Mass Effect: Andromeda im Test – Ein Nerd im Weltall

Der Abschluss diverser Videospielreihen in Trillogieform bedeutet in den wenigsten Fällen auch das endgültige Ende der jeweiligen Serie. Beliebte und erfolgreiche Franchises sind Haupteinnahmequellen der Industrie und feiern seit etlichen Jahren immer wieder (nicht wirklich) überraschende Comebacks. Ausnahmen gibt es dabei wenige. Seien es die Xbox-Leitfiguren Master Chief und Marcus Fenix oder der stets schlechtgelaunte Spartaner-Wüterich Kratos. Sie alle erlebten über mehrere Spiele bahnbrechende Geschichten deren Ausgang in den meisten Fällen nach drei Ausgaben recht final wirkte. Die Motivation viel Geld zu verdienen lässt viele Hersteller jedoch gerne mal mehr und mal weniger kreativ werden, um diese eigentlich abgeschlossenen Geschichten samt deren Helden, erneut in die Schlacht zu schicken. Warum ich euch das alles erzähle? Das neueste Werk der Rollenspiel-Giganten Bioware schlägt mit Mass Effect: Andromeda in eine ähnliche Kerbe. Am 9. März 2012 konnte man den Reapern in Mass Effect 3 endgültig den Stecker ziehen und die Reihe um Commander Shepard war zu Ende erzählt. Am 15. Juni 2015 verkündete man auf einer Pressekonferenz von Electronic Arts jedoch feierlich, dass Bioware uns demnächst mit Mass Effect Andromeda beglücken werde. Nun weitere knappe zwei Jahre später steht besagter Titel in den Regalen und tut so, als hätte es Mass Effect 1-3 nie gegeben. Was dahinter steckt und wie kreativ die Autoren der neuen Sci-Fi-Saga wirklich waren, verraten wir euch in unserem Test.

Kett statt Reaper

Für mich persönlich stellte sich bei Betrachtung der früheren Trailern zu Mass Effect: Andromeda immer die Frage, wie man wohl an die erste Trilogie anknüpfen möchte, da diese, nun ja, abgeschlossen war. Kennern der Serie ist sicherlich zudem auch aufgefallen, dass die Charaktere sehr deutliche, wenn nicht gleiche, Ausrüstung wie die der Shepard-Ära nutzen. Die Erklärung liefert der neuste Teil recht plausibel und schnell innerhalb der ersten Minuten. Zwischen dem zweiten und dem dritten Teil wurde eine Initiative ins Leben gerufen, die sich damit beschäftigt, neue Welten für die bekannten Völker der Menschen, Turianer, Salarianer und Asari zu suchen und zu kolonisieren. Dazu senden diese Völker zahlreiche Freiwillige samt Material in einer großen Weltraum-Arche in eine fremde Galaxie. Wer damals in der Schule in Physik gut aufgepasst hat, der weiß, dass so eine Galaxie ziemlich groß ist. Bei Bioware waren jedenfalls ein paar Autoren, die sich noch an den Physik-Unterricht der Schule erinnern konnten. Das Spiel startet mit der Ankunft der Menschen-Arche in der Andromeda-Galaxie. Gedanken um die Milchstraße und die Ereignisse von damals braucht sich dort aber niemand mehr zu machen, da die Crew 634 Jahre in Stasis-Schlaf verweilte und damit eine wirklich lange Reise hinter sich hat. In Andromeda  angekommen, findet ihr allerdings keine der versprochenen goldenen  Welten vor, sondern landet in einem ziemlichen Chaos. Nach dem etwa zweistündigen Intro, ist es fortan überraschenderweise eure Aufgabe euch um das ganze Schlamassel zu kümmern. Schlamassel bedeutet in diesem Fall eine neue Galaxie, samt dutzender Planeten zu bevölkern, alte unbekannte Alien-Relikte zu erforschen und einem neuen Feind, den Kett, die Stirn zu bieten. Ich wüsste auf Anhieb nun wirklich nicht, welches Spiel mir jemals höhere Ziele vorgegeben hätte.

Mass Effect erfindet sich nicht neu

Mass Effect: Andromeda tritt dabei perfekt in die Fußstapfen des dritten Teils, da es sich fast aller Elemente aus dem Vorgänger bedient und diese lediglich sinnvoll erweitert. Bioware setzt also auch im neusten Teil auf die Mischung aus Third-Person-Shooter und westlichem Rollenspiel, wobei schon eher geballert, als geredet wird. Wer also auf eine Wendung hin zu den Wurzeln aus Teil 1 gehofft hat, muss sich wohl damit abfinden, dass auch in Andromeda primär die Action das prägende Gameplayelement darstellt. Nicht ganz in die Fußstapfen passt leider die neue Crew, die euch mit Gewehr und Biotik zur Seite stehen soll. Wobei man fairerweise zugeben muss, dass der alte Cast mit Garrus, Liara oder Tali drei Ausgaben Zeit hatte, einem ans Herz zu wachsen. Aber auch die Dialoge erscheinen im Gegensatz zu den Vorgängern nicht mehr ganz so pfiffig und locker und wirken teilweise irgendwie lustlos geschrieben. Sonst hat man es sich bei Bioware im Grunde genommen recht einfach gemacht. Andromeda fühlt sich fast ein wenig wie Mass Effect 3.5 an. Denn dass man 634 Jahre in eine andere Galaxie unterwegs war spürt man nicht wirklich. Die Völker sind dieselben wie sonst auch, die Waffen ebenfalls und irgendwie fühlt man sich eher wie in einem Spin-Off, statt in einem neuen Teil oder gar einer neuen Galaxie. Hier wurde für mich doch recht viel Atmosphäre verschenkt und ein neues Grund-Design wäre vielleicht angebrachter, würde dann aber natürlich nicht mehr zur Geschichte passen.

Neue Welten – Alte Prinzipien

Natürlich wird euch in Andromeda nicht alles „bekannt“ vorkommen. Wie ihr vielleicht bereits auf den Bildern seht, wurde den Designern in vielen Dingen freie Hand gelassen und die Ergebnisse beeindrucken mit tollen architektonischen Bauwerken und wunderbaren Farbverläufen samt toller Lichteffekte. Wie bereits erwähnt, hat sich das Gameplay nicht merklich geändert. Noch immer absolviert ihr auf der Hauptbasis Nexus zahlreiche Dialgog-geprägten Aufgaben, die mit allerhand politischer Laufarbeit verbunden sind, während die Außenmissionen auf den neuen Planeten eher von der bleihaltigeren Sorte sind. Rollenspiel-Enthusiasten wird daher der Fokus sicher wieder ein wenig zu stark auf der Action liegen. Ich beispielsweise bin eher den Actionparts zugeneigt und verfluche oft die viele Lauferei (inkl. Ladezeiten) und möchte ein wenig mehr beschäftigt werden. So schreckt es mich auch nicht ab, dass auf den zu kolonisierenden Welten auch zahlreiche Kett-Stützpunkte und große Hauptbasen ausradiert werden müssen und sich diese Missionen wirklich wie ein reiner Shooter spielen. Die Wahrheit liegt also irgendwo in der Mitte und jeder Einzelne muss selber abwägen wie viel Action oder wie viel Rollenspiel er verträgt. Mir persönlich gefällt die Mischung wieder einmal sehr gut, da man so seinen Questlog der Lust und der jeweiliger Stimmung anpassen und abarbeiten kann. Bei vielen der gestellten Aufgaben müsst ihr euch am Ende auch wieder zu diversen moralische Entscheidungen durchringen oder euch bei zwei Fraktionen auf die eine oder andere Seite stellen.

1,2 – Feuer frei!

Wenn alles Reden nicht mehr hilft, greift ihr auf den Außenmissionen zum altbewährten Mittel – zur Waffe. Dann spielt sich Mass Effect: Andromeda wie seine Vorgänger als Third-Person-Shooter. Zugegeben: Es gibt bessere Third-Person-Ballermänner, gerade in Bezug auf die Deckungsmechanik. Diese ist wieder etwas hakelig in der Umsetzung, wobei der Gedanke sicher nett gemeint war. Nähert ihr euch in Gefechten nämlich einem Objekt platziert sich Ryder dort hinter und verschanzt sich so vor feindlichem Beschuss. Dabei bleibt ihr jedoch öfter an irgendwelchen Ecken hängen, gewöhnt euch mit der Zeit aber an die gesamte Mechanik. Der Rest der Kämpfe geht so weit gut von der Hand. Neben einem Nahkampf-Angriff stehen euch wieder zahlreiche Sturmgewehre, Schrotflinten oder Pistolen zur Verfügung. Mindestens genauso wichtig wie eure Schießeisen sind in den Duellen mit Kett und Co. auch eure Fertigkeiten. Euren Helden könnt ihr dabei recht frei und bunt gemischt skillen. Die Basis dafür bilden die drei Themengebiete Kampf, Biotik und Technik, in denen sich jeweils ca. zehn weitere Fertigkeiten befinden, die sich wiederrum alle bis Stufe sechs aufwerten lassen. Wer keine Lust auf allzu viel Kreativität hat, der steckt seine gewonnenen Erfahrungspunkte alle in ein Thema, andere basteln sich einen Biotik-Techniker oder mischen einfach jede Themen-Gattung  in ihrem Ryder.

Neue Zivilisationen erschließen

Neben all den Unterhaltungen und Kämpfen ist ein weiteres Standbein des Spiels das Ressourcen-Management. So eine neue Galaxie, sowie auch euer Team, benötigen schließlich Ausrüstung. So hat man bei Bioware dem Universalwerkzeug einen praktischen Scanner verpasst, mit dem ihr nun in bester Star Trek-Manier durch die Gebiete schlendert und Informationen sammelt. Informationen gibt es in den drei Kategorien Milchstraße, Kett und Relikte. Sie geben euch bei erfolgreichem Scan der jeweiligen Gegenstände Forschungspunkte in diesem Bereich. Nun könnt ihr diese Punkte dafür einsetzen neue Baupläne der jeweiligen Kategorie zu erforschen, wobei diese alle ziemlich ähnlich sind, da es überall nur die Gattungen Waffen, Rüstungen und Mods gibt. Habt ihr einen Bauplan mit den Forschungspunkten freigeschaltet, benötigt ihr im nächsten Schritt selbstverständlich auch das entsprechende Material zu Herstellung. Material könnt ihr auf Planeten finden, bei Händlern kaufen oder als Belohnung für Missionen abstauben. Hier greift euch der spaßige Online-Modus unter die Arme, mit dem sich Materialien farmen lässt.

Andromeda – Ein zweischneidiges Schwert

Zu ihrer Zeit gehörte die Mass Effect Reihe technisch, sowie grafisch immer zu den absoluten Vorzeige-Projekten der Industrie. Hier enttäuscht uns der neuste Teil leider etwas, da die Qualität doch sehr schwankt. Alleine die ersten beiden Planeten in den Story-Missionen zeigen dieses Beispiel sehr deutlich. Während Eos mit seiner kargen Wüste und den unspektakulären Texturen keinen Mund mehr zum Öffnen anregt, haut einen die Farbgestaltung samt Setting und Artdesign von Havarl ansatzlos aus den Space-Socken. Solche Beispiele an Gegensätzen ließen sich beliebig weiterführen und stellen einen Tester vor unbequeme Schwierigkeiten, da eine Bewertung dadurch gut abgewägt werden muss. Der erste größere Patch ist zudem auch bereits erhältlich und verbessert den technischen Aspekt der Weltraum-Saga auch noch einmal. Etwas untypisch ist scheinbar, dass ich mit der Test-Version auf Xbox One bisher keinerlei Bugs begegnet bin. Die Framerate bricht hier und da während größerer Gefechte ein, lief sonst aber sehr solide.

Online wieder Horde-Modus

Eine wirklich sehr nette Dreingabe ist auch in Andromeda wieder der Online-Modus. Dieser unterscheidet sich zwar kaum gegenüber dem Vorgänger, ist jetzt aber nicht mehr nötig, um die Singleplayer-Kampagne zu beeinflussen. (In Mass Effect 3 konnte man nur durch Absolvieren der Online-Einsätze die Rufbereitschaft so weit erhöhen, dass man das beste Ende erreichen konnte.) Viel mehr spielt ihr jetzt brauchbare Ressourcen frei und farmt während der spaßigen Baller-Orgien nebenbei für euren Kampagnen-Fortschritt. Ein Feuerteam besteht aus vier menschlichen Spielern, die aus einigen vorgefertigten Standard-Klassen wählen können. Diese Klassen levelt ihr mit gewonnen Erfahrungspunkten weiter hoch und schaltet mit Itempacks neue Skins frei. Die Runden laufen dabei eigentlich immer sehr ähnlich ab. Ihr müsst eine bestimmte Anzahl an Gegnerwellen überstehen und nebenbei öfters kleine Aufgaben auf der Karte erledigen. Mal hetzt euch die Kommando-Stimme zu verschiedenen Computer-Terminals, damit ihr Daten herunterladen könnt oder ihr werdet angewiesen Sprengladungen zu entschärfen oder besondere Boss-Gegner zu eleminieren. Absolvieren lassen sich die Missionen in vier verschiedenen Schwierigkeitsstufen, wobei man seinen Charakter bzw. die Klasse für die höheren Stufen schon entsprechend aufwerten sollte, wenn man nicht zu sehr auf die Mütze bekommen möchte.

Fazit

Ein Fazit zu Mass Effect: Andromeda ist eine schwierige Sache. Die Neuerungen sind eher punktuell, die Technik teilweise durchwachsen und unterm Strich wirkt alles mehr wie ein Spinoff der Hauptreihe. Trotzdem ist auch Mass Effect: Andromeda ein gutes Action-Rollenspiel geworden, welches qualitativ einfach nicht mehr ganz an seine Vorgänger heranreicht und ein bisschen in der Wahrnehmung unter Abnutzungserscheinungen leidet. Das Grundgerüst bietet euch jedoch den bekannt hohen Umfang, reichlich Abwechslung (inkl. New Game +) und für Fans der Serie einfach mehr Mass Effect Stoff.

Mass Effect: Andromeda
Grafik/Präsentation
79
Story/Atmosphäre
83
Gameplay
84
Multiplayer
78
Spielspaß
84
Leserwertung1 Bewertung
100
82