Songbird Symphony im Test – Die Überraschung des Jahres

Rhythmusspiele haben besonders in den letzten Jahren enorm an Popularität gewonnen – Guitar Hero und Band Hero sei Dank. Das Genre ist dank der Hero-Reihe sehr viel präsenter als zuvor und hat mittlerweile eine Fangemeinde von respektabler Größe. Nun wagen sich die Entwickler der in Singapur ansässigen Joysteak Studios mit einem sehr kreativen “Mash-Up” ins Feld und haben in PQube glücklicherweise einen Publisher gefunden, der diese Kreativität zu schätzen weiß.

Worum geht’s?

Die Story dreht sich um einen kleinen Vogel namens Birb. Er lebt in einem kleinen, von Pfauen bewohnten Dorf, das von Musik umgeben ist. Er liebt es zu singen und zu tanzen, aber irgendwie gucken ihn die Pfauen immer so schräg an und tuscheln hinter seinem Rücken. Er ist nicht wie die Pfauen, mit denen er lebt. Er ist anders und das weiß er. Birb wurde von einem Pfau aufgenommen und kennt seine leiblichen Eltern nicht. Diese bedrückende Lage, nicht zu wissen, wer er ist oder wer seine Eltern sind, treibt ihn zu einem Abenteuer an: Birb will seine Eltern finden.
Sein Pflegevater schickt ihn zur allwissenden Eule. Die zeigt sich hilfsbereit, Birb bei seiner Suche zu unterstützen, hat vorher aber noch eine Aufgabe für das Küken: Es gilt, im Wald verstreute Vögel aufzuspüren und deren Lieblingslied zu lernen. Dann erlernt Birb nämlich, eine Note zu singen, und wenn er sechs beherrscht, kann die Eule ihm ein Artefakt aktivieren, das ihn zu seinen Eltern führt.
Es ist also eine nahezu märchenhafte Geschichte über das Anderssein. Das hässliche Entlein kommt einem da unweigerlich als Vergleich in den Sinn. Das ist vielleicht ein bisschen kitschig, berührt aber dennoch ungemein.

Die Genres gut verrühren

Das Spiel kommt wie eingangs erwähnt als kreative Mischung daher. Zunächst wirkt es auf den Spieler wie ein ganz normales Jump’n’Run mit rudimentären Fähigkeiten der Spielfigur: Birb kann relativ hoch hüpfen und bei gedrücktem Feuerknopf eine Weile schweben – das war es dann auch. Bei der ganzen Plattform-Hüpferei muss jedoch zwischendurch mal überlegt werden, da nach und nach Puzzle-Elemente hinzukommen: So müssen beispielsweise mehrere recht weit voneinander gelegene Schalter gleichzeitig aktiviert sein, um eine Aufzugsplattform in Gang zu setzen. Als Erweiterung der kleinen Knobelei kommt dann schließlich als drittes der Aspekt des Rhythmusspiels zum Tragen. Ist die besagte Plattform nämlich erst einmal aktiviert, gibt sie eine bestimmte Reihenfolge vor, in der verschiedene Feuerknöpfe gedrückt werden müssen – und zwar exakt in dem Rhythmus, in dem die Reihenfolge auch vorgegeben wird. Erst dann setzt sich der Aufzug in Bewegung. Blindes Knöpfchendrücken bringt also rein gar nichts.

Doch die Rhythmusspielchen greifen noch tiefer. Birb hat auf seiner Reise durch die 2D-Plattformlevels keine kleineren Feinde zu bekämpfen, er kann sich ganz auf den “Kampf” mit der Umgebung und das Lösen der Rätsel konzentrieren. Nach einer Weile kommt er dann aber doch zu einer Art Endgegner, einem großen Vogel, der sich mit Birb im Gesang messen möchte. Dabei gibt der Gegenüber einen “Song”, also eine Tastenfolge, vor, die der Spieler exakt nachmachen muss. Je nach Spielfortschritt müssen wenige oder viele Feuerknöpfe im mehr oder weniger komplexen Rhythmus gedrückt werden, was mitunter in eine ziemlich hektische Drückerei ausartet und für verknotete Finger sorgt. Dabei kann der Spieler allerdings nicht besiegt werden: Selbst bei einem desaströsen Ergebnis, wenn man also gar keine Taste im richtigen Moment gedrückt hat, gilt die Runde als gewonnen. Lediglich das Kampfergebnis ist dann eine Katastrophe – das kann man für sich selbst und seinen Highscore aber aufpolieren, indem man den Gasangs-Battle einfach nochmal neu startet.
Mit jedem besiegten Endgegner lernt Birb eine neue Note, die er verwenden kann. Dadurch wird sein musikalisches Arsenal erweitert und er kann auf neue Bereiche und Levels zugreifen.

Spaß mit Side Quests

Es geht jedoch nicht nur darum, der Hauptgeschichte zu folgen. In jedem Level sind mehrere Musiknoten und Federn verteilt. Um eine Note zu bekommen, muss eine kleine Aufgabe im Level gelöst werden. Beispielsweise muss Birb an einem Hebel ziehen, um eine Wand zu bewegen, die zwei Frösche voneinander trennt. Auf diese Weise können die Frösche noch einmal zusammen singen und übergeben Birb eine Note. Dadurch verändert sich auch die Begleitmusik des Levels ein wenig.
Um das Spiel erfolgreich zu beenden, ist es aber nicht nötig, die Noten zu sammeln. Vielmehr sind sie als optionaler Bestandteil zu sehen, wenn es darum geht, einen Level möglichst komplett abzuschließen. Highscore-Jäger werden daher mitunter noch einmal in ein Level zurückkehren, um wirklich alles aufzustöbern.

Nach gleichem Prinzip funktionieren auch die in den Levels verteilten Federn, die, wenn sie gefunden werden, erst einmal “unbekannt” eingestuft sind. Birb muss den Vogel finden, zu dem die Feder gehört. Schafft er das, werden einige Informationen zu diesem Vogel im Tagebuch vermerkt. Federn dienen also im Wesentlichen als Vogelenzyklopädie; ein zusätzliches Element ohne spielerischen Wert oder Nutzen, dafür aber sehr charmant.

Musik ist Trumpf

Es dauert nicht lange, dann wirkt der Titel auf den Spieler wie ein Musical. Tritt man gegen einen der Endgegner-Vögel an, so wird deren Gesang (der zur nachzuspielenden Musik passen soll) als Text eingeblendet, auf dem Karaoke-mäßig ein gelber Punkt herumhüpft. So hört man zwar keinen Gesang, kann ihn sich durch diesen kleinen Kniff aber dazudenken. Ein bisschen erinnert das an die legendäre Opernszene aus Final Fantasy 6. Nicht nur die Bosse haben eine Menge zu singen, auch die kleinen Nebenaufgaben zum Ergattern der Musiknoten sind sehr musikalisch.

Dass es keinen Gesang gibt, ist den selbst auferlegten Designgrenzen des Entwicklers geschuldet. Nicht nur optisch kommt das Spiel in einem farbenfrohen 16 Bit-Look daher, auch die Musik entspricht den technischen Möglichkeiten der 1990er und wird in einer Art MIDI-Qualität abgespielt. Hier gibt es kein Bombast-Symphonieorchester, sondern synthetische Klänge – und obwohl das zunächst etwas abschreckend altbacken klingt, fügt sich schon nach wenigen Minuten Spielzeit alles zusammen wie aus einem Guss.

Der Soundtrack besteht aus 15 eleganten Songs, die in ihrer Diversität großartig sind. Trotz der Vielzahl der verwendeten Musikstile passen die Stücke auf- und zueinander wie Topf und Deckel. Es ist aber nicht nur der Soundtrack, der harmoniert, sondern auch das visuelle Design. Jede Umgebung ist einzigartig und kombiniert ihre Farbpalette mit kleinen Details, um in der Summe atemberaubend zu wirken. Zudem gab es seit langer Zeit kein Spiel mit so gut gestalteten Charakteren mehr zu sehen. Egal, ob es sich um einen einfachen NPC oder einen Endgegner handelt, alle haben ihre eigene Persönlichkeit und sind ausgefeilt designt. Dazu tragen auch die kindlich-verspielten, in Textboxen erzählten Dialoge bei, die uns beispielsweise unseren ersten Sidekick Egbert unheimlich ans Herz wachsen lassen, obwohl er uns anfangs nur für 30 Minuten Spielzeit begleitet.

Das Geld mag in den AAA-Shootern und jährlichen FIFA-Updates stecken, aber das Herz und die Seele von Videospielen im Allgemeinen stecken in Projekten wie diesem.

Fazit

Es gab 2019 schon soviel AAA-Bombast, es gab so viele gehypte Spiele – doch diese kleine Produktion ist (bisher) mein Spiel des Jahres. Die komplette Produktion wirkt von vorne bis hinten durchdacht, ausgefeilt und nahezu besessen detailverliebt. Zudem beweist Joysteak eindrucksvoll, mit welchen bescheidenden Mitteln selbst ein Jump’n’Run hier eine berührende und warmherzige Geschichte erzählen kann. Unglaublich, welche Immersion dieses kleine Spiel entfaltet, unglaublich, wie schnell man in diese 16 Bit-Welt hereingesogen wird und nicht mehr aussteigen möchte. Obwohl es faktisch nicht möglich ist, zu scheitern, empfindet man nie einen Mangel an Herausforderungen. Ein kleines Märchen für das Kind in uns allen, das wir am Joypad erleben können. Die Vielzahl an verschiedenen Gameplay-Mechaniken wurde hier zu einem großartigen Endergebnis zusammengenäht, flankiert von Technik und Spieldesign auf bestem Niveau. Ein fantastisches Spiel im doppelten Wortsinn – ebenso großartig wie fantasiereich.

 

Songbird Symphony
Grafik/Präsentation
91
Story/Atmosphäre
81
Gameplay
91
Spielspaß
85
Leserwertung0 Bewertungen
0
überragendes Spieldesign
warmherzige Story
großartige Musik
komplexes und doch einfaches Gameplay
87