Test: Street Fighter V – Capcom bringt sein Beat’em-Up-Schwergewicht in den Next Gen Ring

Mortal Kombat? Ganz nett, setzt aber mehr auf blutige Schauwerte. Dead or Alive? Auch ganz nett, setzt aber eher auf weibliche Schauwerte. Nein, in Puncto Gameplay und Charaktervielfalt führt für mich im Genre des Beat’em Ups seit seligen SNES-Zeiten kein Weg an Street Fighter vorbei. Es versteht sich also von selbst, dass ich dem neusten Teil Street Fighter-Reihe, welcher dieses Mal konsolenexklusiv für die Playstation 4 erscheint, sehnlichst entgegen warte. Street Fighter, das bedeutete für mich immer lange und spannende Matches vor der Kiste mit Freunden oder seit dem vierten Teil auch online. Sich in die Moves eines Charakters einarbeiten, den Spielstil des Gegenüber analysieren und seiner eigenen Taktik anpassen, all diese Dinge hielten mich über Konsolengenerationen hin weg an dieser Spielreihe. Zudem war es erfreulich zu hören, dass Street Fighter V wohl das einzige Street Fighter werden soll, also keine lästigen „Alpha“, „Super“, „Hyper“ oder „Championship“-Editions wie man es aus den vorherigen Teilen im bester Capcom-Manier gewohnt war. Neue Kämpfer sollen per Download nachgereicht werden und entweder für Echtgeld oder im Spiel gewonnen „Fight Money“ bezahlt werden. Wer also fleißig spielt, muss nicht zwingend für neue Inhalte dazu Zahlen, was für bisherige Capcom-Verkaufsverhältnisse schon fast einer Revolution gleich kommt. Die Voraussetzungen für das „beste Street Fighter aller Zeiten“ sind also gegeben. Ob es diesen Ansprüchen gerecht wird, oder kolossal nach der zweiten Runde K.O geht, werden wir im folgenden Text erfahren. Also, tief durchatmen, Kräfte sammeln und „Round one, FIGHT!“.

In der Ruhe liegt die Kraft

Wie bei den meisten Spielen dieser Generation, kommen wir auch bei Street Fighter 5 erst einmal um einen Day-One-Patch nicht herum mit einem nicht gerade geringen Datenvolumen von etwa 6 GB. Also heißt es vor dem ersten Kampf erstmal warten und sich anderweitig beschäftigen. Nach einer Wartezeit, in der ich gefühlt den Ikea-Katalog ins Lateinische hätte übersetzen können, ging es nun endlich los. Nach einem eindrucksvollem Intro, das mich schon richtig heiß auf das Spiel machte, kam aber erstmal wieder ein kleiner Wartedämpfer. Anmelden im „Capcom Fighters Network“. Nach einigen kreativen Verzögerungen „ID-Name schon vergeben“ oder „ID-Name zu kurz“ und Anmeldeschwierigkeiten gelang ich dann endlich ins Hauptmenü des Spiels. Für Online-Kämpfer stehen Rang-Matches und Freundschaftsspiele auf dem Plan. Zudem können sogenannte Kampflounges eingerichtet werden. Wer sich bei Letzten allerdings darauf gefreut hat, seine 6 Street Fighter-Kumpel auf eine Freundschaftstournier einzuladen wird schnell enttäuscht. Bisher ist es nur möglich die Lounge für einen befreundeten oder fremden Mitstreiter zu öffnen. Doch bevor ich mich in die weite Online-Welt auf der Suche nach würdigen Duellen begebe, halte ich es für das Beste, erst einmal meine etwas eigerosteten Fähigkeiten aufzufrischen und ein paar Soloduelle gegen den CPU zu spielen.

Geschichten im Faltblattformat

Für Solisten bietet Capcom bisher die Modi „Story“ und „Survival“, zudem können im Trainingsmodus die Eigenheiten des Kampfsystems und Fähigkeiten der wählbaren Kämpfer geübt werden, doch dazu später mehr. Im Story-Modus wählte ich, schon fast traditionell, als erstes Ryu und freute mich auf ein paar lockere Runden gegen den Computer. Eingeleitet wurde alles mit einer netten aber nicht umwerfenden Comiczeichnung die zumindest vertont eine Geschichte erzählt. Schon nach der ersten Runde zählt mein Match als gewonnen und es geht weiter im Text. Nun gut, dachte ich, anscheinend wurden die Runden auf eins reduziert, komisch aber naja, schauen wir mal wie es weiter geht und naja was soll ich sagen, nach zwei weiteren Kämpfen war die Geschichte um Ryu schon fertig erzählt. Das Ganze in weniger als 5 Minuten und nicht mal ein abschließendes Video gab es zum Dank. Merklich verwirrt schaute ich mir die Beschreibungen der Kämpfer etwas genauer an und siehe da, die Anzahl der Kämpfe im Storymodus schwanken charakterübergreifend zwischen 2 und 4 Matches. Nach nicht einmal einer Stunde hatte ich die Geschichten aller 16 Kämpfer zu 100% durchgespielt und dabei die Inhalte schon teilweise wieder vergessen, da sie größtenteils wirklich belanglos daher kamen. Nachdem ich später diesbezüglich im Internet recherchierte erfuhr ich, dass Capcom wohl in etwa einem halben Jahr einen Storymodus mit animierten Sequenzen nachreichen möchte. Bis dahin werden Solospieler wohl nur noch auf den Survivalmodus zurückgreifen können. Hier ist es eure Aufgabe, 30 Kämpfe hintereinander und mit nur einem Lebensbalken zu meistern. Nach jedem gewonnenen Kampf kann man sich hier für erspielte Punkte gewisse Boni wie „höhere Angriffsstärke“ oder „bessere Verteidigung“ und das Wichtigste „Lebensbalken aufladen“ für das nächste Match kaufen. Das ist Anfangs ganz nett, verliert aber nach einigen Runden auch schnell seinen Reiz.

Insgesamt zeigt sich Street Fighter V daher für Solisten von einer sehr schwachen Seite.

Alte Bekannte…

Kommen wir zu den Kämpfern. 16 Charaktere mag zunächst nach etwas wenig klingen, doch unterscheiden sich die Kontrahenten, im Vergleich zu den älteren Teilen, bezüglich ihrer Spielbarkeit, deutlich voneinander. Da wären beispielsweise Ken und Ryu. Unterschieden sich die beiden Recken während der „Street Fighter 2“-Zeit kaum voneinander, so haben sie über die Jahre und viele Serienteile hinweg doch ihre eigenen Stile gefunden und spielen sich im fünften Teil nun doch sehr unterschiedlich. Ryu war, ist und bleibt der Meister der Feuerbälle, die Hadoukens beherrscht er wie kein Zweiter in allen Größen und Farben und kann sie neuerdings auch mit zusätzlichen Elektroschaden versehen. Ken hingegen hat sich weiter auf Hurricane-Kicks spezialisiert und kann nun sogar ihre Flugbahn mittels Trittstärke variieren, was ihn noch unberechenbarer macht. Auch sein Dragon Punch ist nach wie vor entflammbar und gefährlich für alle Gegner die versuchen ihn aus der Luft anzugreifen. Auch weitere alte Bekannte wie M. Bison, Vega, Cammy und Chun Li haben es in den neuen Serienteil geschafft. Ihre Spielweise unterscheidet sich hingegen jedoch teilweise deutlich von den vorherigen Street Fighter-Spielen. So musste der ein oder andere langjährige Vega-Fan entsetzt feststellen, dass seine Special-Moves nicht mehr denen eines Chargers, also Charaktere die ihre Spezialangriffe mittels aufladen durch Halten einer Richtungstaste auslösen, entsprechen, sondern Vega nun auch zu den Shotokans, gehört. Bei diesen handelt es sich wiederum um Charaktere wie beispielsweise Ken, die auf die berühmten Viertelkreis-Drehungen und Z-Bewegungen vertrauen um ihre besonderen Attacken auf den Gegner los zu lassen. So müssen sich also auch langjährige Spieler in einigen Bereichen deutlich umgewöhnen.

…und neue Gesichter

Zu den bereits bekannten Charakteren, gesellen sich auch vier komplett neue Kämpfer. Auf weiblicher Seite feiert die Brasilianerin Laura ihr Debüt. Die heißblütige Kämpferin setzt auf eine Kombination aus schnellen Tritten und Würfen im Jiju-Jitsu-Stil und kann zudem ein Blitzprojektil abfeuern. Zudem präsentiert sie sich in manchen Outfits, die mich vergessen lassen, dass ich hier ja eigentlich Street Fighter und nicht Dead or Alive spiele. Der Zweite neue im Bunde ist Necalli, ein Kämpfer unbekannter Herkunft mit der wohl beeindrucktesten Dread-Frisur die selbst Bob Marley vor Neid erblassen lassen würde. Mit auslösen des V-Triggers (dazu später mehr) lässt er sein Haar und seinen Körper rot aufleuchten und ist dadurch nicht nur stärker, sondern kann auch noch auf neue Fähigkeiten zurückgreifen. Darunter auch eine Form des Blanka-Dashs (der es übrigens nicht in den fünften Teil geschafft hat). Der Dritte neue Kämpfer hört auf den Namen Rashid und dürfte vor allem auf Grund seiner arabischen Herkunft, von AFD-Anhängern als bevorzugter Gegner gewählt werden. Dies wird sich jedoch als schwieriges Unterfangen rausstellen, denn Rashid ist verflucht schnell unterwegs und kann mit seinen Dash- und Wirbelwind-Attacken dazu auch noch mächtig austeilen. Das schwarze Schaf unter den neuen Mitstreiter markiert, als vierter und letzter Neuer im Gepäck, der Kämpfer Fang. Er sieht aus wie einer der „dünnen Männer“ aus Xcom und sein Kampfstil erinnert an eine Mischung aus „Drunken Master“ und „Zugvögel-Imitation“. Unterschätzen sollte man diesen „schrägen Vogel“ jedoch keines Falls, seine Giftattacken verursachen nach gelungenem Treffer nämlich so lange Schaden bis er selbst einen Treffer einsteckt. Insgesamt wird das Street Fighter-Universum um 4 interessante Individuen erweitert, die auch   aufgrund ihrer unterschiedlichen Kampfstile genug Abwechslung mit sich bringen.

 

V für Victory

Neu im nach wie vor famosen Kampfsystem von Street Fighter V ist das sogenannte „V-System“. Dieses unterteilt sich in drei Unterkategorien welche dem Spiel eine Vielzahl taktischer Möglichkeiten eröffnet. Der „V-Skill“ ist ein Spezialmanöver die bei jedem Charakter durch Drücken der beiden mittleren Agriffstasten ausgelöst wird. Diese lassen sich grob in offensive und defensive Moves einteilen. So pariert beispielsweise Vega durch Aktivierung seines V-Skills eine Attacke des Gegners, während Necalli durch die Aktion auf den Boden stampft und am Standort des Gegenspielers eine Explosion auslöst. Erfolgreich ausgeführte V-Skills so wie eingesteckte Treffer füllen die V-Leiste. Ist diese Leiste halb gefüllt, lässt sich durch Drücken aller drei Schlag- oder Tritt-Buttons aus der Verteidigung heraus ein „V-Reversal“ ausführen. Dabei Handelt es sich um einen mächtigen Kontermove der den Ausgang des Kampfes entscheidend wenden kann. Ist die Leiste Komplett gefüllt, lässt sich zu guter Letzt durch Betätigung der beiden Hart-Buttons der „V-Trigger“ starten. Einmal ausgelöst, erhöht dieser je nach Kämpfer kurzeitig den Schaden der Attacken und eröffnet die Möglichkeit neue Attacken oder Combos auszulösen. Auch hier unterscheiden sich die Charaktere teilweise deutlich voneinander, so kann, wie bereits erwähnt Necalli mit Hilfe des V-Triggers einen Blanka-Dash ausführen. Vega wiederum wirft eine Rose nach dem Gegner und dasht bei erfolgreichem Treffer hinter den Gegner und greift ihn auch, sowohl am Boden als auch in der Luft. Die Möglichkeiten des V-System bieten aufgrund ihrer Vielseitigkeit und unterschiedlichen Ausrichtungen der Kämpfer somit eine Vielzahl taktischer Möglichkeiten im Kampf und lassen sich, anders als die aus Teil vier bekannten Focus-Attacken, auch für Anfänger leichter erlernen. Hier zeigt Street Fighter V in seiner Zugänglichkeit und spielerischen Tiefe den großen Genrekollegen die lange Nase.

Technisches K.O vor der ersten Runde

Ein derzeit nicht zu erwähnendes Angebot für Single-Player könnte man im Prinzip locker verschmerzen, denn im Kern lebte die Street Fighter-Reihe schon immer von ihren spannenden Matches „Mensch gegen Mensch“ und gerade in Zeiten des Breitbandinternets sollte die Suche nach ebenwürdigen Kämpfer ja geradezu grenzenlos sein. Doch leider offenbart das Spiel genau in diesem Punkt seine derzeit größte Schwäche. Gerade in der ersten Woche kämpfte ich mehr mit Serverproblemen und Verbindungsabbrüchen als gegen andere Online-Gegner. Selbst das Erstellen einer Privaten Lounge, für wohlbemerkt einen!!! Online-Freund, stellte sich im ersten Wochenende nach Releasetag als unlösbare Aufgabe heraus. Entweder war der Gesuchte Kumpel einfach nicht zu finden, die Lounge, konnte nicht erstellt oder gefunden werden und hatte es man mal tatsächlich in eine geschafft, so brach die Verbindung daraufhin kurzerhand wieder ab. Auch das automatische Suchen von Gegnern funktionierte suboptimal. So verbrachte ich etwa eine Stunde im Singleplayer eher man nach über eine Stunde einen Onlinegegner für mich fand. Dass die Party zudem auch noch bis zur Unspielbarkeit lagte und eher einer Diashow gleich kam, lasse ich an dieser Stelle besser unkommentiert. Erst etwa eine Woche später war es mir dann möglich Eine „stabile Lounge“ zu erstellen und mit einem Freund ein paar Matches online zu zocken, bis sie dann doch irgendwann wieder abbrach. Derzeit läuft Street Fighter V online noch alles andere als rund, was gerade im Anbetracht der Fokussierung auf den Multiplayer-Modus mehr als ärgerlich ist.

Fazit

Würde ich Street Fighter V allein für seinen spielerischen Tiefgang bezüglich des Kampfsystems und seines grafischen Looks bewerten, so müsste ich hier schon auf einem unglaublich hohen subjektiven Niveau meckern um etwas Negatives zu finden. Wie gerne würde ich mich darüber ärgern das die 16 Kämpfer, wie in den älteren Teilen, keine eigene Stage mit eigenem Wiedererkennungswert haben oder warum zwei der coolsten Säue im Street Fighter-Universum, Sagat und Akuma, einer Flöte wie Fang weichen mussten. Doch soweit lässt mich das Spiel erst gar nicht kommen. Es hakt leider an einigen sehr basalen Features wie einen ausreichend motivierenden Singleplayer Modus oder eines stabilen Online-Service. Würde das Spiel in einem der beiden Punkte schwächeln, so wäre das in Anbetracht des grandiosen Gameplays noch verkraftbar doch in der jetzigen Form, ist der Content von Street Fighter V keinen Triple-A-Vollpreis wert. Da hilft es auch nicht weiter das Capcom verspricht, die Performance weiter in den Griff zu bekommen und einen umfassenden Storymodus sowie weitere Online-Optionen über die nächsten Monate nachzureichen. Ich kann nur bewerten, was mir zum Testzeitpunkt vorliegt und das ist, Stand jetzt, keine 60 Euro wert. Mein Tipp an alle Street Fighter-Fans die bisher unentschlossen sind, wartet etwa ein halbes Jahr und verfolgt in Foren und auf Gaming-Seiten, wie sich das Spiel bezüglich seiner Inhalte und der Serverstabilität entwickelt. Sollte das Spiel bis dahin die angesprochenen Defizite beseitigt haben genügend Content im Solo- und Multiplayer-Modus haben bin ich mir ziemlich sicher, dass Street Fighter V ein weiteres Mal der Genrekonkurrenz zeigen wird, wer der wahre König der Beat’em-Ups ist.

 

Street Fighter V
Grafik/Präsentation
90
Gameplay
93
Spielspaß
70
Leserwertung0 Bewertungen
0
84