God of War im Test – Eine kaltblütige Erziehungsmethode

Wer hätte gedacht, dass wir unseren Lieblings-Spartaner nach God of War III nochmal wiedersehen? Der am 20. April erschienene neue Teil mit dem simplen Titel „God of War“ erweckt Kratos wieder zum Leben und verfrachtet ihn in eine neue, noch unentdeckte Mythologie. Ob der Tapetenwechsel funktioniert und der 30-Stunden-Epos durchgehend Spaß macht, erfahrt ihr ihm Test.

Gof of War – Als die Götter die Welt bewanderten

In den vergangenen God of War-Teilen haben wir uns ausgiebig in der griechischen Mythologie aufgehalten, bis Kratos selbst zum God of War wurde. Im neusten Teil verschlägt es uns aber in den eisigen Norden. In Midgard, der nordischen Bezeichnung für die Erde, lebt Kratos nun zusammen mit seinem Sohn Atreus. Gleich zu Beginn werden wir mit einem Schicksalsschlag konfrontiert: Atreus‘ Mutter und Kratos Frau ist verstorben und wird nun in einem herzzereißenden Szenario beigesetzt.

Ganz im Sinne der altnordischen Traditionen wird sie verbrannt, damit ihre Seele frei gelassen und ihr Körper nicht durch kalte Mächte wiederbelebt wird und sie als Untote endet. Ihr letzter Wunsch war es, ihre Asche auf dem höchsten Punkt der Welten zu verstreuen. Und so beginnt unser Abenteuer mit Kratos und Atreus. Nun wird Atreus auf die Probe gestellt, ob er für dieses Abenteuer überhaupt geschaffen ist. Kratos setzt ihm zur Aufgabe, ein Tier mit seinem Bogen zu jagen. Auf dem Weg dorthin begegnen wir bereits unseren ersten Bestien und Trollen, die uns vom Weiterkommen abhalten wollen. Die Übergänge von einfühlsamen Storyeinlagen bis hin zu brutalen Finishing Moves ist dabei so fließend wie ein vermeintlicher One-Shot. Keine lästigen Ladezeiten, die den Spielfluss stören könnten, sondern eine lebendige und trotz Szenario fast schon realitätsnahe Geschichte.

God of War spielt in vor der Völkerwanderung, welche damals als Zeit genannt wird, in denen die Götter noch die Welt bewanderten. Wir bekommen viel Input zur nordischen Mythologie durch Holztafeln, die diese Mythen und Legenden erklären. Dabei hilft uns Atreus mit seinem Wissen, welches ihm seine Mutter beigebracht hat und entziffert die nordischen Runen, die uns auf dieser Reise begegnen und bringt uns so tiefer in diese Welt, die für Kratos noch immer recht fremd scheint. Auf der langen Wanderschaft begegnen wir außerdem vielen bekannten Kreaturen dieser Mythologie – sowohl als Freund als auch Feind. Doch häufig nicht als riesige Kolosse, wie es in den vergangenen Teilen der Fall war, die es immer zu besiegen gilt.

Ich möchte nicht weiter auf die Geschichte eingehen, denn das Spiel baut sich so auf, dass wir die wahre Identität von einigen Figuren erst im späteren Verlauf erfahren und Kratos immer mal wieder und vor allem im letzten Drittel des Spiels scheinbar doch nicht ganz seine Vergangenheit hinter sich lassen konnte, doch diese Überraschungsmomente möchte ich euch nicht nehmen. Auch wenn wir sehr viel in den über 30 Spielstunden über die nordische Mythologie beigebracht bekommen, wird hier nur die Spitze des Eisbergs angebrochen und kann eher als Impuls verstanden werden, sich weiter mit dieser Zeit und den Welten zu beschäftigen. Man möchte trotzdem noch mehr wissen, besonders aufgrund des recht offenen Endes mit einem spannenden Cliffhanger – einerseits könnte man dies kritisieren, aber es könnte auch andererseits weiterhin viel Stoff für weitere Teile bieten, die mit Sicherheit kommen werden nach diesem Erfolg.

Um am Rande noch auf meinen Behind the Names Artikel einzugehen, in dem ich spekuliere, wer denn nun der God of War im neusten Teil sein könnte. Týr begegnen wir leider nicht in menschlicher Form, denn sein Tod passierte bereits vor den Geschehnissen von God of War. Doch sein Name trägt eine tragende Rolle, die Welten miteinander verbindet und ein zentraler Ort der Geschichte ist.

Junge, Junge, Junge

Im Allgemeinen sind nicht nur die Götter im Laufe der Entwicklung des neusten God of War-Teils menschlicher geworden, auch Kratos hat sich weiterentwickelt.
Wir sehen Kratos das erste Mal mit einem Teil einer Familie, den er nicht blutrünstig abschlachtet. Er begegnet uns nicht mehr als eindimensionaler Charakter, der nur von Rache getrieben ist. Seine liebevolle Bezeichnung „Junge“, wie er Atreus zum Großteil nennt, könnte man auf den ersten Blick mit Kaltherzigkeit und Distanz zu ihm in Verbindung bringen. Doch ich glaube eher, dass Kratos ihn schützen möchte, vielleicht sogar in der Zukunft vor ihn selbst und ihn somit abhärtet und Atreus auch zu einem Krieger machen möchte. Denn seine Liebe zu Atreus zeigt Kratos meistens nur hinter seinem Rücken, wenn er ihn in einem emotionalen Moment beistehen möchte und um eine Umarmung ringt, diese aber im letzten Moment zurückzieht.

Doch Kratos ist deswegen nicht gleich weniger brutal. Er hat es immer noch drauf, seine Gegner auf brutalste Weise die Gliedmaßen abzutrennen, nur mit dem Unterschied, dass Atreus alles miterlebt. Das färbt natürlich ab und auch er wird mit der Zeit immer mutiger und hilft Kratos mehr und mehr in den Kämpfen, geht dabei sogar in den Nahkampf mit den Bestien.

Axt im Anflug

Kratos vertraut im Kampf dabei nicht nur auf seinen reinen Faustkampf, bei dem er gelegentlich auch ein Schild auspackt und den Gegner damit mit voller Wucht nach hinten schleudert. In God of War hat er die Chaosklingen mit der Leviathanaxt ausgetauscht. Die von Zwergen geschmiedete Axt kann er dabei werfen und kann sogar schwächere Gegner einfrieren. Á la Thor kann er seine Axt dabei mit einer Handgeste wieder zu sich zurück schleudern lassen. Wir können uns außerdem auf Kratos‘ Vergangenheit verlassen: Nach erfolgreichem Aufladen können wir in die Spartan Rage verfallen und sind dadurch für kurze Zeit nicht nur unfassbar wütend, sondern mit massiven Attacken auch unglaublich stark.

Wie anfangs erwähnt steht uns nun ein kleiner Kamerad im Kampf zur Seite. Atreus kann mit seinen Pfeilen Gegner von Atreus ablenken oder bewusstlos machen, sodass Kratos zum tödlichen Finishing Move aussetzen kann. Später beweist er sich auch im Nahkampf, klettert auf Gegner und hält sie für einen kurzen Augenblick im Zaum. Ganz unverwundbar wie er manchmal scheint, da er selbst keine Gesundheitsleiste hat, ist er jedoch nicht. Gegner können ihn festhalten und es liegt an Kratos, Atreus wieder aus diesen Fängen zu befreien. Im späteren Verlauf des Spiels bekommt Atreus außerdem die Möglichkeit Licht- und Blitzpfeile zu verschießen, die nicht nur gegen bestimmte Gegnertypen Vorteile und neue Fähigkeiten bringen. Wenn Kratos ihn beauftragt, diese Pfeile gegen bestimmte Objekte zu schießen, erschließen sich uns neue Wege, die zuvor noch versperrt waren.

Mit den neuen Waffen bietet sich uns auch ein ganz neues Kampfsystem. Stupides Haudrauf bringt uns nicht weiter. Wir müssen ausweichen, blocken und dabei das Angriffsmuster der Gegner analysieren, um sie zu besiegen. Diese Analyse und Tipps schreibt sich Atreus außerdem in sein Bestiarium, damit wir diese Vorteile in zukünftigen Kämpfen bereits zu Beginn ausnutzen können. Wenn wir trotzdem einmal in eine bedrohliche Lage kommen und sich die Gesundheit fast schon verabschiedet, können wir Zelda-like Krüge zerschlagen, die uns grüne und rote Kristallen offenbaren. Auch Gegner lassen beim Tod oder in der Mitte des Kampfes diese Kristalle fallen. Beim Zertreten der grünen Kristalle regeneriert sich die Gesundheit, bei den roten wird Kratos‘ Spartan Rage aufgeladen oder direkt entfacht.

Durch die Möglichkeit der Verbesserungen unserer Waffen und Fähigkeiten, die wir sowohl für Kratos als auch für Atreus in einem Skilltree freischalten können, stehen uns immer neue Kombos zur Verfügung, die es zu meistern gilt. Außerdem begegnen wir nicht immer gleich starken Gegnern. Besondere Herausforderungen finden wir in Gegnern, die farblich lila markiert sind und somit deutlich über Kratos‘ Stärke stehen. Hier müssen alle Kenntnisse genauestens und im richtigen Zeitpunkt umgesetzt werden, ansonsten reicht schon ein Schlag des Gegners aus, um uns umzubringen. Dadurch bleibt das Kampfsystem auch nach 30 Stunden noch interessant und abwechslungsreich.

Das einzige Manko, welches beim Kampf häufig lästig erscheint, ist die Kamera. Wir können zwar durch Drücken einer Taste eine schnelle 180° Kehrtwende machen, doch wir müssen uns trotzdem für einen kurzen Moment neuorientieren, was wertvolle Zeit kosten kann, die der Gegner teilweise schamlos ausnutzt. Auch die Ausweichrolle ist bei größeren Gegnern nicht immer von Vorteil. Wir rollen nicht weit genug weg, um aus der Angriffsreichweite des Gegners zu gelangen. Da ist es fast sinnvoller einfach wegzurennen – nicht zuletzt weil wir keine Ausdauer besitzen.

Dem Pfad folgen oder abweichen

Falls uns jedoch einmal nicht nach Kampf ist, können wir uns auch auf die Suche nach Truhen begeben. Diese sind, je nach Seltenheit des Loots, unterschiedlich schwer zu finden und zu öffnen. Entweder können wir sie zerschlagen, Atreus bricht für uns ein Siegel oder wir müssen ein Rätsel lösen. Bei diesem Rätsel geht es darum, die in der Umgebung befindlichen Runen, die auch auf der Truhe zu sehen sind, zu finden und entweder zu zerstören oder in der richtigen Reihenfolge anzeigen zu lassen. Als Belohnung winken uns Hacksilber, die Währung im Spiel, mit der wir Verbesserungen, Zauber oder Talismane kaufen können – mit der vor der Volkerwanderung wirklich gehandelt wurde – bis hin zu Rüstungen oder Waffenverbesserungen.

Die eben angesprochenen Zwerge, die Kratos‘ Axt geschmiedet haben, begegnen wir auf unseren Reisen immer mal wieder. Brok und Sindri bringen nicht nur Witz in die Dialoge. Die beiden dienen uns als Händler, um Artefakte, die wir an abgelegenen Stellen finden, verkaufen oder unsere Rüstung- bzw. Waffen verbessern zu können. Warum wir diesen intelligenten Wesen auch in den noch so unerreichbaren Welten begegnen, müsst ihr jedoch selbst herausfinden. Sie bieten uns neben der Hauptquest an, ihnen kleine Gefallen zu erfüllen. Dadurch durchforsten wir neue Gegenden und neue Gegner stellen sich uns in den Weg. Am Ende werden wir mit reichlich Erfahrungspunkten und Verbesserungen belohnt.

Sobald wir das Gebiet der See der Neun erforschen, können wir weiter vom Hauptquest-Pfad abkommen. Das halboffene Areal lädt zum Erkunden ein und hält die ein oder andere Herausforderung bereit. Auch hier können wir Nebenquests finden, die uns jedoch nicht an jeder Ecke präsentiert werden und irgendwann zu lästigem „Töte Gegner X.“ mutieren. Wir müssen schon genau die Augen offen halten.

Uns wird also in den 30+ Stunden Spielzeit viel geboten, damit auch gar keine Langeweile aufkommen kann. Nur zu Beginn, bis wir beispielsweise an einen Kompass im User Interface gelangen, vergeht viel Zeit und es wird stellenweise etwas langatmig. Dafür nimmt das Spiel ab der Hälfte besonders Fahrt auf und man ist fast schon erstaunt, wenn die Credits über den Bildschirm rollen. Das semi-offene Areal erinnert stark an Uncharted: Lost Legacy, doch auch hier wird einem nur die Option geboten, noch länger in der Welt zu verweilen. Das Spiel ist auch ohne Absolvieren der Nebenquests prall gefüllt mit Abwechslung und Story-Tiefgang.

Stimmgewaltig

Nicht nur die Story ist in jeder Hinsicht detailverliebt. Auch bei der Präsentation in Grafik, Musik und Sound merkt man, wie viel Arbeit hier reingesteckt wurde. Ich empfehle euch, den Sound auf Englisch zu stellen. Auch wenn die Synchronisation sehr gelungen ist, geht doch nichts über die unfassbar tiefe Stimme des Stargate-Schauspielers Chris Judge. Außerdem könnt ihr so das BOI-Meme besser nachvollziehen.

Ein Moment, der mir nicht mehr aus dem Kopf geht und zeigt wie gut hier mit Sound umgegangen wurde, ist unsere erste Begegnung mit der Weltenschlange oder auch Jörmungandr genannt. Das gewaltige Wesen wird mit einer dumpfen aber ohrenbetäubend lauten Stimme versehen, die den Controller dauerhaft zum Vibrieren gebracht hat und Gänsehaut vorprogrammiert war.

Das Schöne an God of War ist, dass es sich trotz des bedrückenden Szenarios nicht immer zu ernst nimmt. Gerade die Dialoge mit den Zwergen stecken voller witziger Seitenhiebe und auch die Unterhaltungen mit Atreus lassen uns häufig schmunzeln. Gerade deswegen hätte ich mir mehr Dialogmöglichkeiten gewünscht. Es bleibt keine Möglichkeit uns weiter als nötig mit den Charakteren zu unterhalten. Das, was uns präsentiert wird, gilt es zu akzeptieren. Doch der charakterlichen Tiefe so mancher Figuren hätte es gut getan, wenn man durch Fragen mehr über ihre Beweggründe oder auch die Mythologie dahinter hätte erfahren können.

Eine Welt schöner als die andere

Glücklicherweise verweilen wir in God of War nicht nur in Midgard. Wir erforschen auch andere Welten, die uns durch den Weltenbaum Yggdrasil eröffnet werden. Keine Welt gleich der anderen und unsere Gefühlslage ändert sich stetig durch das Betreten anderer Welten. In Helheim beispielweise bewirkt die grüne Lichtstimmung und die von Nebel umwobene Umgebung, dass wir uns beklemmt fühlen und so wie Kratos so schnell wie möglich wieder zurück nach Midgard wollen.
Nicht nur die Welten sind detailverliebt. Auch die Figuren und Wesen der nordischen Mythologie werden abseits der klassischen Darstellungen wiedergegeben, wodurch man manchmal nicht weiß, welchen Gott man da gerade vor sich stehen hat. Doch ihre unverkennbaren Merkmale bleiben den Figuren trotzdem erhalten. So traut sich God of War an eine neue Darstellung der Legenden, bei denen selbst Spieler, die mit der nordischen Mythologie vertraut sind, überrascht werden.

Da zuvor bereits der Vergleich mit Uncharted kam, möchte ich ihn bezüglich der Grafik und des Motion Captures noch einmal aufgreifen. Vor allem Kratos steht hierbei im Rampenlicht. Es scheint jedes Barthaar einzeln modelliert zu sein und in Nahaufnahmen in Zwischensequenzen wirkt er realistischer denn je. Das stellt jedoch die anderen Figuren ein wenig in den Schatten. Ihre Gesichtsmimik wirkt im Gegensatz dazu leicht hölzern. Eine Uncharted-ähnliche realistische Darstellung von Mimik und Gestik könnt ihr in God of War also nicht erwarten.

Fazit

God of War hat es geschafft. Nicht nur die Welt, in der es spielt, neu zu erfinden sondern auch Kratos weiterzuentwickeln und ihn zu einem Charakter mit Tiefgang zu gestalten. Es wird einem eine detailverliebte, epische Welt – ohne lästigen Unterbrechungen – nahegebracht. Man lernt viel über die Legenden und Mythen, die viel Stoff für weitere Teile bieten. Nicht nur Fans der nordischen Mythologie kommen hier voll auf ihre Kosten. Die hakelige Kameraführung und das fehlende Dialogsystem ist dabei Meckern auf sehr hohem Niveau, auch wenn die hölzerne Darstellung das perfekte Bild ein wenig trübt. God of War ist durch und durch ein gelungenes Action-Adventure, dass einen in eine neue Welt entführt, aus der man nicht so schnell wieder heraus möchte.

God of War
Grafik/Präsentation
79
Story/Atmosphäre
89
Gameplay
81
Spielspaß
85
Leserwertung1 Bewertung
100
84