ReCore im Test – Ein Nerd in der Wüste

Vor gut zwei Jahren hat man bei Microsoft auf der E3 unter anderem das erste Mal etwas von ReCore gezeigt. Mit einem ansehnlichen CGI-Trailer und der Ankündigung, dass sich ein gewisser Keiji Inafune zusammen mit vielen ehemaligen Metroid Prime-Entwicklern um diese neue Marke bemühen wird, heimste man in Redmond viel positives Feedback ein. Obwohl man lange gar nicht genau wusste, an was genau man bei Entwickler Comcept da werkelte, war die Vorfreude, aufgrund der sehr guten Grundvoraussetzungen, trotzdem dementsprechend groß. Einen kleinen Dämpfer dieser Erwartung lieferte Inafune San zuletzt leider selber. Mit seinem Kickstarter-Projekt Mighty No. 9, einem geistigen Nachfolger des legendären blauen Bombers, machte er sich nicht überall beliebt. Die Gründe dafür könnt ihr in unserem Test nachlesen. Nun erreichte uns endlich die finale Fassung von ReCore, die wir in den letzten Tagen ausgiebig testen konnten. Neben dem vermeintlichen Mastermind Inafunes, genoss ReCore, anders als Mighty No. 9, bekanntlich die Unterstützung eines großen Publishers wie Microsoft. Ob diese Tatsache letztendlich ein Garant für ein gutes Spiel ist und welche Hindernisse euch mit Heldin Joule auf Neu-Eden erwarten, verraten wir euch im Test.

Die Menschheit muss umziehen

screenshot-recore-01Viele Sci-Fi-Medien sind im Grunde gar nicht so unrealistisch, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte. So scheint es auch bei ReCore zu sein. In nicht allzu ferner Zukunft hat die Menschheit bzw. die Wüsten-Teufel-Plage unsere blaue Heimat ziemlich runter gerockt. Deshalb hatte man sich in weiser Voraussicht vorsichtshalber bereits um Alternativen umgesehen. Bei diesem exklusiven Titel aus dem Hause Microsoft fand die Menschheit Hoffnung auf dem Planeten Neu-Eden. Doch dort lief zuletzt bei der Besiedelung etwas schief. So wurden vorab sogenannte Corebots mit der Aufgabe des Terraforming auf die lange Reise geschickt, um den Planeten für die Menschen überhaupt erst bewohnbar zu machen. Schließlich legt man sich am liebsten in ein gemachtes Bett und will es vorher nicht noch selber machen. Heldin Joule Adams ist mit vielen anderen Siedlern anschließend im Kryoschlaf nachgereist. Durch einen mysteriösen Fehler wacht sie jedoch gute 90 Jahre später auf und muss feststellen, dass die Corebots ihr feindlich gesinnt und alle anderen Menschen scheinbar verschollen sind. Über einige Umwege kommt sie jedoch in Kontakt mit ihrem Vater, der auf der Orbitalstation von Neu-Eden stationiert ist. Auf diese Weise bekommt Joule Anweisungen „von oben“ und versucht den Kontakt mit der Orbitalstation herzustellen. Schnell wird jedoch klar, dass die ganze Geschichte weitaus komplizierter ist, als ihr vermutet.

Smartphones waren gestern – Corebots sind der neuste Trend

screenshot-recore-05Diese durchaus interessante und abwechslungsreiche Geschichte verpackt man bei Comcept in einen wilden Mix aus Open World, Plattformer und Third Person Shooter. Dass beim Entwickler viele Leute an Metroid Prime gewerkelt haben, wird jedoch auch recht schnell klar. Wie man es aus Metroidvania-Spielen kennt, bleiben euch gleich zu Beginn einige Wege versperrt. Im weiteren Spielverlauf erhaltet ihr natürlich die passenden Items (weitere Corebots), die euch die jeweiligen neuen Abschnitte offenbaren. Mit dem spinnenartigen Corebot Seth klettert ihr beispielsweise in ungeahnte Höhen und Kraftprotz Duncan schlägt euch als Räumungsbot so manchen verschütteten Pfad wieder frei. Am Anfang eurer Reise müsst ihr jedoch erst einmal mit Mack vorlieb nehmen. Dieser freundliche Robo-Wauwau unterstützt euch im Kampf oder gräbt Materialien für euch aus dem Wüstensand. Eine Design-Entscheidung treibt uns aber die Tränen in die Augen. Ihr habt lediglich drei Kerne, findet aber im Spiel vier Bots, wovon ihr auch immer nur zwei mit auf die Missionen nehmen könnt. So müsst ihr unsinnigerweise immer erst überlegen, welche Cores euch begleiten dürfen. Bei der späteren Item-Suche nervt dieser Umstand besonders, wenn ihr einen Prisma-Kern nicht erreichen könnt, weil der benötigte Robo-Helfer noch ein Nickerchen in eurer Basis hält und ihr ihn umständlicherweise abholen müsst.

Inafune, der Mega Man

screenshot-recore-02Das Basis-Gameplay von ReCore beschäftigt sich mit Kämpfen und Geschicklichkeitspassagen, die es zu überwinden gilt. Sofort fällt einem die für ein Actionspiel doch sehr direkte Steuerung auf. Joule ist äußerst flink unterwegs und reagiert ohne Verzögerung auf eure Eingaben. Statt der gewohnten eher trägen Steuerung, der meisten Third Person Spiele, fühlt sich Joule doch eher federleicht und sehr arcadig an. Das ist auch bitter nötig, denn schon bald merkt ihr, dass ihr bei ReCore eine Menge Sprungpassagen überstehen müsst. Hier fühlen sich ältere Spieler wie ich gleich 15 Jahre jünger. Denn damals waren Plattformer das mit am meist verbreitetste Genre und knackige Sprungeinlagen waren Alltag für Videospieler. Heute sind eher actiongeladene Schusswechsel der Alltag eines Zockers. Diese kommen auch bei ReCore regelmäßig vor, kränkeln jedoch ein wenig an der zu simplen Mechanik und den daraus resultierenden Wiederholungen. So kann Joule Feinde per Druck auf den linken Schulter-Button per Lock-On fest fixieren und ohne manuell zielen zu müssen unter Feuer nehmen. Auf diese Weise konzentriert ihr euch also hauptsächlich auf das Ausweichen der gegnerischen Geschosse und eure eigene Positionierung zum Gegenüber.

Farbliche Akzente

screenshot-recore-07Was am Anfang recht simpel und einfach wirkt, zieht im späteren Verlauf durch höheres Gegneraufkommen und ordentlich-ausgeteiltem Schaden noch an. Dutzende Projektile, Feuerwalzen auf dem Boden und anstürmende Gegner machen euch trotz Lock-On das Leben schwer. Für das Ausweichen solltet ihr auf den Dash zurückgreifen. Per Knopfdruck aktiviert ihr die Schubdüsen an euren Stiefeln und saust einige Meter in die gewünschte Richtung. Dazu seid ihr bald damit beschäftigt, die richtige Waffenart für die passenden Gegner zu wählen. Feinde gibt es bei ReCore in blau, rot oder zum Beispiel gelb. Wie praktisch, dass ihr für euer Gewehr recht schnell die passenden Aufsätze in genau diesen Farben erhaltet. Bevor ihr also auf einen Gegner feuert, müsst ihr zunächst die korrekte Farbe über das Digi-Kreuz einstellen. Praktisch hierbei: Die Farben sind genau so angeordnet, wie die Feuerknöpfe auf der rechten Seite. So ein bisschen werde ich beim Spielen das Gefühl nicht los, eine Art Mega Man in 3D zu spielen. Die direkte Steuerung, der Dash, aufladbare Schüsse und Plattform-Passagen wie zu alten Capcom-Zeiten erwecken diese Gedanken stetig zum Leben. Vor allem die schwebenden, sich bewegenden Plateaus könnten eine wahre Hommage sein.

Looten und Grinden

screenshot-recore-04Aufgelockert wird ReCore zusätzlich durch ein paar leichtere Rollenspiel-Elemente. So erhaltet ihr für das Besiegen eurer Gegner Erfahrungspunkte, sammelt Items ein und bastelt an euren Freunden aus Metall herum. Während bei Joule einfach nur Basis-Werte, wie Leben und Schaden bei einem Level Up nach oben schießen, findet ihr für eure Corebots zahlreiche Verbesserungen. In eurem Crawler (Der Basis) habt ihr praktischerweise eine Werkbank, wo ihr neue Teile erforschen und die Werte eurer Bots erhöhen könnt. Ähnlich wie bei einer Rüstung lassen sich so jeweils vier Teile ausrüsten: Kopf, Torso, Beine und Kern. Pläne für verschiedene Set-Gegenstände findet ihr in den Kisten, die überall auf Neu-Eden verteilt versteckt sind. Diese Items verfügen über Level-Anforderungen und entsprechenden Werten in den Bereichen Angriff, Verteidigung und Energie. Der Bereich Energie wird für besonders effektive Spezialattacken eurer Blechbüchsen benötigt, während die Verteidigung den Schild- und Lebenswert verstärkt und der Angriff den ausgeteilten Schaden erhöht. Das Crafting-System macht die doch etwas repetitiven Kämpfe auf jeden Fall erträglicher. Die Motivation “ein wenig farmen” zu gehen, um Duncan den neuen guten Torso bauen zu können, ist somit schon gegeben. Allgemein gibt es eine Menge zu erkunden und freizuspielen. Dabei haben sich die Entwickler leider auch weniger spaßige Sammelaufgaben ausgedacht. Dungeons verlangen ärgerlicherweise immer eine gewisse Anzahl an gefundenen Prisma-Kernen. Diese müsst ihr dann vorher zwangsweise in der Oberwelt suchen – Ähnlich wie bei Super Mario mit seinen Sternen. Aber auch farbliche Energie-Kerne sind im Laufe der Jahre wohl aus ihren Halterungen gefallen und wollen teilweise erst im Wüstensand gefunden werden, bevor sie euch Türen und dergleichen freigeben.

Corebots = Core-Technik?

screenshot-recore-09Die technische Seite des Spiels glänzt bedauerlicherweise auch eher im Mittelmaß. Gemessen an der doch recht langen Entwicklungszeit, finden sich einige Wehwehchen. Optisch wirkt das Spiel zwar sauber, jedoch eben auch relativ unspektakulär. Die sandig-sonnige Oberwelt von Neu-Eden sieht zwar toll aus, wirkliche Effekte oder opulente Dinge, die es zu bestaunen gibt, sucht ihr aber vergeblich. ReCore ist also definitiv keine Grafik-Bombe, sondern punktet mit seiner Spielbarkeit. Zu Release von ReCore waren außerdem die Ladezeiten ein wirkliches Ärgernis. Teilweise saß man eine gute Minute vor dem Bildschirm und wartete bis sich ein Areal geladen hatte. Zumal ich ab der Hälfte des Spiels auch mal öfters den Löffel abgegeben habe, war die Wartezeit besonders grenzwertig. Seit einigen Tagen hat man dieses Problem aber glücklicherweise mittels Patch erheblich verbessert. Die deutsche Synchronisation hört sich dann wiederum ziemlich gut an. Die Auswahl der (wenigen) Sprecher ist gelungen, was wir als Spieler am authentischen Voice-Acting deutlich wahrnehmen. Die Klagen mancher Spieler, was Framerate-Einbrüche betreffen, können wir nicht bestätigen. Trotz massiger Anzahl an Feinden lief der Titel in der Regel flüssig. Was nicht bedeutet, dass es nie zu möglichen kleineren Unterschieden kommen kann. ins Gewicht fallen diese aber trotzdem nicht.

Fazit

ReCore hat leider versäumt sein ganzes Potential in seinem Debüt zu zeigen. Das generelle Gameplay stimmt uns in der Basis zufrieden. Die Steuerung ist sehr genau, die Kämpfe gehen flott von der Hand und die teilweise sehr knackigen Sprungpassagen sind zwar schwer, aber niemals unfair. Dazu punktet das Spiel mit angenehm dezenten Rollenspiel-Elementen, samt Material-Farming, um die eigenen Corebots für den Kampf zu verstärken. Auch wegen der durchaus interessanten Geschichte hoffen wir auf eine Fortsetzung, in der die vielen kleineren Macken dann ausgemerzt werden. Die Ladezeiten sind nach dem Patch noch verkraftbar, aber noch immer ein Grund zur Beschwerde. Wieso man nicht einfach alle Corebots, die ja als Item dienen, mit sich führen kann, weiß man wohl auch nur bei Comcept selber. Dazu gesellen sich zu oft wiederholende Aufgaben, wie zum Beispiel das ständige recht langatmige Kern extrahieren der Standardfeinde. Dennoch ist der Einstieg irgendwie gelungen. Microsoft sollte an der Marke festhalten und vielleicht das Budget für einen möglichen zweiten Teil erhöhen. Dann hat ReCore auch das Zeug zu einem Big Player.

ReCore
Grafik/Präsentation
74
Story/Atmosphäre
76
Gameplay
78
Spielspaß
78
Leserwertung2 Bewertungen
96
77