Trüberbrook im Test – Deutsches Spiel, deutsches Genre

Deutsche Spieler stehen seit Jahrzehnten auf zwei Nischengenres: Fußballmanagement-Spiele und Point’n’Click-Adventures. Headup Games hat letzteres auf die Beine gestellt, innerhalb von Stunden Kickstarter-Ziele erreicht und mit dem Ergebnis namens Trüberbrook sogar auf dem Deutschen Computerspielepreis 2019 abgeräumt. Was kann der teutonische Genrebeitrag?

Worum geht’s?

Wir steuern den jungen US-amerikanischen Physiker Hans Tannhauser, der sich 1967 in das von allen und allem verlassene Kaff Trüberbrook, mitten in der deutschen Provinz, verirrt. Offenbar der Hauptgewinn in einem Preisausschreiben – dann will man lieber nicht wissen, was Platz 2 und 3 waren. Größte Attraktion im fiktiven Dorf ist der große See mit Bergpanorama im Hintergrund sowie ein eigenes Kino. Als es sich Tannhauser in seinem Zimmer in der örtlichen Pension zur ersten Nachtruhe gemütlich macht, taucht eine Gestalt übernatürlichen Ursprungs auf und stiehlt ihm sämtliche quantenphysikalischen Aufzeichnungen aus seinem Gepäck. Da gibt’s nur eines: nichts wie hinterher! Und schon verschlägt es den Spieler vom idyllischen Dörfchen in eine Irrenanstalt und ein geheimes Untergrundlabor. Hinter der ländlich-bewaldeten, öden Fassade entfaltet sich nach und nach eine Geschichte à la „Eureka“ – inklusive parallelen Universen und künstlichen Intelligenzen.

Großes Kino

Was nach dem Start sofort auffällt, ist die nahezu fotorealistische Grafik. Die Entwickler setzten auf Photogrammetrie, einem speziellen Vermessungsverfahren. Hier möchten wir einmal ganz klassisch Meyers Lexikon zitieren: „Aufnahme und Auswertung ursprünglich nur fotografischer Messbilder zur Bestimmung von Beschaffenheit, Form und Lage beliebiger Objekte. Die Photogrammetrie erfährt heute eine bedeutende Ausweitung dank neuartiger Bildaufnahmegeräte und der digitalen Bildverarbeitung als Folge der Möglichkeiten von Optoelektronik, Computertechnik und digitalen Massenspeichern.“ In der Konsequenz laufen wir durch beeindruckend realistische Pseudo-3D-Bildschirme, die mit Tiefe begeistern. So muss unser Tannhauser tatsächlich „hintenrum“ am Brunnen vorbeilaufen. Als i-Tüpfelchen sind alle Figuren auf den Bildschirmen handgebaute Modelle, die in ihren Stop-Motion-artigen Bewegungen ein wenig an die Knetfigur-Clique von „Shaun das Schaf“ erinnern. Diese Animationstechnik lässt in Kombination mit der Photogrammetrie einen begeisternden Modelleisenbahn-Look entstehen. Grafisch ein großer Genuss.

Genretypisch sind die Begleitmusiken stets passend und variationsreich, teilweise erinnern die Kompositionen an Neil Young. Weiterhin sind die eingesetzten Sprecher teilweise schwer prominent. Greta Lemke wird von Nora Tschirner gesprochen, Lazarus Taft von Dirk von Lowtzow, Dr. Heinrich von Streck gar von Jan Böhmermann. Die restlichen Sprecher sind weniger prominent, aber nicht weniger professionell, was das Spiel unterm Strich auch akustisch zu einem ganz großen Wurf macht.

Bewährte Rätselkost

Was das Genre auszeichnet, sind typische Kombinations-, Dialog- und Schalterrätsel verschiedener Couleur. Hier geht der Titel keine neuen Wege, sondern beschränkt sich auf Bewährtes. Per Knopfdruck zeigen kleine Kreuzchen auf dem Bildschirm alle Objekte an, mit denen interagiert werden wird. Das ist für Hardcore-Tüftler fast schon cheaten. Allerdings zeigt sich schnell, dass durch dieses Mittel lästiges Pixeljagen entfällt, weil man mal wieder irgendwo eine Kleinigkeit übersehen hat. Die Rätsel sind dabei grundsätzlich fair gestaltet – lediglich bei längeren Kombinationsrätseln, die sich über mehrere Bildschirme erstrecken, wird es mitunter zu bunt und künstlich konstruiert. Da hilft dann nur noch Trial and Error.

Um das Geschehen aufzulockern, kann Tannhauser auf Befehl des Spielers eigene Gedanken auf ein Diktiergerät sprechen (und dabei eine gewisse Beverly ansprechen, was unweigerlich Assoziationen zu Twin Peaks weckt). Auch kann das Gameplay ein wenig Variation in die Rätselkost bringen, so gilt es beispielsweise einen Rohrschach-Test zu überstehen.  Insgesamt haben aber die Rätsel nicht die Klasse heißgeliebter LucasArts-Titel, der moderate Schwierigkeitsgrad macht den Titel dann aber wiederum auch wieder familientauglicher. Zu moderat ist allerdings die Automatikfunktion des Inventars: Beim Klick auf ein Objekt schlägt das Ringmenü sofort automatisch vor, welcher Inventargegenstand sich hiermit sinnvoll kombinieren lässt. Auch, wenn der Spieler von selbst gar nicht drauf kommen würde. Das ist eine zu starke Form der Simplifizierung.

Überhaupt, die Rätsel. Was sind gute Rätsel in einem Adventure? Bei guten Rätseln bekommt man schon ein Ziel oder auch schon Ansätze zu Zielerreichung und die Frage, wie man dieses Ziel erreicht. Die Lösung (mit oder ohne Nutzung von Hinweisen) kommt aus dem Spiel heraus. Thimbleweed Park hat das zuletzt großartig gemacht. In Trüberbrook gelingt diese Kunst leider nicht: Der Spieler hat keine Teilziele vor Augen, sondern macht halt Sachen, die man immer macht. Die total bekloppten Ideen halten sich in Grenzen und das Rumprobieren wird dadurch entschärft, dass man Objekte aus Spielwelt und Inventar nicht frei kombinieren kann.

Die Story, als zweiter elementarer Bestandteil eines Adventures von großer Bedeutung, sollte sich (so war wohl der Plan)peu à peu  aufbauen und dann entfalten. Im Laufe des Spiels werden die Science-Fiction-Elemente immer raumgreifender. Auch mit physikalischen Fachbegriffen wird mitunter nicht gespart, wobei sich der Titel allerdings alle Mühe gibt, deren mitunter arg komplexen Hintergrund auch für Laien verständlich zu formulieren.  Leider haben die Designer das nur in Ansätzen hinbekommen: Trüberbrook wirkt wie eine zusammengenähte Sammlung von kreativen Ideen, Geschichten in der Geschichte und Anekdoten, wobei sich alles leider nie zum großen Ganzen zusammenfügt. Zudem fehlt ein bisschen Biss, wenn schon ein Jan Böhmermann eine Sprecherrolle bekommt, warum lässt man ihn sich mit seinem Humor dann nicht auch ein wenig austoben? Wo Entwickler bildundtonfabrik doch schließlich auch sein Neo Magazin Royale produziert.

Fazit

Da hatten sie sich so viel für Trüberbrook vorgenommen – und dann bleibt der Titel auf halber Strecke liegen. So großartig die Technik ist, so enttäuschend ist das Rätseldesign insgesamt. Es gibt durchaus einige Kopfnüsse, doch an Genre-Größen wie Thimbleweed Park oder den frühen Daedalic-Titeln scheitert Trüberbrook krachend. Das macht aus dem Titel jetzt lange noch kein schlechtes Spiel, nur muss man es halt auch irgendwo einordnen. So gelungenen die nerdigen Anspielungen sind, so rar sind sie gesät. Und insgesamt zeigt sich das Charakterdesign oberflächlich und klischeebehaftet, was dem Ganzen jetzt auch keine Tiefe verleiht. Zudem macht das Spiel aus seinem Setting im Jahre 1967 überhaupt gar nichts. Kalter Krieg, Beatmusik und sexuelle Freiheit waren nur einige Themen, welche die damalige Zeit prägten. Davon ist in Trüberbrook nichts zu spüren.

Genrefans werden also die Nase rümpfen und in fünf Stunden durch sein, die können sich aber an der gelungenen Grafik erfreuen. Alle anderen Gelegenheits-Adventurezocker werden mit Trüberbrook aber vergnügliche Stunden erleben und den Titel hoffentlich als Eingangstür in die Welt der großen Point’n’Clicks nutzen.

Trüberbook
Grafik/Präsentation
88
Story/Atmosphäre
56
Gameplay
64
Spielspaß
68
Leserwertung3 Bewertungen
57
tolle Grafik
passende Musik
leichte Zugänglichkeit
kurze Spieldauer (5 h)
enttäuschende Rätsel
zu viel ungenutztes Potential
69