A Plague Tale: Innocence im Test – Ein Nerd unter Ratten

Die Helden meines neusten Abenteuers haben einen echt schlechten Zeitpunkt für ihre Reise und Probleme gewählt. Amicia und Hugo sind ein ungleiches Geschwisterpaar und müssen sich um 1349 mit gleich zwei ernst zunehmenden Sorgen herumplagen. Zum einen wütet mit der Pest die wohl schlimmste Seuche der Menschheitsgeschichte im Land und zum anderen hat es die kirchliche Inquisition auf den kleinen Hugo abgesehen. In all diesem Durcheinander versuchen unsere zwei Protagonisten nun also irgendwie aus dem Schlamassel, in den sie geraten sind, wieder heraus zu finden. Wer mich und meine spielerischen Vorlieben kennt, wird sich vielleicht jetzt schon etwas ins Fäustchen lachen. Zwei Jugendliche, die sich gegen den schwarzen Tod und schwer gerüstete Inquisitionsritter wehren sollen? Wie soll denn das funktionieren? Spoiler vorweg: Im Grunde genommen gar nicht. A Plague Tale richtet sich nämlich an Leisetreter – Schleichen und Verstecken ist also angesagt. Wie das mir, der lebenden Axt im Walde gefallen hat, erfahrt ihr im Test.

Pech und Unglück bei den De Runes

Wie es sich für ein narratives Story-Adventure so gehört, findet der Einstieg und das Tutorial eher ruhig und gemächlich statt. Amicia und ihr Vater, der Landlord eines größeren Anwesens, befinden sich auf der Jagd bzw. beim Training. Wie es sich für damalige Verhältnisse gehört, darf die junge Französin nämlich nicht zur Waffe, respektive dem Schwert greifen. Da ihr Vater jedoch möchte, dass sie sich zu wehren weiß, bekommt Amicia regelmäßig Unterricht mit ihrer Steinschleuder (Bitte nicht mit einer Flitsche verwechseln). Nach einigen Grundlagen über das Schleichen und Schießen erahnen wir nach einem spektakulär traurigen Zwischenfall gegen Ende des Tutorials bereits, dass sich das friedlich-idyllische Familienleben bald erledigt haben wird. Wie man bereits in diversen Trailern mitbekommen hat, sind Amicia und ihr kleiner Bruder Hugo sehr bald auf sich alleine gestellt und werden von der Inquisition gejagt. Hugo, der separiert von den anderen Bewohnern in einem extra eingerichteten Trakt des Anwesens wohnte, berichtet Amicia davon, dass ihm öfter ein befreundeter Heiler seiner Mutter zur Seite stand. So führt die Suche der beiden euch also zuerst durch ein kleines Dorf bis ihr durch zahlreiche Unterbrechungen und Umwege besagtes Anwesen erreicht.

Der Star der Reise ist die Reise selber

Bis dahin vergehen mit guten 3-4 Stunden auch ca. 4 Kapitel. Da bei A Plague Tale: Innocence halt in der Story der primäre Aspekt des Spiels liegt, erzähle ich euch an dieser Stelle erst einmal nicht wie es weitergeht und widme mich anderen Dingen. Es sei nur so viel verraten: Die Geschichte kann man eher als Drehbuch einer längeren Reise sehen. Anders als bei vielen modernen Spielen lässt sich die Story nicht durch Quests oder Nebenaufgaben aussetzen, sondern ihr folgt in einer Art Story-Schlauch der hervorragend abwechslungsreichen Geschichte die wirklich mit zahlreichen ereignisreichen Highlights gespickt ist. Dabei ist die Erzählweise herrlich pur und direkt und überzeugt mit realistischer Darstellung und Handlungen, die einfach total authentisch wirken. Alles was euch auf eurem Weg passiert, wirkt nie aufgesetzt oder Lücken füllend. Jedes Kapitel ist dabei ein kleiner individueller Abschnitt dieser langen Reise und thematisiert völlig unterschiedliche Szenarien.

Spielen müsst ihr zwischendrin aber auch

Wie eingangs bereits erwähnt ist das reine Gameplay im Spiel selber etwas abgespeckt bzw. nicht sonderlich komplex. Zumindest nicht in der ersten Hälfte der Spielzeit. Hier gilt es simplere Timing- und Umgebungs-Puzzle zu lösen, um entsprechende Wege zu öffnen. Feindliche Soldaten könnt ihr beispielsweise zu Beginn des Spiels gar nicht ausschalten und lenkt diese immer nur ab um unbemerkt an ihnen vorbei zu schleichen. Die erste Zeit verfügt ihr auch über recht wenig Möglichkeiten bzw. wiederholt sich die Taktik sehr häufig. In der Regel werfen wir Steine auf Kisten mit metallischen Rüstungsteilen oder Tonkrüge die bei Aufprall zerschellen. Das daraus entstehende Geräusch veranlasst die jeweilige Wache die Gegend dort zu inspizieren und verlässt dafür ihre eigentliche Position. Im späteren Spielverlauf erlangt ihr jedoch auch noch andere Möglichkeiten wie ihr euch einer Wache entledigen könnt und selten müsst ihr mal etwas kombinieren. Eigentlich müsst ihr nur an einer Stelle wirklich schnell vorgehen, weil ihr zwei Wachmänner nacheinander ablenken müsst um weiter zu kommen. Hier wäre es mir lieb gewesen, einige der Items etwas früher zu erhalten und somit die ersten Stunden etwas abwechslungsreicher zu gestalten. Die erste Abwechslung kommt mit den wirklich fiesen Ratten. Durch den schwarzen rauchigen Dunst erahnen wir auch schon, dass die gefräßigen Biester nicht ganz normal zu sein scheinen.

Gewinner jedes Hotdog Wettessens

Die Ratten sind die andere große Gefahr im Spiel. Vom Leib halten kann man sie sich nur durch Feuer und Licht im Allgemeinen. Im Rudel zu je Hunderten zerfressen sie Menschen, Schweine oder auch alles andere in bester Piranha Horrorfilm Manier binnen Sekunden. Im Spiel bedeutet das: Sobald ihr nicht aufpasst und ein paar der Viecher berührt, werdet ihr von ihnen überrannt und sterbt. Die ersten Begegnungen sind jedoch auch recht simpel und erfordern nicht sonderlich viel Hirnschmalz. Oder um es mit den Worten eines Spieletesters zu sagen – Die Lernkurve des Spiels ist äußerst gnädig. Mit jedem vergangenen Kapitel und mit jeder Spielstunde ziehen die Rätsel jedoch zumindest ein wenig an. Später im Spiel kombiniert ihr Licht– und Logikrätsel um die teuflischen Nager auf unliebsame Feinde zu lenken oder müsst auch mal den ein oder anderen Kampf absolvieren. Diese gehen jedoch flott und schnell von der Hand. Wachen ohne Helm knockt ihr mit einem Steintreffer aus, Wachen mit Helmen müssen vorher eine Art Säuregeschoss einstecken, damit sie den Helm abnehmen.

Crafting und Optimierung der Ausrüstung

Vielleicht etwas ungewöhnlich aber sehr willkommen ist die Tatsache, dass sich eure Ausrüstung im Spiel aufrüsten lässt. Dazu sammelt ihr allerhand Material in den Leveln. Durch Einsatz von Schnüren, Leder und Stoffen verbessert ihr die Kapazitäten eurer Munitionsbeutel oder eurer Materialtaschen. Eure Schleuder verbessert ihr ebenfalls mit Handwerkszutaten. Damit lässt sie sich schneller und effektiver bedienen. Weitere Arten des Materials sind verschiedene Chemikalien wie Schwefel, Alkohol oder Salpeter. Damit erschafft ihr Feuerbomben oder besagte Säuregeschosse womit sich die Möglichkeiten ein Rätsel zu lösen, aber auch die Beseitigung der Feinde immer mehr erweitert. Fast schon zum guten Ton gehören auch diverse kosmetische Sammel-Gegenstände. In der Kapitel-Auswahl könnt ihr fairerweise genau nachsehen, wo ihr welches Item übersehen habt. Seien es Kuriositäten, Geschenke oder bestimmte Blumen. Für Sammelfreunde lohnt es sich also doppelt jede Ecke genau abzusuchen, um alles Auffindbare zu entdecken. Beachten müsst ihr als Spieler, dass das Material für die Aufrüstung eurer Ausrüstung dasselbe ist, wie für die zahlreichen verbrauchbaren Materialen. Ist es euch also zu kompliziert eine Wache erfolgreich zu umgehen und ihr wollt sie lieber anderweitig loswerden, verbraucht ihr pro Spezialschuss -oder Bombe immer auch Material, welches eure Ausrüstung verbessern könnte. Gute Planung ist also zwingend erforderlich.

Frankreich um 1349 sieht echt schön aus

Neben der Augenscheinlich schicken reinen Optik, überzeugt mich im Punkt Grafik/Präsentation vor Allem das Artdesign. Gleich im Tutorial fällt einem das auf eine merkwürdige Art und Weise auf. Der Wald den ihr mit eurem Vater durchstreift, ist ein perfektes Abbild eines westeuropäischen Waldes. Ihr erkennt Bäume und Pflanzen, weil ihr sie aus der Realität kennt. Die Anordnung und die gesamte Aufmachung sind einfach täuschend echt. Das mag banal klingen, oder ich habe plötzlich einen realistischen Wald-Fetisch, aber für mich steigern solche Details die Grundstimmung beim Spielen. Diese Tatsache zieht sich durch das gesamte Spiel. Jedes Szenario wirkt überraschend authentisch und wie aus einem Guss. Das betrifft Architekturen in Dörfern oder Umgebung und Natur im Freien. Auch der Grusel -und Gorefaktor ist erschreckend genau dargestellt. Zerfressende Leichen von Tieren und Menschen wirken an manchen Stellen schon wirklich “eklig”. Die Optik kann mitunter aber auch sehr schwanken. So sind manche Areale und Abschnitte im Spiel wirklich auch technisch schön anzusehen, während aber auch manche Gebiete mit hässlichen und verwaschenen Texturen nerven.

Neben Ratten fanden auch Bugs ihren Weg ins Spiel

Dafür punkten dann wieder die zahlreichen Videosequenzen mit toll detaillierten Figuren und Animationen. Die Vertonung könnt ihr frei zwischen deutsch, französisch oder englisch wählen. Letzter unschöner Punkt im Spiel sind jedoch auch die Bugs. Am Ende von Kapitel vier weigerte sich ein NPC beharrlich nach meinem (äußerst vermeidbaren) Neustart ein Event korrekt auszulösen. Nach etlichen Neustarts von Checkpoints bis Spiel und Konsole half am Ende alles nichts und ich musste das gesamte Kapitel neustarten. Ärgerlich. Dazu gesellten sich ein Absturz und ein plötzlich verschwundener Charakter, der auch wiederum eine Sequenz starten sollte. Letztere Stelle gelang nach dem Neustart des Checkpoints dann glücklicherweise ohne große Probleme. Nach dem Laden war die Nervosität aber schon deutlich spürbar, weil ich nicht noch einmal ein Kapitel auf solch eine ärgerliche Weise neustarten wollte. Am 09.05.2019 konnte ich jedoch einen Patch laden, wonach erstmal keine Auffälligkeiten mehr auftraten.

Fazit:

A Plague Tale: Innocence schafft es gleich vom ersten Moment sogar bekennende Schleich-Muffel wie mich zu begeistern. Durch die schicke Optik und die fantastisch inszenierte Geschichte rund um Amicia und Hugo nehme ich auch die genretypischen Schwächen im Gameplay gerne in Kauf. Wobei das Spiel als solches auch ganz klar genug klassisches Gameplay bietet. Eine Art interaktives Comic, müsst ihr hier nicht fürchten. Nach anfänglich eher leichten und simplen Rätseln, steigt die Kurve und Komplexität stetig an und bietet später auch die ein oder andere Kopfnuss, dessen Lösung sich nicht gleich auf den ersten Blick zu erkennen gibt. Durch das Material-Management und die Sammel-Items kommen sicher auch Entdecker auf ihre Kosten. Über allem thront jedoch die Abenteuerreise der Geschwister De Rune, die mich zu keinem Zeitpunkt gelangweilt hat. Fans narrativer Abenteuer erwartet klar ein Highlight, aber auch Spieler, denen solche Spiele normal nicht zusagen, sollten dennoch einen Blick riskieren.

A Plague Tale: Innocence
Grafik/Präsentation
84
Story/Atmosphäre
90
Gameplay
79
Spielspaß
85
Leserwertung15 Bewertungen
34
Tolle Geschichte
Nachvollziehbare Charaktere
Schönes Artdesign
Angenehme Sammelaufgaben
Später im Spiel knifflige Rätsel
Etwas wenig Abwechslung am Start des Spiels
Schwerwiegende Bugs
Material Management
85