Dreamfall Chapters im Test – Ein Abenteuer für Traumtänzer?

Es gibt Spiele, die nicht im Jahresrhythmus fortgesetzt werden. So weit, so gut. Fies wird es, wenn ein Spiel mit dem Koma der Hauptakteurin anfängt und auch aufhört. So geschehen bei Dreamfall: The Longest Journey, welches 2006 für Xbox, 2008 als Downloadtitel für Xbox 360 erschien und selbst der Nachfolger zu Funcoms 2000er gleichnamigen Adventure The Longest Journey war. Federführend hinter beiden Titeln war ein gewisser Ragnar Tørnquist, der 2012 das Studio Red Thread Games gründete, um Dreamfall weiterzuführen. Nach erfolgreicher Kickstarter Kampagne durften PC-Spieler, allerdings in Episodenform, bereits von 2014 bis 2016 in den Genuss kommen. Mit dem nun vorliegenden ‚Final Cut‘ können auch Konsolenspieler endlich wieder in die Welt von Dreamfall abtauchen und bekommen hier natürlich direkt das vollständige Spielerlebnis am Stück. Aber hat sich die Wartezeit auch gelohnt?

Two Worlds

Die Welt von Dreamfall sind eigentlich gleich zwei Welten. Zum einen die Welt Stark entspricht “unserer” Erde im Jahr 2219, einer technisch bestimmten Welt mit teils ziemlich klaren Cyberpunkelementen. Die andere Welt, Arcadia, ist eine magische Welt, technisch aber eher mittelalterlich. Und dann wäre da noch die Zeit der Geschichten, welche man als Traumzeit oder auch Traumwelt bezeichnen könnte. Hier starten wir mit Zoe Castilloin unser neues Abenteuer, die sich immer noch im besagten Koma befindet.

Zoe wurde im Rahmen der Vorgängerhandlung von ihrer eigenen Mutter in dieses Koma versetzt, um Geheimnisse über WatiCorp, den Hersteller der Dreammachines, unter den Tisch zu kehren. Dreammachines lassen Menschen Dinge träumen, die sie erleben wollen, haben aber auch starke Nebenwirkungen und können abhängig machen. Während Zoes Körper im Koma gefangen sein mag, kann sich ihr Geist frei bewegen und so ist eine unserer ersten Aufgaben, einem Mädchen zu helfen, dessen Dreammachine-abhängige Mutter sie ebenfalls zur Nutzung der Dreammachine gezwungen hat. Natürlich wollen wir auch aus unserem Koma erwachen und zurück nach Stark. Bevor die Handlung dort weitergeht gibt es aber erst ein kleines Intermezzo in Arcadia, wo wir die Rolle von Kian Alvane übernehmen, der aus dem Gefängnis auszubrechen versucht. Klingt ausgesprochen verwirrend und ist es zu Beginn auch, falls man noch gar keine Vorkenntnisse zu Dreamfall besitzen sollte. Zwar erzählt Chapters eine durchaus interessante und spannende Geschichte, Neulingen wird der Einstand aber vermutlich nicht leicht fallen.

Storytime

The Longest Journey galt zur Jahrtausendwende neben Titeln wie Syberia als eines der neuen Adventures schlechthin, was nicht zuletzt an der Story und der hervorragenden Erzählweise lag. Zwar wurde Dreamfall, für andere Gameplay Elemente durchaus kritisiert, konnte insgesamt trotzdem noch punkten.

Tatsächlich gilt das auch für Dreamfall Chapters. Charaktere sind meist keine einfachen Stereotypen, die Handlung nimmt schon relativ früh eine ganze Reihe von Wendungen und Verwicklungen, unser Handeln hat auch ziemlich schnell erste Konsequenzen. So könnt ihr, wie ich, bei Zoes Job als Assistentin mit Scheißbot konfrontiert werden. Oder auch mit einem anderen Bot. Scheißbot taugt nicht wirklich viel, wozu überhaupt, das müsst ihr halt herausfinden.

Eine freiwillig auferlegte Aufgabe ist der Wahlkampf für eine gemäßigt linke Partei. Hier werden wir aber auch mit einer neuen radikalen Rechten, klassischen Konservativen und Marxisten konfrontiert. Und während Zoe etwa versucht, Überzeugungsarbeit bei der chinesischen Händlergruppe zu leisten, stellt sich nach und nach immer mehr die Frage, ob alles ist wie es zu sein scheint.

Gleichzeitig treibt Kian die Handlung in Arcadia weiter. Wer sich mit der Reihe auskennt weiß bereits, dass das alles nicht auf so simplen Bahnen bleibt und Chapters führt mit Saga auch noch einen neuen, übrigens wieder weiblichen, Hauptcharakter ein. Gerade diese Charaktere, die für sich alle keine Übermenschen sind, gehören dabei nach wie vor zu den Stärken der Reihe. Die freundliche, smarte aber auch ziellose und manchmal ziemlich unsichere Zoe Castillo wirkt nach wie vor ausgesprochen glaubwürdig, aber auch einfach ziemlich sympathisch. Das Spiel macht hier aber nicht halt sondern präsentiert auch reichlich interessante Nebencharaktere. Mit gelungenem Dialogsystem und den Konsequenzen, die unsere Entscheidungen immer wieder haben kann Dreamfall Chapters wirklich punkten.

(Not so) High Tech

Auch das generelle Weltdesign hinterlässt einen guten Eindruck, die Technik dagegen nicht wirklich. Genau genommen wirkt Dreamfall Chapters, zumindest visuell, weitgehend häufiger mal ziemlich antiquiert. Viele Texturen lösen eher niedrig auf, Haare sind nach Stand der Technik im Jahr 2004 ausmodelliert und ganz allgemein haben die Umgebungen oft einen Detailgrad, der selbst auf PlayStation 3 und Xbox 360 nicht gerade herausragend gewesen wäre. Dazu kommen handgemachte und schon mal etwas holprige Animationen. Gelegentlich können diese auch für ein gewisses Maß an unfreiwilliger Komik sorgen, die meiste Zeit aber sind sie zumindest funktionell ok. Zu einem gewissen Grad kann das stimmige Design die Technikmängel ausbügeln, leider funktioniert das aber nicht immer. Akustisch gibt sich Chapters da schon eine ganze Ecke runder. Musikalisch ergibt sich durch die Bank ein sehr stimmiges Bild, die englische Tonspur wirkt auch sehr professionell, die deutsche schwankt je nach Sprecher allerdings etwas. So wird Zoe sehr professionell von Marion von Stengel gesprochen, unter anderem lange Zeit die Stimme von Lara Croft. Leider halten hier nicht alle deutschen Sprecher das gleiche Niveau, das Endergebnis geht aber locker in Ordnung.

Dreammachine

Dreamfall Chapters macht nicht alles richtig und stellenweise merkt man hier auch gut, wie sehr storylastige Spiele von einem höheren Budget profitieren können. was aber auch daran liegt, dass Red Thread Games wirklich ambitioniert waren. Entscheidungen haben im Spielverlauf immer wieder spürbare Konsequenzen, auch wenn oft nicht absehbar ist, welche Entscheidung uns am Ende zu welchem Ergebnis führen wird. Gleichzeitig ist Dreamfall Chapters dabei ein richtiges Spiel. Unsere Protagonisten können sich ziemlich frei in der Spielwelt bewegen, zugegeben meist eher simple Rätsel und eine ganze Reihe meist sehr gelungener Dialoge wollen absolviert werden. Dem gegenüber steht manch seltsame und nervige Designentscheidung wie Joggingtempo (als maximale Bewegungsgeschwindigkeit) wenn man den linken Trigger hält. Hier war man bei der Konsolenportierung wohl nicht fleißiger als zwingend nötig. Allgemein ist das Thema Steuerung nicht unbedingt eines der Highlights des Spiels, dank eher gemächlichem Spieltempo und ruhigem Spielverlauf ist das aber völlig unproblematisch.

Wer keine Probleme mit den kleinen Schönheitsmängeln hat bekommt mit Dreamfall Chapters ein alles in allem gelungenes, sehr storylastiges Adventure. Zugegeben ist Kenntnis der Vorgänger zwar gerade anfangs hilfreich, zwingend nötig ist es allerdings auch nicht.

Fazit

Nein, Dreamfall Chapters ist nicht frei von Mängeln. Ja, die Technik gehört klar zu den Mängeln. Zwar läuft das Spiel ziemlich rund, es sieht aber auch ziemlich antiquiert aus. Könnt ihr über die Mängel hinweg sehen bekommt ihr dennoch ein insgesamt gelungenes, “richtiges” Adventure. Freunde knallharter Rätselkost könnten allerdings enttäuscht werden, wirklich schwierig ist Dreamfall Chapters nie. Dafür aber wesentlich mehr Spiel als das obligatorische Pseudo Adventure im Telltale Stil.

Dreamfall Chapters
Grafik/Präsentation
73
Story/Atmosphäre
84
Gameplay
74
Spielspaß
76
Leserwertung0 Bewertungen
0
77