ONRUSH im Test – Ein Nerd fabriziert Altmetall

Man möchte meinen, dass im Juni bereits die bekannte Spieleflaute eingesetzt hat. Wenn man sich auf AAA-Produktionen mit jeder Menge auf Hochglanz polierte Spiele beschränkt, ist das auch gar nicht so falsch. Indies und kleinere Produktionen finden gerade im Sommer Platz und buhlen untereinander um Aufmerksamkeit. Codemasters hat jetzt Anfang Juni ihren Arcade Racer ONRUSH für Xbox One, PlayStation 4 und PC gebracht. Der Entwickler, welcher wohl vor allem bekannt für die Rennsimulation DiRT, die Colin McRay Ralley Serie oder das jährlich erscheinende Formel 1 ist, hat nun nach ihrem letztjährigen Arcade Ausflug mit Micro Machines World Series einen weiteren Versuch gestartet, abseits der Rennsimulationen zu entwickeln.

Sein oder nicht Sein?

Mit Arcade „Racer“ habe ich wohl bereits zu Beginn dieses Artikels einen kleinen Fehler gemacht, denn ONRUSH besitzt nämlich keinen einzigen Modus, der das spezielle Ziel verfolgt, der Schnellste zu sein. Ganz im Gegenteil, es gilt nicht dem Feld davon zu fahren, sondern wirklich im Mittelpunkt des Geschehens zu bleiben. Wer zu weit zurückfällt, wird wieder in der Nähe zurückgesetzt. Wer zu weit voraus fährt, bekommt nur noch wenige Möglichkeiten Boosts zu sammeln und fällt damit automatisch wieder in das Feld zurück. Das Fabrizieren von Metallschrott im Team ist eines der Hauptziele, welche uns in ONRUSH gestellt werden. Den Gegner mit gezielten Hits, Sprüngen und Boosts zu Altmetall zu verarbeiten, ist essentieller Bestandteil des Spielverlaufs. Natürlich wird auch deswegen jeder Crash schön in Zeitlupe gesetzt, um auch wirklich den wegfliegenden Trümmerhaufen in Furore und Bombast feiern zu können. Das Ereignis wird ab und an allerdings ein wenig getrübt, wenn kurz nach oder noch während der Zeitlupe sich unser Wagen gerade in der nächsten Wand oder am nächsten Pfeiler zusammendrückt. Um aber auch neben den Verschrottungsmomenten zwischen den Kontrahenten für ein wenig Altmetall sorgen zu dürfen, gibt es sogenanntes Kanonenfutter. Das sind farblose, KI-gesteuerte Streckenteilnehmer wie kleinere Buggys oder Motorradfahrer, welche bei der kleinsten Berührung den sterbenden Schwan spielen und durch die Gegend fliegen. Hier wird der Crash zwar nicht zusätzlich in Szene gesetzt, was bei der Menge der Tontauben aber auch zu einer dauerhaften Slow Motion führen würden, dafür bekommt man aber einen kleinen Batzen Boosts. Diese können wir durch gewagte Fahrmanöver auffüllen und helfen uns dabei gezieltere Tackles gegen das gegnerische Team durchzuführen. Neben dem Boost gibt es aber noch die wohl namensgebende RUSH-Anzeige. Diese wird durch erfolgreiche Tackles und Verbrauchen von Boosts aufgefüllt. Einmal aufgefüllt, wird per Knopfdruck die Spezialfähigkeit unseres Vehikels ausgelöst.

Jeder Menge Altmetall!

Wenn wir RUSH aktivieren, wird es nicht nur auditiv mit einem mächtigen energetischen Schrei auf Koks untermalt, unser Fahrzeug prescht auch förmlich durch die Massen an Gegnern. Um bei der Geschwindigkeit mit zu kommen gibt es eine leichte Lenkhilfe und verwandelt Gegner schon bei leichten Berührungen in glühende Altmetallkugeln. Das größte Problem ist aber auch, dass man gerade bei dunklen Strecken durch den Energieschleier schnell die Orientierung verliert und die Fahrt zu einem Blindflug wird. Jedes von den insgesamt acht Fahrzeugen hat eine spezielle RUSH-Fähigkeit und auch eine spezielle Möglichkeit, die RUSH-Leiste schneller aufzufüllen. Vortex beispielsweise füllt mit Schraubensprüngen die RUSH-Anzeige schneller auf. Bei aktiviertem RUSH zieht der Wagen einen Schleier hinter sich her, der auf Gegner wie eine Ölspur wirkt. Shield füllt die Anzeige auf, in dem er in der Nähe seiner Mitstreiter bleibt und sie schützt. Das Aktivieren von RUSH bewirkt, dass er eine Spur von Blockaden hinterlässt, um den Gegner auszubremsen.

Insgesamt unterteilen sich die acht Fahrzeuge in vier Klassen mit jeweils zwei Fahrzeugen: Motorräder, leichte, mittlere und schwere Boliden. In diesen 4 Klassen unterscheiden sich die jeweiligen Fahrzeuge auch etwas im Fahrgefühl, was allerdings wirklich marginal ist und auf mich auch eher eine gefühlte Eigenschaft ist. Werte wie Höchstgeschwindigkeit, Bremsen, Handling und so weiter, sind bei ONRUSH ja auch völlig irrelevant, schließlich gilt es den Gegner in der nächsten Wand zu verewigen. Die Wagen steuern sich insgesamt sehr arcadelastig und besonderes Fingerspitzengefühl, um um die nächste Haarnadelkurve zu kommen, ist nicht erforderlich. Auch bei Sprüngen lassen sich die Fahrzeuge bereits in der Luft schon vor der Landung noch ein wenig ausrichten, um den ein oder anderen Gegner doch noch beim Aufschlag zu erwischen. Wie bereits erwähnt, unterscheiden sich die Fahrzeuge aber in ihren Fähigkeiten. So gibt es ähnlich wie in einem Teamrollenspiel Tanks, Supporter oder Damagedealer. In der Teamauswahl sind die Klassen aber wohl eher weniger entscheidend. Hier merkt man zwar gute Ansätze, aber das System wirkt noch ein wenig in den Kinderschuhen und kann das volle Potenzial nicht entfalten.

Verschrottung ist Teamarbeit

ONRUSH setzt vor allem auf Teams. So spielen wir in jedem der vier verschiedenen Modi, welche ich später noch weiter erläutere, im Team mit fünf Fahrern gegen ein anderes Team. Lediglich die eigene Fahrweise wird durch die Wahl des Fahrzeugs ein wenig beeinflusst. Da man meistens darauf fokussiert ist, möglichst schnell seine Boost- und RUSH-Leisten zu füllen, nutzt man die Fahrzeugspezialisierungen entsprechend aus. Eine Mischung der verschiedenen Klassen ist während der Runde nur sehr schwer als Sieg entscheidender Faktor auszumachen. Wenn man während einer Runde übrigens merkt, dass man mit der aktuellen Fahrzeugklasse partout nicht weiterkommt, kann man nach einem Crash, bis man zurückgesetzt wird, das Fahrzeug einfach wechseln, verliert aber seine aufgebaute RUSH-Anzeige. Die vier verschiedenen Wettbewerbsmodi unterteilen sich in Switch, Overdrive, Countdown und Lockdown. In Overdrive müssen möglichst schnell 10.000 Punkte erreicht werden, um die Runde zu gewinnen. Das Verbrauchen von Boosts treibt hier die Punkteanzeige in die Höhe. Gerade um einen Einstieg in das Spiel zu finden, ist dieser Modus wohl der einfachste und am kurzweiligsten, da der Punktezähler quasi ständig in die Höhe geht und das Dauerdrücken auf dem Boostknopf für ein gutes Geschwindigkeitsgefühl maßgeblich ist. In Countdown müssen die Fahrer durch Tore fahren, welche den Teamtimer oben halten. Das Team, dessen Timer auf Null fällt, verliert.

Dieser Modus ist sehr teamabhängig, fahren die eigenen Leute nicht durch die Tore, fällt man schnell zurück und verliert. Hier bergen sich wohl auch zusammen mit Lockdown die frustrierendsten Momente, da man alleine überhaupt nicht weit kommt und die KI nur selten mit vollem Elan bei der Sache ist. Lockdown stellt eine Art “King of the Hill”-Modus dar. Auf der Strecke bewegt sich eine Zone, in der sich möglichst viele Fahrzeuge aus dem eigenen Team gleichzeitig aufhalten müssen. Wie schon erwähnt, ist auch Lockdown im Einzelspielermodus ein eher schwerer Modus. Zu guter Letzt gibt es noch Switch. Jeder Spieler bekommt drei Leben. Alle Fahrer fangen auf einem Motorrad an und wechseln bei Ableben durch die Fahrzeugklassen. Ziel ist es, die gegnerischen Fahrer alle ihrer Leben zu berauben. Wer keine Leben mehr hat, fährt am Ende mit der schwersten Fahrzeugklasse mit und braucht sich um nichts anderes mehr zu kümmern, als Gegner mit Leben aufs Korn zu nehmen. Gerade im Online Multiplayer entwickelt sich ein spannendes Katz und Maus Spiel mit besonders viel Charme.

Pimp my Car

Abseits der zwölf verschiedenen Strecken, die durch verschiedene Witterungsverhältnisse und Tageszeiten noch ein wenig zusätzliche Abwechslung bekommen, können Fahrzeuge, Fahrer und Spielerkarten mit allerhand kosmetischen Einstellungen individualisiert werden. Hier kommt ein vielleicht nicht ganz so beliebtes Thema zum Tragen: „Lootboxen“. Wer jetzt aber am liebsten angewidert auf das kleine X oben rechts in der Ecke des Browsers klickt oder den Smartphone-Browser per Geste schließen will, sei entwarnt. Nein, es gibt kein Pay-2-Win-System und nein, es gibt keine Möglichkeit (zum Zeitpunkt dieser Review) mit Echtgeld an Ingame-Währung zu kommen. Lootboxen verdient man, ähnlich wie schon bei Micro Machines World Tour durch Levelaufstiege und das Erledigen von Herausforderungen. Mal abgesehen davon beinhalten die Lootboxen lediglich kosmetische Gadgets für Fahrer und Fahrzeuge. Besonders witzig ist die Idee mit den individualisierbaren Grabsteinen, die Fahrer bei einem Crash hinterlassen. Unwillkürlich fühle ich mich da an den Partyshooter Worms zurückerinnert. Neben Skins gibt es dann noch Tricks und Siegesposen, welche beide aber auch keine Auswirkungen auf das Gameplay haben.

Die wahre Stärke

Für Solospieler soll gesagt sein, dass die Menge an bereitgestellten Turnieren euch gut in die verschiedenen Spielsysteme einführt und auch für einige Stunden Spielspaß bereithält. Der große Reiz von ONRUSH liegt aber wohl eher im kompetitiven Modus. Hier gibt es die Möglichkeit schnelle Spiele mit Freunden oder einer zufälligen Lobby oder dem Ranked Modus auszuwählen. Auch eigene Spiele sind möglich zu hosten, wer aber darauf hofft, sich ein Splitscreengemetzel im heimischen Wohnzimmer liefern zu können, wird wohl schnell enttäuscht werden, denn einen lokalen Multiplayer gibt es nicht. Was bei dem großen Effektfeuer unübersichtlich ist, wäre in einem Splitscreen wohl dann ein vollendeter Blindflug. Leider war zum Zeitpunkt des Testes der Ranked Modus noch nicht verfügbar. Wann dieser freigegeben wird, wurde leider nicht angegeben. Ab Release konnte ich mich während meiner Sessions aber über volle Lobbys freuen, wie lange diese aber so voll bleiben, ist abzuwarten.

Durch Wind und Wetter

Die Strecken sind halbwegs abwechslungsreich designed, machen insgesamt aber keine riesen Sprünge. Durch die Möglichkeit der verschiedenen Witterungsverhältnisse und Tageszeiten bekommen die Strecken aber schnell ein neues Gewand. Gerade nachts übersieht man gerne mal den ein oder anderen herannahenden Felsen. Licht- und Wetter-Effekte könnten aber gerne in einem Rennspiel ein wenig opulenter ausfallen, wirken sie in ONRUSH recht flach und matschig. Auch Texturen hätten hier und da ein wenig mehr Liebe vertragen können. Aber die Entwickler haben sich wohl doch eher auf das Effektgewitter der Zusammenstöße und zahlreichen Crashes mit möglichst stabilen Framerates konzentriert. Hier gibt es nun wirklich nicht viel zu mäkeln und lässt das ein oder andere Burnout-Herz höherschlagen, wenn sich die Wagen zu Altmetall verformen. Dass das Ganze nicht unbedingt physikalisch korrekt von statten geht, ist dank der hübschen Inszenierung der Crashcam verschmerzbar. Die Fülle an möglichen Individualisierungen von Fahrer, Fahrzeug und Spielzeugkarte lässt auch kaum Wünsche offen und man fragt sich, ob eine Special Edition des Spiels mit 16 nicht kaufbaren Skins für rund 20 Tacken mehr wirklich eine Daseinsberechtigung hat. ONRUSH führt uns grafisch weder in neue Welten, noch möchte es sich komplett ungeschminkt zeigen. Soundtechnisch haut uns ONRUSH Rock, Dubstep und schnelle Elektrobeats um die Ohren, was wunderbar zu der gegenseitigen Verschrottung passt. Herrlich auch die schon im Vorfeld beschriebene RUSH-Untermalung. Authentische Motorgeräusche oder Quietschen von Pirelli Reifen werden hier aber wohl eher vergebens gesucht und finden auch wenig Platz. Das ohrenbetäubende Bersten und der Sound von verbiegendem Metall ist in einem Spiel wie ONRUSH aber auch einfach viel befriedigender.

Fazit

Danke Codemaster für dieses Action Game mit Rennboliden und seichtem Tiefgang, welchen ich ohne weiteres mit Freunden spielen und immer mal wieder ins Laufwerk schmeißen kann. Hier ist aber eventuell auch das Problem. Als Vollpreistitel werden wohl Viele vor den Ladenregalen zurückschrecken und doch lieber auf einen Sale warten. Dass wird vermutlich zur Folge haben, dass gerade im Multiplayer wohl häufiger Bots mitfahren anstelle echter Spieler. Schade, denn der Einzelspieler ist zwar eine kurzweilige Unterhaltung, dagegen ist der Multiplayer doch um einiges abwechslungsreicher und interessanter.

Onrush
Grafik/Präsentation
70
Story/Atmosphäre
68
Gameplay
73
Multiplayer
77
Spielspaß
82
Leserwertung0 Bewertungen
0
74