Silence – The Whispered World 2 im Test – Zwischen Traum und Wirklichkeit

Mit dem ersten Teil The Whispered World startete vor 8 Jahren die Reise des deutschen Entwicklerstudios Daedalic Entertainment in eine Welt voller Point’n’Click-Abenteuer. Auf die Geschichte des Erstlings aufbauend wird in Silence deutlich, dass Daedalic etwas Neues im Point’n’Click-Alltag ausprobieren möchte. Wie und ob das in Silence funktioniert, erfahrt ihr in folgendem Test.

Im Traum gefangen

Krieg wütet über die Spielwelt von Silence. In den ersten Minuten werden wir Zeuge eines Luftangriffs, vor dem der 16-jährige Noah und seine kleine Schwester Renie im letzten Moment in einem Bunker entkommen.

Im Schutz des Bunkers versucht Noah seine Schwester mit einer Geschichte zu beruhigen. Eine Geschichte, die ihm einst selbst vorgelesen wurde, als er dem Tode nahe in einem Krankenhaus verbrachte. Neulinge, die den Vorgänger nicht gespielt haben, bekommen hier eine kurze Zusammenfassung der Handlung aus The Whispered World. Allen anderen wird hier – nach 7 Jahren – nochmal das Gedächtnis aufgefrischt, bevor es in die Welt von Silence geht.

Ausgelöst durch einen weiteren Luftangriff sucht Noah in den Resten des Bunkers vergebens nach Renie. Doch ein kleines Licht in der Finsternis der Trümmer führt uns schließlich in die Welt von Silence, in die auch Renie vor uns geraten ist. Gemeinsam gilt es nun wieder einen Weg aus dieser Traumwelt zu finden. Denn beide wissen – durch Noahs Vergangenheit, dass Leben in der realen Welt ist nur mit dem Verlassen von Silence möglich ist.

Der Star: Spot

Um dieses Ziel zu erreichen sind sie auf die Hilfe von vielen verschiedenen alten und neuen Nebencharakteren angewiesen. Zu Beginn treffen wir auf Kyra. Eine stolze Kriegerin, die versucht die Stadt Kalimar vor einer wachsenden Bedrohung zu retten. Sie nennen sich Sucher und sind das Werk der falschen Königin. Zusammen mit ihr und zwei weiteren Gefährten – Janos und Samuel – gilt es die Sucher aus Kalimar zu vertreiben und somit den Weg frei zu machen, um Noah und Renie in die reale Welt zurück zu befördern. Frei nach dem Motto: Die eine Hand wäscht die andere. Doch die Geschichte rund um die Gefährten – Noah und Renie ausgenommen – wird nur spärlich aufgegriffen bis sie gegen Ende immer mehr an Bedeutung verliert.

Immer an unserer Seite ist außerdem ein kleines, grünes Geschöpf namens Spot. Der Kleine ist ein wahres Multitalent. Er kann sich zu einer Kugel aufpusten oder platt wie Kaugummi formen. Jede Form – ob rund, normal oder platt – ermöglicht neue Interaktionen mit Personen und Gegenständen. Spot ist darüber hinaus ein wahrer Zirkusartist: Ob Feuer schlucken und spucken, schweben oder als Brücke dienend, Spot hilft uns oftmals aus auswegslosen Situationen hinaus.

Eine Auswahl an Interaktionsmöglichkeiten – Ansehen, Benutzen, Sprechen – wie wir es aus dem Vorgänger oder anderen Genre-Kollegen gewohnt sind, gibt es in Silence nicht. Wir können nur einfach mit Personen und Gegenständen interagieren. Ob wir etwas aufheben oder es benutzen, gibt uns dabei das Spiel vor. Durch mehrmaliges Interagieren beispielsweise mit einer Person bekommen wir dennoch verschieden Reaktionen von Noah oder Renie. Dennoch bleiben abwechslungsreiche Interaktionsmöglichkeiten nur Spot vorenthalten.

Was darf aber bei keinem Point’n’Click-Adventure fehlen? Die Rätsel. Ein Inventar fehlt uns in Silence und der Drang unseren inneren McGyver auszuleben ebenfalls. Die Rätsel gestalten sich dadurch und durch die eben angesprochenen limitierten Interaktionen sehr geradlinig und für eingefleischte Point’n’Click-Liebhaber als wenig fordernd – fast schon eine Art interaktiver Film. Ebenso die Minispiele, die natürlich auch nicht fehlen dürfen, sind überraschend schnell gelöst.

Man hetzt von Szene zu Szene ohne wirklich im Moment verweilen zu können. Cutscenes fördern diese schnellen Szenenwechsel. Selten muss man in einen bereits passierten Bereich, um ein Rätsel zu lösen oder einfach nochmal den Ausblick auf die Stadt Kalimar genießen zu können. Dennoch bekommen wir eine herzzereißende Geschichte erzählt, die erwachsene Themen in einem nahezu kindlichen Setting – die des Traums – dem Spieler nahe bringen.

Einfach mal träumen

Die Welt von Silence ist einfach nur fantastisch schön. Surreale Nebencharaktere wie zwei sprechende Steine, Ewok-ähnliche Kreaturen namens Lumi oder auch unser Gefährte Spot, lassen uns in eine traumhafte Spielwelt eintauchen. Die Bedrohung der Sucher und auch die Thematik des Krieges machen Silence jedoch zu einem deutlich düsteren und ernsteren Nachfolger.

Trotz der ernsten Thematik sind die Dialoge immer das Alleinstellungsmerkmal von Daedalic Spielen, da ist Silence keine Ausnahme. In The Whispered World 2 sind die Unterhaltungen charismatisch und witzig erzählt. Ein ganz großes Lob gebührt hier auch den Synchronsprechern und ganz besonders der der kleinen Renie. Lotti Holsten bringt die Naivität aber auch die Unverwundbarkeit, die Kinder spüren, wunderbar zum Ausdruck – da sie nicht zuletzt selbst noch Kind ist. Mit Holger Löwenberg und Katja Brüger beispielsweise findet man auch zwei Stimmen wieder, die ich persönlich aus Guild Wars 2 kennen und lieben gelernt habe.

Anders als beim Vorgänger sind die Charaktere alle 3D animiert. Auch wenn es kein Uncharted 4 Motion Capture Meisterwerk ist, vermitteln die Mimik und Gestik der Figuren realistisch Emotionen und Körpersprache. Die Hintergründe sind weiterhin handgezeichnet und man könnte jeden Screenshot als Gemälde in sein Zimmer hängen. Komplementärfarben überwiegen in Silence und ganz besonders der Grün/Rot Kontrast. Dieser wird – im Gegensatz zum sehr beliebten Orange/Blau-Kontrast – weniger häufig verwendet, da die Wirkung der Farben etwas comichaftes und surreales haben. Hier in Silence passt er aber perfekt und unterstützt das Verträumte auch noch visuell.

Träumen kann man auch beim Hören des Soundtracks. Die Titelmelodie – inspiriert vom ersten Teil – lässt uns schon beim Start-Screen in eine andere Welt eintauchen. Die furchteinflößenden Klänge, wenn wir einen Sucher zu Gesicht bekommen, führen nicht nur bei Noah sondern auch beim Spieler zu Unbehagen. Ansonsten laden die verschieden Stücke während der kurzen Spielzeit von Silence gerne zum Träumen ein.

Fazit

Silence – The Whispered World 2 bedient sich an der Spielwelt des Vorgängers. Ansonsten hat Silence mit The Whispered World nicht viel gemein. Der Point’n’Click-Charme geht oft durch fehlende Interaktionsmöglichkeiten und charakterbildende Monologe verloren. Obwohl ich kurze Spielzeiten selten als Kritikpunkt sehe, kam das Ende von Silence doch recht plötzlich. Viel zu oft sind wir von Ort zu Ort gehetzt und ich hätte gerne mehr über meine Gefährten – Kyra, Janos und Samuel – erfahren. Trotzdem hat mich die übergreifende Thematik und Atmosphäre begeistert. Silence ist einfach traumhaft schön mit all ihren Details. Vom Grafikstil bis hin zu den Synchronstimmen wurde dem Spieler eine fantastische Welt realistisch und glaubwürdig übermittelt. Spot als heimlicher Star und Verwandlungskünstler der Geschichte hat die Rätsel und damit auch den Spielspaß abwechslungsreicher und spannender gestaltet. Silence ist mit all seinen Makeln dennoch eine schöne Reise durch eine Traumwelt, die man gerne mit Noah, Renie und Spot gemeinsam antritt.

Silence – The Whispered World 2
Grafik/Präsentation
89
Story/Atmosphäre
84
Gameplay
73
Spielspaß
82
Leserwertung1 Bewertung
-11
82