Little Nightmares im Test – Ein Gruselspiel mit Zuckerguss

Wenn Tim Burton ein Spiel gemacht hätte, das die tiefen Abgründe und Schreckensmomente der Kindheit ans Tageslicht befördern und dunkle Geheimnisse in ein glitzerbuntes Geschenkpapier verpacken würde, dann besitzt man ein Gefühl davon, was Little Nightmares ausmacht. Die schwedischen Tarsier Studios, bisher am ehesten durch ihre LittleBigPlanet-Reihe bekannt, wagen sich in neues Terrain: Alptraum-Horror. Wer sich zudem mit Schlagworten wie surreal, skurril und schräg anfreunden kann und einen Mix aus Jump’n‘ Run, Puzzle- und Stealthspiel offen gegenübersteht, der kann sich auf die abgedrehte Odyssee aus abstrusen Kindheitsträumen mit dem vermummten Mädchen Six einlassen.

Nein, es ist kein Limbo

Das sei gleich gesagt, denn die Vergleiche zu dem Puzzle-Platformer von 2010 von den Entwicklern Playdead sind zu groß, als dass es einem nicht sofort auffallen würde. Ein kleines Kind in einer düsteren von Schreckensmomenten gespeisten Welt, in der es ums Überleben kämpft. Doch hat Little Nightmares nur dieses Grundmuster mit Limbo gemeinsam. Augenscheinlich diente es Tarsier Studios als Inspiration für ihr eigenes Gruselwerk. Einerseits glänzt es durch das “Tim Burton” ähnliche Artwork, welches einen mit seiner stockfinsteren Atmosphäre sofort in seine eigene kleine Welt zieht und das Spiel prägt. Andererseits ist es die Grundidee, Kinderängste wiederaufleben zu lassen, die einem reizvolle, ungemütliche Spielstunden bescheren, welche teilweise wirklich unter die Haut gehen. Ähnlich wie bei Limbo oder jüngst Typoman dient die Hintergrundstory nicht dazu, eine Aussage zu tragen sondern mehr als ein Gerüst, um einen Bezug zum Spiel herzustellen. Wir sind Six, ein von einem Regenmantel verhülltes Barfuß laufendes Mädchen, dass eines Nachts in einer Alptraumspielwelt erwacht und sich dort mit den unbekannten Gefahren auseinandersetzen muss. Als „Waffe“ besitzen wir ein Feuerzeug, das uns in abgedunkelten Bereichen Licht spendet, was aber natürlich dazu führt, dass wir sichtbar werden, weswegen wir abwägen müssen, ob wir doch nicht lieber im Dunkeln bleiben. Weiterhin können wir laufen, springen, klettern, Sachen aufheben und Schalter betätigen, doch die größte Fähigkeit wird wohl des Spielers Verstand sein, um all die kleinen Physikrätsel zu lösen, die verstreut im Spiel darauf warten, gelöst zu werden. Ebenso wird Six hin und wieder von massiven Hungerattacken heimgesucht, sodass sie ihren Schritt verlangsamt und irgendwann stehen bleibt. Da gilt es schnell, etwas Essbares zu finden, bevor sie umkippt.

Erst nach und nach erfährt der Spieler anhand der Spielgeschehen selbst, sprich ohne Text oder Dialog, dass Six dem sogenannten Schlund entkommen will, einer grauenhaften von „Erwachsenen“ erschaffenen Welt, um Kinder festzuhalten. Erwachsene ist hier in Anführungszeichen, da die Wesen mit riesigen Köpfen, kurzen Stummelbeinen und zu langen Armen eher an grotesken Versionen von Menschen erinnern. Jedenfalls haben die Kerle, darunter ein Puppenmacher und zwei Köche, es alle auf Six und die anderen Kinder abgesehen. Warum das alles geschieht, bleibt unklar, ebenso in was für einer Welt wir uns eigentlich befinden. Zu Beginn erinnert alles an ein Gefängnis oder Sanatorium, schließlich glaubt man in einem Schiff zu sein, dann wiederum in einer Küche. Little Nightmares spielt die Alptraumkarte gezielt aus. Als Spieler sind wir stets im Unklaren, was mit uns geschieht und wohin es gehen wird, da die Welt sich ständig verändert. Ebenso wirkt das Spielgeschehen selbst stets etwas undurchsichtig und schwammig, die Kameraführung wie ein betrunkener Seemann und das Interior der Räume viel zu groß und leicht verschoben, was die Atmosphäre, sich in einem Traum zu befinden, erstklassig wiederspiegelt.

Kleine Six ganz groß

Damit Six nicht in einen der vielen Abgründe stürzt, ein Blutegel sie schnappt, einer der Kamera-Augen sie erwischt oder einer der Erwachsenen-Wesen sie ergreift, ist sie auf des Spielers kluges Köpfchen angewiesen, um die vielen, eher beschaulichen Rätsel zu lösen. Das kann von Schalter-Spielereien, Kisten schieben, um zu höheren Plattformen zu gelangen, bis hin zu Countdown-Aufgaben reichen, in der das Mädchen vor den Erwachsenen wegrennen muss. Besonderer Umstand dabei und auch Teil des Spiels ist, dass Six geschrumpft scheint, alle Gegenstände viel zu groß sind, sodass beispielsweise ein Bett ohne entsprechendes Hilfsmittel in Form eines Koffers gar nicht zu erklimmen wäre. Was die Rätsel angeht, ist das alles nicht komplett neu und ausgefallen, doch sind die Knobeleien gut im Gesamtkonzept des Spiels integriert und fügen sich perfekt ein. Nehmen wir das Beispiel von eben: Das Bett, welches durch den Koffer erklettert worden ist, von diesem wiederum geht es weiter über Schubladen auf eine Kommode, wo sich ein Schlüssel befindet, mit dem wir eine hinter einer hohlen Wand verdeckten Tür aufsperren können. Viele solcher Aufgaben begegnen einem im weiteren Spielverlauf. Oftmals ist man auch unter Zeitdruck, sich vor den Erwachsenen zu verstecken und zum Beispiel in einem Karton unterzutauchen und abzuwarten, bis die Lage sich beruhigt hat. Dies gibt Little Nightmares neben dem Puzzle-Element auch das Gefühl, sich in einem Stealth-Game zu befinden. Leises, überlegtes Vorgehen zahlt sich fast immer aus, Jump’n’Run-artiges Losrennen ist fehl am Platz, was zudem schnell schwierig wird, da Six rasch die Puste ausgeht. Allgemein muss man besonders wachsam sein, was die Steuerung angeht. Selbst wenn es wegen dem Alptraum-Setting Teil des Gesamtkonzepts gewesen sein soll, dass Six etwas träge und ungenau zu koordinieren ist, ist man spätestens beim dritten fehlgeschlagenen Sprung auf eine Plattform genervt, dass man da nicht mehr Feinschliff aufgewendet hat. Aufgrund dessen, dass Little Nightmares kein Sidescroller, sondern wirkliche 3D-Umgebungen darstellt und wir das Mädel auch dementsprechend in alle Richtungen steuern können, wir das Geschehen aber trotzdem zu gefühlt 90 % in der Seitenperspektive spielen, kann es mitunter zu Orientierungsschwierigkeiten beim Springen oder Klettern kommen. Ein Kern des Problems bildet dabei auch die Kamera, die oftmals viel zu langsam agiert.

Zugunsten des einmaligen Gruselerlebnisses ist man jedoch schnell geneigt, über diese Makel hinwegzusehen. Leider kann man nicht darüber hinweg sehen, dass selbst nach einigen Spielstunden nicht mehr viel Neues in Sachen Gameplay kommt. Und dabei verläuft die Spielzeit bei normalen Durchspielen bei etwa 5 bis 8 Stunden. Schnell hat man das Spiel mit den Physik-Rätsel raus, weiß, wo man klettern und Schalter betätigen soll, ebenso wann und wo man vor den Erwachsenen in Deckung zu gehen hat. Da fehlt es an Innovationen. Kinderalpträume bieten so viel Stoff, dass man da ruhig mehr aus der Ideenkiste hätte greifen können.

Kleines Atmosphären-Wunder

Letztlich ist es der Stil des Spiels selbst, das einen in seinen Bann schlägt. Oft geschieht es – zum eigenen Nachteil – dass man in einem der wie aus einem Bilderbuch stammenden Räume stehen bleibt und waghalsig gestapelte Bücher betrachtet, im Verlies eines Puppenmachers dessen schreckliche Kreationen bewundert, in einer Küche dem Koch bei seinem makabren Handwerk zuschaut oder dem Lichterspiel von Six‘ Feuerzeug folgt, um abgedunkelte Ecken auszuleuchten und vielleicht etwas Neues zu entdecken. Die Unreal Engine 4 kann sicher mehr leisten, doch haben die Entwickler diese bewusst runtergeschraubt, um dem Spiel gerecht zu werden. Allerdings gibt es auch da einige Schnitzer, beispielsweise, dass die Gegner zum Teil nicht flüssig animiert sind und auch das Leveldesign an einigen Stellen doch eher trist geraten ist. Insgesamt gesehen macht es dem Grusel-Ambiente allerdings keinen Abbruch. Horror-Atmosphäre wäre nur die halbe Miete, wenn es neben Grafik nicht auch eine entsprechende Soundkulisse gäbe. Und da punktet Little Nightmares vollends. Die unheimliche Stimmung, sei es knarrende Holzdielen, dröhnende Rohren oder die unheimlichen Geräusche, welche die Erwachsenen von sich geben und damit signalisieren, wo sie sich befinden, das alles wird von passenden Musikstücken begleitet, die niemals vordringlich sind, sondern das Geschehen entsprechend einkleiden.

Fazit

Little Nightmares besticht sofort durch seine unverwechselbare Optik. Diese, kombiniert mit der umwerfenden Gruselatmosphäre, geprägt durch ein wunderbares Artwork und entsprechender Soundkulisse, lassen einen sogleich in die episodenhafte Welt aus wiederbelebten Kindheits-Alpträumen entschwinden. Man ist so sehr in dieses Kleinod verliebt, dass man geradezu gewillt ist, über spielerische Schwächen hinwegzusehen. Doch leider schafft es auch das schönste Schauer-Ambiente auf Dauer nicht zu verbergen, dass es in Sachen Gameplay an Innovationen fehlt. Die Physik-Rätsel sind einfach zu knacken, das Spielprinzip aus Schalter drücken, Schlüssel finden sowie den Erwachsenen ausweichen, schleichen und verstecken, sind schnell durchschaut. Wenn das Game mit seinen unter 10 Spielstunden nicht bereits zu Ende wäre, würde schiere Langeweile entstehen. Die einzig wirklichen Frustmomente können durch die Steuerung entstehen, die 3D-Umgebung und die schwammige Kamera tragen ebenso dazu bei, das man sich oft verklickt und von Gegnern entdeckt wird. Letztlich sticht Little Nightmares dennoch aus der Masse ähnlicher Platform-Puzzler heraus. Wer sich gerne gruseln will und das ohne jegliche brutale Splatterorgien, liegt mit dem Spiel genau richtig.

Little Nightmares
Grafik/Präsentation
85
Story/Atmosphäre
88
Gameplay
72
Spielspaß
82
Leserwertung0 Bewertungen
0
82