Greedfall im Test – Spiders lang ersehnter und längst überfälliger großer Wurf?

Greedfall ist das neue Einzelspielerrollenspiel aus dem Hause des französischen Entwicklers Spiders. Veröffentlicht in Zusammenarbeit mit Focus Home Interactive drängt sich hier schnell die Frage auf, ob Spiders endlich den Sprung zu einem wirklichen guten Spiel geschafft hat, waren ihre Titel in der Vergangenheit doch oft von vielen Problemen geplagt.

Ich muss ganz ehrlich sein. Mit Spiders verbindet mich eine Art von Hass-Liebe. Dabei beziehe ich mich natürlich nicht auf die nur etwas über 20 Mitarbeiter des Entwicklers, sondern auf ihre Spiele. Kaum ein anderes Studio hat mich so oft in der Vorberichterstattung über ihre Titel angefixt (Liebe!) und mich dann mit dem fertigen Produkt so maßlos enttäuscht (Hass!). Das galt für Of Orcs and Men genauso wie für Mars: War Logs und dessen Nachfolger Technomancer. Einzig Bound by the Flame war zumindest insoweit zu ertragen, dass ich es durchaus mit Spaß durchgespielt habe. Und zumindest in Bezug auf die Vorfreude, bin ich hier eiskalt erwischt worden. Den der damalige Teaser zu Greedfall hat mich mit dem unverbrauchten Mantel-und-Degen-Szenario, dass sich am Europa des 17. Jahrhunderts orientiert, sofort für sich eingenommen. Das noch Schusswaffen in Form von Musketen und gleichartigen Gewehren mit auftauchten, machte es, in Kombination mit den im Teaser gezeigten Fantasy-Aspekten, unmöglich für mich, es nicht weiter zu beobachten. Allerdings schreckte ich zum Ende des Teasers kurz zusammen, als ich den Namen der Entwickler lesen musste. Zu oft bin ich enttäuscht worden, obwohl alle Zutaten, alles versprochene und Gezeigte immer für einen guten Titel sprachen. Nur irgendwie fehlte es dann oft an technischer Qualität. Auch Probleme bei der Erzählweise der Geschichte und dem Gameplay nagten am Endergebnis. Soll heißen, dass mir Spiders Ziele und Ideen immer gepasst haben, aber man die eigenen Ziele teils drastisch verpasst hat. Die Gedanken, das Potential, war aber in all ihren Titeln zu erkennen.

Und damit stellt sich die wichtigste Frage im Test: haben es Spiders geschafft, in eine Art A oder AA-Sphäre mit Greedfall vorzustoßen?

Hilf mir Dich zu mögen!

Ganz ehrlich: mein erster Versuch das Spiel zu starten trieb mich wirklich in den Wahnsinn. Voller Vorfreude lege ich die Disc in die Xbox One X, wartete geduldig die Installation und den Download des Patches ab. Ich starte das Spiel und…nichts. Ein nur schwer erkennbares Logo von Focus erscheint und das wars. Es tut sich nichts. Durch drücken der Xbox-Taste kann ich das Spiel beenden und noch bevor ich es erneut probieren kann, schaltet sich die Xbox One X von selbst ab. Und das so, dass ich zum Wiedereinschalten den Knopf an der Konsole drücken muss. Oh je.

Das alles lies sich dann damit lösen, dass ich in den Einstellungen der Xbox One X unter Aufzeichnung die Auflösung von 4K auf 1080p gestellt habe und hier auch HDR deaktiviert habe. Für ein Spiel, auf dessen Hülle der Schriftzug „HDR Optimiert für Xbox One X“ prangt, ist das nun wirklich nicht gut. Aber immerhin läuft das Spiel selbst dann trotzdem in 4K und mit HDR. Glücklicherweise war das aber das aber der einzige Bug, auf den ich in meinem Durchlauf getroffen bin.

Das eigentliche Spiel startet mit einer Zwischensequenz, in der ein Maler ein Porträt von unserem Spielcharakter malt, ohne unseren Charakter zu zeigen. Denn hier startet der Charaktereditor, der uns die üblichen, recht oberflächlichen aber ausreichenden Möglichkeiten gibt, Gesicht, Hautfarbe, Frisur und Bartwuchs unseren Wünschen anzupassen. Die exzellente Sprachausgabe gibt es leider nur in englischer Sprache, wobei jederzeit deutsche Untertitel aktiviert werden können.

Wenige Schritte später wird uns bei einem Schaukampf auch schon das jederzeit pausierbare Kampfsystem des Spiels erklärt. Dabei stoppen wir per Tastendruck die Zeit und können unter verschiedenen Aktionen wählen. Wobei das nur für unseren eigenen Charakter gilt. Die beiden Begleiter, die wir später mit uns reisen lassen können, kämpfen eigenständig, ohne dass wir auf ihr Verhalten Einfluss nehmen können. Lediglich ihre Ausrüstung können wir anpassen und so Kurt anstelle eines Zweihandschwertes auch eine Axt oder einen Degen in die Hände drücken.

Es gibt schwere und leichte Schläge und man kann Gegner auch treten und damit eventuell sogar betäuben oder zu Boden werfen. Im späteren Spielverlauf lassen sich z. B. Fledermäuse aus der Luft holen und es bietet sich so die Gelegenheit, auf die Flatterviecher ordentlich einzudreschen. Auch Schusswaffen, beim Spielstart hat man schon eine Pistole und entsprechende Munition zur Verfügung, können über dieses Menü abgefeuert werden. Zaubern und das Verwenden von Tränken zur Heilung oder für zusätzliche Statuseffekte kann hier ebenfalls ausgelöst werden. Dabei kann man sich aber auch ohne diese Funktion mit den Gegnern messen. Eine Notwendigkeit die Funktion zu benutzen, besteht nicht. Tränke, Magie und auch die Schusswaffen lassen sich auch festen Tasten zu ordnen.

Im Bezug auf die Schusswaffen muss man aber, passend für das 17. Jahrhundert, darauf achten, dass wir hier nicht von vollautomatischen Waffen sprechen. Stattdessen muss nach jedem Schuss langwierig nachgeladen werden. Das geschieht zwar automatisch, sorgt aber dafür, dass wir nicht unterbrechungsfrei einen Schuss nach dem anderen abgeben können.

Nach dem Schaukampf geht es auch schon hinaus in die Stadt. Greedfall ist kein Open-World-Titel, sondern es teilt seine Spielwelt in unterschiedliche Hubs ein, also Spielbereiche, die auf einen Schlag geladen und dann auch innerhalb dieser, oft sehr großen, Spielbereiche unterbrechungsfrei erkundbar sind. Und das gilt auch für unsere Heimatstadt. In der Welt von Greedfall kämpfen verschiedene Fraktion um die Vorherschafft. Der Hauptcharakter von Greedfall gehört zu der Fraktion, die sich zur Neutralität verpflichtet hat und somit zwischen all den anderen Fraktionen steht.

So geht Questdesign!

Doch worum geht es denn eigentlich nun? Abseits zahlreicher Nebenquests und Hauptquests geht es darum, eine neuentdeckte Insel zu erreichen, wo der Vetter des Spielcharakters als Gouverneur für die Stadt der eigenen Fraktion eingesetzt wurde. Wir sollen ihm dort helfen. Alle Fraktion befinden sich auf der Insel und alle verfolgen zumindest ein einziges, gemeinsames Ziel: die Suche nach einem Heilmittel. Ein Heilmittel für eine Seuche, die das Überleben aller Menschen bedroht. Auch die eigene Familie, genauer die Mutter des eigenen Charakters, ist von der Krankheit betroffen. Niemand weiß, woher sie kommt, was sie auslöst und wie man sich damit ansteckt. Das einzige was man definitiv weiß, ist das ihr Verlauf immer qualvoll und tödlich ist.

Nach ca. 3 Spielstunden, je nachdem wie sehr man sich in den Nebenaufträgen in der Hafenstadt verläuft, geht es auch schon auf eine monatelange Schiffsreise zur Insel. Neben den bekannten, anderen Fraktionen lebt hier aber auch ein einheimisches Naturvolk. Sie sprechen eine eigene Sprache, leben in Hütten im Wald und verfügen über magische Kräfte. Mit einigen Fraktionen sind sie im offenen Krieg, mit anderen versuchen einige Stämme Frieden zu schließen und sogar Handel zu treiben. Hier öffnet sich die Spielwelt, liegt es doch in der Hand des Spielers, wohin er auf der Insel als nächstes Reisen und welchem Auftrag er sich annehmen möchte.

Und vor allem in den Aufträgen zeigen Spiders, dass ich nicht umsonst immer wieder auf mehr von ihnen gehofft habe. Nahtlos alle Quests bieten unterschiedlichste Lösungsmöglichkeiten und für jede Spielweise ist eine dabei. Dabei verfügt die Charakterentwicklung, bei der ganz klassisch Erfahrungspunkte für erledigte Quests und Feinde gesammelt werden und in einem Stufenstieg münden, nicht über ein festes Klassensystem. Alle Kombinationen sind möglich. Ein Zweihandwaffen schwingender Magier, der bei Bedarf auch mit Schusswaffen umgehen kann, soll es sein? Kein Problem! Natürlich gibt es auch die Möglichkeit sich über den Talentbaum zu spezialisieren. Neben Fähigkeiten für den Kampf gibt es auch ein ausgefeiltes Craftingsystem, in dem sich Tränke und Fallen herstellen lassen und auch die eigene Ausrüstung kann verbessert werden. Vorausgesetzt, man investiert die hierfür notwendigen Talentpunkte zur Freischaltung der entsprechenden Fertigkeiten. Aber zurück zur Struktur der Quests. Viele lassen sich auch ganz gewaltfrei oder zumindest gewaltreduziert lösen. Hat man z. B. genug Punkte in Charisma investiert, lassen sich viele potentielle Konflikte bereits in Dialogen lösen. Aber auch wer Intuition verbessert und damit z. B. sammelbare Gegenstände hervorhebt, bekommt in Dialogen neue Möglichkeiten. In einem Auftrag geht es z. B. darum, eine Person zu befreien. Nachdem man im Vorfeld alle beschriebenen Optionen genutzt hat, um den Aufenthaltsort zu ermitteln, findet man sich vor einem schwer bewachten Lagerhaus wieder. Nun gibt es viele verschiedene Lösungswege und Spiders hat es geschafft, dass sich dies durch unzählige Aufträge zieht und das bis zum Schluss der Geschichte.

Man könnte nun auf das Lagerhaus frontal zustürmen und sich durch die Bewacher kämpfen. Man könnte sich an ihnen vorbei ungesehen zum Haupteingang schleichen und hierbei wahlweise einige von ihnen auch lautlos ausschalten. Man könnte aber auch die Rückseite des Gebäudes untersuchen und eine Leiter hinunterklettern. Hier könnte man, die entsprechende Fähigkeit vorausgesetzt, dass Schloss der Hintertür knacken. Oder man sprengt, wenn der eigene Charakter dies denn kann, ein Loch in eine Wand und gelangt so nach drinnen. Im Inneren des Gebäudes angekommen kann man versuchen die Zellentür des Gefangen zu knacken oder den Schlüssel suchen. Und wie geht es nun wieder raus? Erneut an den Wachen vorbeischleichen? Oder lieber von innen den Hintereingang entriegeln und ungesehen entkommen. Oder doch die Bewacher angreifen, um zusätzliche Erfahrungspunkte und Loot abzugreifen? Alles ist möglich!

Dabei sind auch die Nebenquests und insbesondere die Gefährtenquests absolut spannend geschrieben und gut inszeniert. Auch wenn die Kamera bei Dialogen gerne mal nur einen Baum oder eine Wand statt eines Charakters zeigt.

Brauner Wolf, schwarzer Wolf…

Die Technik von Greedfall ist durchwachsen. Das Spiel ist grundsätzlich kein High-End-Augenschmaus, trotzdem ist die Welt im Rahmen des Settings in sich so stimmig auf Basis der hauseigenen, Multiplattform-Engine namens Silk, gestaltet, dass sie durchaus an vielen Stellen sehr schön anzusehen ist. Und dass trotz hölzerner Animationen. In den Städten und Lagern stehen zwar einerseits viele statische NPCs, die auch nur sich wiederholende Sätze abspulen, wenn man sie anspricht.

Andererseits gibt es auch sich aktiv bewegende Bettler, Holzfäller, Händler und Passanten, die durch die Stadt laufen. Dabei ist die Wegfindung der Passanten und auch der nicht aggressiven Tiere, wie z. B. von Hirschen, problematisch. Ein Hirsch wird beim Anblick der eigenen Gruppe aufgeschreckt, rennt aber auf die Gruppe zu statt davon weg und bleibt dann in einer Laufanimation an einem Baum hängen. Oder ein Passant steht plötzlich, mitten in der Gehbewegung, auf einem Fass und dann wieder auf dem Boden der Gasse, in der er sich befindet. Das sind alles keine absoluten Spielspaßkiller, wirkt sich aber dennoch negativ auf die Immersion aus. Dann wären da noch die Gebäude bzw. die Innenräume. Oder sollte ich lieber sagen: der Innenraum? Denn in jeder Stadt hat der eigene Charakter eine eigene Unterkunft. Diese besteht aus einem Raum im Erdgeschoss und einem oberhalb der Treppe. Die Wände sind rot, das Bett und die Kissen im oberen Stockwerk liegen immer an der gleichen Stelle. Dieses Gebäudeinnere haben aber zahlreiche Gebäude, auch in Städten anderer Fraktionen, deren Gebäude von außen eigentlich eine völlig andere Architektur haben. Die Unterkunft eines Alchemisten in einer arabisch angehauchten Stadt hat dieselbe Wandfarbe, das selbe Bett und den gleichen Raumschnitt. Es ist bis hin zum letzten Pixel der exakt gleiche Raum. Auch die Räumlichkeiten der Gouverneure wurden nur einmal entworfen und per copy & paste für alle Städte verwendet. Und da wären noch die Wandgemälde. Es gibt eine Handvoll Gemälde im Spiel, die dafür aber in der gesamten Spielwelt hängen und sich teilweise sogar innerhalb eines einzelnen Flures wiederholen.

Auch die Gegnervielfalt beschränkt sich auf fünf oder vielleicht sechs verschiedene Arten, deren Unterarten einfach nur andere Farben haben. Den, einem Wolf ähnelnden, Standardgegner in den Wäldern gibt es in schwarz, braun und weiß. Das zieht sich so durch alle Gegnertypen, auch durch die menschlichen. Hier ist einfach klar erkennbar, wo die Grenzen des Budgets nicht mehr hergaben.

Es gibt einige wenige, besonders zähe und einzigartige Gegner, die im Kampf auch deutlich herausfordernder sind. Hier muss man die Angriffe geschickt blocken oder ausweichen und genau beobachten, wo sich ein Angriffsfenster öffnet.

Fazit

Greedfall ist im Grunde eine Art Risen und Elex in noch etwas gröber und mit Hubs statt Open-World. Trotzdem ist es ein tolles Rollenspiel in absolut unverbrauchtem Szenario für Spieler, die über die Designschnitzer und die, wohl dem knappen Budget geschuldeten, Einschränkungen hinwegsehen können. Diese Spieler bekommen ein waschechtes Einzelspielerrollenspiel mit einer spannenden ca. 25 Stunden umfassenden Geschichte. Auch wenn die Hauptgeschichte zwischenzeitlich etwas an Fahrt verliert und diese erst im letzten Drittel wieder aufnimmt. Und Elemente über Rassismus, Religionsfreiheit und Schutz der Natur lassen auch Bezüge zu unserer heutigen Zeit zu und zu unserer Vergangenheit. Dafür wird man auch mit einem abgeschlossenen Ende belohnt, dass nicht nur ein Cliffhanger ist, der bei einem potentiellen Nachfolger fortgesetzt wird. Wenn man sich auch um die zahlreichen Nebenquests kümmert, gesellen sich zur Spielzeit nochmal ca. 10 h Spielzeit dazu. Mit Greedfall haben Spiders eine Art Perfektion in einer eigenen kleinen Nische geschaffen. Denn im Grunde ist es kein A oder AA Titel, sondern etwas Eigenes. Man könnte es als BB-Titel bezeichnen, ähnlich wie B-Movies im Filmbereich. Und es ist kein Vollpreistitel, sondern stattdessen auf allen Plattformen schon für deutlich unter 50 € zu haben! Das Wichtigste ist aber: es macht Spaß! Auch wenn man immer mal wieder aus der Immersion gerissen wird. Und wer weiß, jetzt wo Spiders von Bigben Interactive aufgekauft wurde, stehen für den nächsten Titel oder vielleicht auch ein Greedfall 2, ja vielleicht mehr finanzielle Mittel zur Verfügung. Beim nächsten Teaser an dessen Ende Spiders als Entwickler genannt wird, werde ich nicht mehr zusammenschrecken, sondern mich auf das Endergebnis freuen.

Grafik/Präsentation
81
Story/Atmosphäre
83
Gameplay
75
Spielspaß
80
Leserwertung12 Bewertungen
62
unverbrauchtes Szenario angelehnt an das Europa des 17. Jahrhunderts
toll geschriebene (Neben-)Quests
immer unterschiedliche Lösungswege für Quests
motivierendes Craftingsystem
technisch hoffnungslos veraltet
schweres Startproblem zum Launch auf der Xbox One X
Story verliert zwischendurch etwas an Fahrt
geringe Gegnervielfalt
80