mittels Menüeintrag absolviert; das Spiel kontrolliert hier lediglich, ob ein bestimmter Move oft genug erfolgreich wiederholt wurde. Große Lerneffekte bleiben hier aus.

Überhaupt wirken die Spielmodi allgemein wenig einladend. Der Karrieremodus bietet zu Beginn einen Charaktereditor, der mit rudimentär noch wohlwollend umschrieben ist. Mit unserem kommenden Star spulen wir dann in einem Kalender Monat für Monat ab und absolvieren entweder kleine Turniere oder Trainingsübungen (die gleichen wie aus der Tennisschule). Je besser wir abschneiden, desto höher steigen wir in der Weltrangliste auf. Das ist aber so unglaublich steril und langweilig inszeniert, dass es einfach nur anödet. In Zeiten eines NBA 2K mit seinen ausgefeilten Karrierestorys, die sogar die eher konservative FIFA-Reihe in Grundzügen adaptiert, ist es schlicht mehr zeitgemäß, nur von Menü zu Turnier zu Menü zu Übung zu Menü gesteuert zu werden. Es ist einfach nur langweilig.

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Die Langeweile setzt sich im Gameplay fort – schon beim Aufschlag. Der Auftakt jedes Ballwechsels gerät teilweise zum Glücksspiel, denn anders als bei anderen Tennissimulationen gibt es keine Markierung und auch kein Fadenkreuz, das den Aufsetzpunkt des Balles angibt. Je nach Länge des Feuerknopfdrucks variiert die Aufschlaghärte, je nach Länge des Steuerkreuzdrucks variiert die Position des Aufsetzpunktes. Leider gibt das Spiel überhaupt kein Feedback darüber, wo der Ball denn jetzt aufsetzen wird – weder verändert sich die Körperhaltung der Spielfigur noch gibt es irgendein anderes Feedback. So verlässt man sich zu schnell auf die sicherste aller Varianten und tippt einfach nur kurz den Feuerknopf an, um den Ball zumindest unfallfrei übers Netz zu bekommen.

Hat man sich an den fummeligen Aufschlag gewöhnt, merkt man schnell, dass sich das unangenehme Spielgefühl durch das komplette Gameplay zieht. Ob Topspin, Lob, Flachschlag oder Stoppball – immer wird durch Dauer des Feuerknopfdrucks die Schlaghärte vorgegeben. Leider sind die Eingabebefehle des Steuerkreuzes dem Spiel dabei nicht gleichermaßen wichtig. So kommt es oft genug vor, dass man ewig in die freie Ecke des Spielfeldes zielt, um den Gegner mit einem wuchtigen Schlag an die Grundlinie mattzusetzen, der Schlag dann aber trotz aller Knöpfchendrückerei einfach nur stur geradeaus übers Netz fliegt.

Durch den Fokus weg vom Schlagtiming ergeben sich kuriose Situationen. Die Figuren sind hauptsächlich darauf gepolt, eine einmal angefangene Animation auch zu Ende zu bringen. Verständlich, schließlich hat Breakpoint diese aufwändig mit Profispielern im Motion Capturing-Verfahren erstellen lassen. Das treibt aber, um beim bereits genannten  Beispiel zu bleiben, schon beim Aufschlag seltsame Blüten. Es kann nicht sofort mit Spielstart aufgeschlagen werden – nein, erst muss man brav warten, bis die Spielfigur den Ball ordnungsgemäß drei- bis fünfmal auf den Boden aufgedotzt hat, erst dann, nach Abschluss der Aufdotz-Animation, lässt das Spiel den Aufschlag zu. Zwar dauert diese Animation nur ein paar Sekunden, doch die reichen schon aus, um den Spielfluss sehr zu bremsen (obwohl streng genommen der Ballwechsel noch gar nicht angefangen hat).

Während des Ballwechsels tauchen ebenfalls Momente auf, die in diese Richtung gehen. Sprintet man auf Schultertastendruck zu einem weit entfernten Ball, akzeptiert das Spiel das Schlagkommando erst dann, wenn die Abbrems-Animation des Sprints abgeschlossen ist. Da können schon mal die entscheidenden Sekundenbruchteile fehlen. Manchmal positioniert man sich optimal zum Ball, hält die Schlagtaste gedrückt und zielt – nur um festzustellen, dass sich der Spieler dann seitwärts wegbewegt, anstatt zum Schlag auszuholen.

Es sind viele dieser kleinen Gameplay-Macken, die den Spielfluss großflächig stören und mal so gar keinen Flow aufkommen lassen.

Spiel – 0:1

Neben einer guten Spielbarkeit lebt ein Sportspiel auch von einer ansprechenden Atmosphäre. Das authentische Mittendrin-Gefühl stellt einen großen immersiven Reiz des Genres dar. Wo die Konkurrenz von Sega und EA teilweise überragende Inszenierungen auf TV-Niveau auf den Bildschirm zaubert, hält sich Tennis World Tour vollkommen zurück. Nach einem Ballwechsel läuft immer die gleiche Cutscene ab – das konnte auch schon Super Tennis 1991 auf dem Super NES leisten. Sonstige Sequenzen gibt’s kaum, noch nicht mal ein kleines Filmchen zur Siegerehrung, wenn im Karrieremodus eines der monatlichen Turniere gewonnen wurde – da darf zur Belohnung dann der übliche Statistiksalat weggeklickt werden und das war es dann auch schon. Business as usual.

Während des Ballwechsels gibt es für Ohr und Aug wenig Erquickendes: Die Grafik wirkt unzeitgemäß, bestenfalls auf PS3-Niveau – hier können lediglich die hübschen Bodentexturen der Spielflächen überzeugen. Musikalisch dudelt belanglose Fahrstuhlmusik durch die Menüs, während der Action auf dem Platz herrscht fast eisige Stille: Erst das Update auf Version 1.02 bringt die Zuschauer dazu, ab und an auch mal hörbar zu applaudieren. Nach Ballwechseln lässt ein lustloser englischer Kommentator ein paar Floskeln ab, die sich nach zehn Minuten wiederholen.

Fazit

Es hätte so schön sein können, doch Breakpoint hat diesen Versuch einer ernsthaften Tennissimulation total in den Sand gesetzt. Das Gameplay ist mehr als dürftig, was jetzt nicht unbedingt am Ansatz „Kontrolle statt Timing liegt“ – der ist einfach nur mies umgesetzt. Die völlig sterile Inszenierung lässt noch nicht mal ansatzweise Flair aufkommen, die Grafik sieht aus wie von anno 2008 und wieso die Zuschauerränge erst durch ein Update ihre Stimme finden, sagt auch schon viel über das Qualitätsmanagement beim Entwickler aus. So bleibt unterm Strich eine herbe Enttäuschung und einmal mehr der Zorn darüber, dass ein Hersteller um jeden Preis den Veröffentlichungstermin halten wollte – zum Betatester kann man ja immer noch den Kunden machen. Wer eine PS4 besitzt, sollte sich das fantastische PS2-Remake Everybody’s Tennis aus dem PSN-Store downloaden. Das ist zwar keine Simulation, macht aber um Längen mehr Spaß als dieser Versuch hier.

Tennis World Tour
Grafik/Präsentation
36
Story/Atmosphäre
29
Gameplay
45
Spielspaß
48
Leserwertung0 Bewertungen
0
40