Project CARS 2 im Test – Ein Platz auf der Pole?

Löst ein Spiel beim Zocken den Wunsch aus, den Vorgänger von der Platte zu löschen ist es entweder wirklich gut oder richtig schlecht. Dabei wünscht man manchen Studios definitiv, dass ersteres der Fall und das Spiel einfach gut ist. Slightly Mad Studios sind so ein Fall. Als eines der wirklich großen, unabhängigen Entwicklerstudios banden die Engländer bereits bei der Entwicklung des ersten Project CARS die Community eng mit ein und setzten neben Crowdfunding mit World of Mass Development auch auf ein eigenes Portal, um ihr Baby gemeinsam mit den Spielern zu entwickeln. Leider konnten die Konsolenversionen des Titels ausgerechnet die Spielerschaft nicht ganz so sehr überzeugen wie die Kritiker, angefangen bei der Steuerung per Controller. Da stellt sich natürlich die Frage, ob Project CARS 2 nun auf Xbox und PlayStation rundum überzeugen kann.

Volle Kontrolle

Die wichtigste und vielleicht beste Nachricht direkt vorweg: Die neue Standardkalibrierung für Controller funktioniert endlich! Anders als beim ersten Project CARS kann man direkt vernünftig losfahren ohne lange experimentieren zu müssen. Natürlich darf man weiterhin fröhlich weiter kalibrieren wie man lustig ist, die Werte von Teil eins könnt ihr aber getrost vergessen. Die Unterschiede sind einfach zu gravierend. Trotzdem bietet auch Project CARS 2 noch reichlich Raum für Anpassungen an die persönlichen Vorlieben. Es bleibt zwar immer noch dabei, dass die beiden Genregrößen Forza Motorsport und Gran Turismo die bessere Controllersteuerung haben und ein besseres Autogefühl per Pad vermitteln. Mit Teil Zwei ihrer Rennsimulation konnten Slightly Mad den Abstand aber extrem verkürzen. Natürlich beschränken sich die Einstellungen nicht rein auf die Steuerung. Neben obligatorischen Schaltflächen für ABS, ESP oder Ideallinie lassen sich auch Schadensmodell, Reifenverschleiß oder Regeln und Vorschriften einstellen, aber auch manueller Start und mehr. Leider lässt sich der Punkt Regeln allerdings nicht so einstellen, dass nur Abkürzungen geahndet werden, so dass ihr hier entweder für allerhand Verstöße bestraft werdet oder eben auch mal kurz durch die Pampa kurven könnt. Auch für die Ideallinie gibt es zurzeit nicht die Einstellung ‘Voll‘. Entweder werden nur Kurven angezeigt, sofern hier das Tempo reduziert werden sollte, oder es gibt überhaupt keine Anzeige. Dabei kam es während des Testzeitraums aber auf einzelnen Strecken vor, dass die Ideallinie an einigen Stellen wo Bedarf gewesen wäre nicht angezeigt wurde.

Auch die KI-Stärke und ihre Aggressivität lassen sich einstellen, und zwar, eher ungewöhnlich, in Prozentschritten. Die entsprechende Einstellung findet man entweder unter den Optionen für schnelle Rennen oder auch im Karrierebereich. Einen Gummibandeffekt gibt es bei den Computerkontrahenten nicht. Auf unteren Schwierigkeitsstufen lassen sie sich leicht abhängen, sofern man nicht von der Strecke fliegt, auf höheren Einstellungen passt die KI dagegen auch ihr Fahrzeugsetup an die jeweilige Strecke an und fährt ziemlich perfekt. Allgemein liegen hier Licht und Schatten eng beieinander. Die fehlerarme Fahrweise mag definitiv zu einer Rennsimulation passen, es kommt aber nicht unbedingt die gleiche Atmosphäre auf wie etwa bei Forzas menschelnden Drivataren. In jedem Fall können die Computergegner ordentlich fordern. Schließlich und endlich sind Training, Qualifying und Renndauer sehr frei einstellbar. Alles nur fünf Minuten Rennen oder lieber jedes Mal 50 Runden? Das darf frei entschieden werden. Ebenso praktisch ist, dass man Meisterschaften in kurzer wie in langer Form fahren darf.

Volles Rohr

Fahrerisch gibt sich Project CARS 2 eigentlich keine Blöße. Die einzelnen Fahrzeuge verhalten sich immer glaubhaft und nachvollziehbar, wechselnde Bodenbeläge haben starke Auswirkungen. Dabei gibt es im zweiten Teil nicht nur unfreiwillige Exkursionen abseits der Strecke, mit Rallycross werden auch Offroad beziehungsweise wechselnde Pistenbeläge sehr glaubwürdig simuliert. So gut, dass der Punkt Offroad zukünftig gerne ausgebaut werden könnte. Auch das Crashverhalten wurde grundlegend überarbeitet. Es passiert neuerdings zum Beispiel wesentlich seltener, dass ihr bei einem Auffahrunfall einen anderen Wagen auf euch drauf oder gar über euren eigenen Wagen hinweg schiebt. Auch andere Punkte haben sich gebessert. Der Cup Clio etwa ist immer noch sehr agil, aber nicht mehr ganz so hypernervös und instabil wie vormals. Natürlich spielt das Wetter, gerade auch im Bezug auf das Fahrverhalten, eine wichtige Rolle. So lässt die Reifenhaftung auf nachts abkühlender Strecke spürbar nach. Aber auch die neuen Jahreszeiten und Schnee haben einen klaren Einfluss auf die Fahreigenschaften. Dabei gelten aber gewisse Grenzen, Pfützen etwa sind nicht ganz so variantenreich wie bei Forza Motorsport und auch Schnee liegt eher gleichmäßig auf der Strecke. Es gibt eher verschneite und eher nasse Bereiche, aber keine richtigen Verwehungen oder dergleichen.

Bei den Fahrzeugen selbst liegt der Fokus klar auf Rennen. Ein Toyota GT86 in der Straßenversion markiert bei Project CARS 2 eher die Unterkante, nur Karts positionieren sich darunter, spielen aber eine kleinere Rolle als bisher. Die Mehrheit der Fahrzeuge sind dabei klassische Lizenzvertreter, vom Einsteiger GT Ginetta über Vintage Prototypen wie dem Ferrari 330 P4 bis zum aktuellen Indycar. Neu als Marke ist beispielsweise Porsche, allerdings auf Kosten der Tuningmarke RUF. Eigenkreationen der Project CARS Community gibt es, diesmal allerdings neben Markenfahrzeugen bei modernen Le Mans Prototypen. Und bei den Open Wheelern. Aus Lizenzgründen gibt es hier vier fiktive Klassen, die von Formel Ford ähnlicher Rookie Kategorie bis Formel X als F1 Äquivalent reichen. Mit Formel Renault und Indy Car gibt es allerdings auch zwei echte Open Wheeler Kategorien. Mit Retro Formel 1 Fahrzeugen von Lotus und alten Indy Cars sind auch klassische Vertreter dieses Mal gut vertreten. Da sich dieses Mal auch Ferrari und Lamborghini im Fuhrpark einfinden aber auch Nissan nicht fehlen wollte sind vom Sportwagen bis zum Rennfahrzeug alle ausreichend schnellen Kategorien gut vertreten. Umso mehr da klassisches Tunen wie bei Forza und GT hier keine Rolle spielt.

Update: Der Mehrspielermodus von Project CARS 2 ist tatsächlich nicht unbedingt für jeden geeignet. Das liegt aber weniger an der technischen Komponente. Zwar kann es, abhängig von der VErbindung des Hosts, zu Problemen wie Rucklern kommen. Problematischer sind aber für viele eher die Voreinstellungen, die der jeweilige Rennersteller festlegt. Neben Testrunden, Qualifying und Renndauer kann der jeweilige Host nämlich auch alles andere von Regeln über Schadensmodell bis zu den Fahrhilfen für alle Teilnehmer jeden Punkt festlegen. Wer hier normalerweise mit ABS und Traktionskontrolle oder Automatik fährt muss sich also unter Umständen genauso umstellen wie Gelegenheitsspieler die sonst mit Ideallinie fahren. Ganz anders sieht es für ambitionierte Fahrer aus, die hier wesentlich eher glücklich werden weil kein anderes Spiel im Multiplayer so authentisch daher kommt.

Voll gut

Nein, das Wetter sieht bei Project CARS 2 nicht so schick aus wie bei Forza 6 und 7. Und nö, die Strecken sind nicht so fotorealistisch wie bei GT Sport. Und noch mal nein, die Bildkonstante ist nicht so konstant wie bei Forza und voraussichtlich auch beim nächsten Gran Turismo. Jetzt kommen allerdings die großen ABER. Aber meistens läuft Project CARS 2 deutlich flüssiger als der Vorgänger. Aber ein nebliger Herbstmorgen am Ring bietet bei Project CARS 2 fantastische Lichtstimmungen. Aber nachts einsetzender Schnee zu Füßen des Fuji sieht trotzdem gut aus. Aber die Stoßstangen können so schick abfallen. Kurzum, Project CARS 2 hat eine ganze Reihe Pluspunkte. Sicher, die Regenspiegelungen sind nicht die schicksten, Schatten können flimmern und Gischt gab es anderswo schon schicker. Schade auch, dass Rallycross Autos nicht einstauben. Das ändert aber nichts daran, dass man beispielsweise schick animiert aus der Box gewunken wird und Slightly Mad immer wieder tolle Lichtstimmungen auf den Bildschirm zaubern. Auch an kleine Details wie Scheibenwischer, die mit zunehmendem Tempo anfangen, leicht zu wackeln wurde gedacht. Kleine Schönheitsfehler an anderer Stelle kann Project CARS 2 so sehr gut ausgleichen. Umso mehr da die Optik gegenüber dem Vorgänger in jedem Punkt zulegen konnte. Auch die Bildrate macht, wie bereits erwähnt, einen deutlich stabileren Eindruck, obwohl wenn sie immer noch einbricht, gerade wenn sehr viel gleichzeitig los ist. Einen ordentlichen Sprung gibt es auch beim Sound. Zwar kann man hier vielleicht nicht jedes kleinste Detail raushören, dennoch ist die Abmischung wesentlich stimmiger als bisher, Kollisionsgeräusche deutlich abwechslunsreicher und auch Bremsenquietschen kann sich unterscheiden. Ziemlich gut gelungen ist der Aspekt Reifengeräusche, vom Bremsen mit und ohne ABS über Kurvenfahrten bis zum Haftungsabriss. Auch der stimmige Boxenfunk kann hier deutlich zur Atmosphäre beitragen. Wobei der, natürlich, auch einstellbar ist.

Voll stark

Wird Project CARS 2 jeden glücklich machen? Eher nicht. Die einen werden bemängeln, dass es nicht sofort zum Totalschaden führt wenn man mit 100 Sachen in die Bande ballert. Den anderen wird ein vereinfachtes Fahrmodell fehlen, wie es Forza und neuerdings auch Dirt bieten. Ganz sicher wird manchen auch eine Rückspulfunktion fehlen, wenn sie in der letzten Runde auf dem Ring bei tiefstehender Abendsonne von der regennassen Fahrbahn fliegen und gleich von mehreren Gegnern überholt werden. Das ändert aber nichts daran, dass Slightly Mad Studios an so ziemlich jedem Aspekt des Spiels gearbeitet und dabei nahezu alles richtig gemacht haben. Echte Kritik gibt es durchaus. Vom Fehlen der vollen Ideallinie über eben doch noch verschachtelte Menüs bis zur Tatsache, dass man eine begonnene Meisterschaft nicht einfach abbrechen kann. Die positiven Aspekte überwiegen allerdings ganz klar, weswegen es schade wäre, wenn Project CARS 2 im heißen Rennspielherbst gegenüber Forza Motorsport 7 und Gran Turismo Sport untergehen würde. Slightly Mad Studios ist eine richtig gute Fortsetzung gelungen, wer will da noch Teil Eins spielen?

Fazit

Kritikpunkte an Project CARS 2? Mal ehrlich Slightly Mad, selbst die Wandlerautomatik meiner ollen Karrre schaltet zehn MAl schneller in den Rückwärtsgang als die Automatik im Spiel. Mit wirklich grundlegendem Gemecker wird’s dann aber schon schwer. Was man mitbringen sollte? Ein Faible für simulationslastigere Rennspiele. Wer eher aus der arcadigen Ecke kommt ist hier definitiv nicht so gut bedient. Wer aber mal Bannochbare im Herbst fahren wollte, den Fuji Speedway bei Schnee oder sich ein eigenes Sauwetter für 24 Stunden grüne Hölle erstellen, der ist hier genau richtig.

Project CARS 2
Grafik/Präsentation
84
Gameplay
87
Multiplayer
83
Spielspaß
86
Leserwertung1 Bewertung
80
85