Es gibt Spiele, die gehen einem nicht mehr aus dem Kopf sobald man das erste Bild irgendwo gesehen hat. Forgotton Anne war für mich so ein Fall. Auch wenn der Titel von Square Enix Collective veröffentlicht wurde und ein wenig an klassische, japanische Animation erinnert, steht mit ThroughLine Games ein dänisches Studio hinter Forgotton Anne. Optik und auch Story tut das keinen Abbruch. Ob die spielerische Seite da mithalten kann?
Lebendig vergessen
Die entrückte Welt, in der sich Anne befindet ist jene der vergessenen Dinge. Ob Socke, Koffer oder Fernseher, in den vergessenen Landen jener Welt werden alle Dinge lebendig, zumindest für eine Zeit lang. Das sorgt, soviel vorweg, auch für reichlich skurrile Momente, macht die Bewohner aber allesamt sympathisch. Sei es eine miesepetrige Socke, eine grimmige, rauchende Zapfsäule oder eine fröhlich dreinblickende Bowlingkugel. Auch zwei Menschen befinden sich hier, Meister Bonku und die namensgebende Anne. Während Bonku so etwas wie der Herrscher im Hintergrund ist und schon lange daran arbeitet, wieder in die Menschenwelt zurückkehren zu können ist Anne seine ‘Enforcerin‘. Die deutsche Bezeichnung Hüterin ist hier etwas unglücklich gewählt. Denn Anne ist oberste Ermittlerin und auch Vollstreckerin für Meister Bonku. Direkt zu Spielbeginn werden wir mit einem Rebellenangriff konfrontiert. Annes Aufgabe ist dabei aber nicht der aktive Kampf, sondern Ermittlungen. In deren Rahmen können wir aufmüpfige Vergessene allerdings mit unserer Allzweckwaffe, dem Arca desintegrieren. Ein muss ist das jedoch keineswegs. Denn primär dienen Arca und die Sprungreichweite erhöhende Flügel dazu, reihenweise energetische Rätsel zu lösen.
Aber zurück zur Geschichte. Im Rahmen unserer Ermittlungen müssen wir immer wieder Entscheidungen treffen. Und immer wieder stellt sich die Frage, ob Bonku wirklich so sehr auf dem richtigen Weg ist wie Anne glaubt. Denn für Meister Bonku sind die Vergessenen weiterhin nur tote Dinge ohne echtes Leben. Jene sehen das aber ganz anders. Da viele Nebenwege optional sind und Dialoge sich abhängig von unseren Fragen und Antworten immer wieder verzweigen ergibt sich recht schnell eine ganz eigene und persönliche Sicht auf die Dinge. So treffen wir, vorausgesetzt wir betreten das richtige Haus, einen alten Fotoapparat wieder. Jener Fotoapparat ist mittlerweile eine alte Frau, die unbedingt noch ein allerletztes Foto von uns machen möchte. Und natürlich unserer Erinnerung auf die Sprünge hilft. Auch der Umgang mit vermeintlichen Rebellen lässt uns immer wieder die Wahl. Lassen wir sie vielleicht davonkommen? Stecken wir sie zur Zwangsarbeit in die Fabrik? Oder desintegrieren wir sie an Ort und Stelle?
Die gelungene Handlung, die Stück für Stück immer mehr Details über die Vergessenen, Anne und auch Meister Bonku freigibt tut dabei ihr übriges, für die gesamte Spielzeit gut bei der Stange zu halten.
Klettern, fragen, schalten
Spielerisch stellt Forgotton Anne keine allzu gigantischen Herausforderungen. Die Animarätsel, die wir mit unserem Arca lösen müssen bleiben die meiste Zeit einfache Schalterrätsel. Harte Kopfnüsse, die den Erzählfluss für längere Zeit bremsen gibt es eher nicht. Allerdings ist auch längst nicht alles auf den ersten Blick offensichtlich. So muss man etwa schon etwas genauer hinsehen um zu erkennen, dass man bestimmte Schalter für eine erfolgreiche Notbremsung eines Zuges mehrfach betätigen muss. Der ein oder andere Hintergrund macht Kletterpassagen vielleicht auch etwas schwieriger, weil bestimmte Details nicht auf den ersten Blick zu erkennen sind. Macht aber üblicherweise nichts, weil Anne zum Beispiel nicht zu Tode stürzen kann und wir auch nie unter echtem Zeitdruck stehen. Auch dann nicht, wenn eben jener zur Handlung gehört.
Entsprechend ist Forgotton Anne alles andere als ein schweres Spiel. Lässt man sich auf die Art der Rätsel ein sind alle zumindest halbwegs fix gelöst. Nichts torpediert den Spielfluss wie es bei klassischen Adventures oft der Fall war. Die Kletter- und Sprungeinlagen sind im Prinzip auch recht simpel, hier stört höchstens die manchmal unnötig hakelige Steuerung den Erzählfluss ein wenig. Apropos Erzählfluss, sich durch Dialoge einfach durchklicken ist nicht. Egal wie schnell ihr Untertitel lesen könnt, die Syncronsprecher wollen ihren Text definitiv zu Ende sprechen. Da Laufwege, teils über mehrere Hintergrundebenen, manchmal auch länger sind als beim eher gemächlichen Tempo nötig gewesen wäre kann sich das Spiel leider manchmal zäher anfühlen, als nötig gewesen wäre.
Anne mit den roten Haaren
Wirklich punkten kann Forgotton Anne bei Grafik und Sound. Anleihen bei Animationsklassikern von der World Masterpiece Theater Reihe bis Studio Ghibli können die Damen und Herren von Throughline Games wohl nicht so ganz von der Hand weisen. In vielen Punkten erinnert Forgotton Anne aber auch an europäische Zeichentrickfilme. Dabei bewahrt sich das Spiel auch seine ganz klaren Eigenheiten. Gerade die eigenwilligen Vergessenen können dabei immer wieder punkten. Wann hattet ihr eure letzte Unterhaltung mit einer 44er Magnum? Oder einer Decke? Die Animationen der Figuren sind dabei ganz bewusst trickfilmartig gehalten und durch die Bank weg gelungen. Da die Hintergründe mit ihrem handgezeichneten Look auch immer überzeugen können und manchmal schlicht großartig sind, kann Forgotton Anne visuell punkten. Alles in allem gilt das auch für die englischen Sprecher, die alle einen guten Job machen. Der ein oder andere Akzent ist dabei aber dicker aufgetragen, als nötig gewesen wäre. Schade ist der Verzicht auf eine deutsche Tonspur, zumindest für wirklich jüngere Spieler. Bleibt natürlich der Soundtrack. Blöderweise kann der auch voll und ganz überzeugen. Von den Kopenhagener Philharmonikern eingespielt bietet er zwar nicht zwingend viele ohrwurmverdächtige Momente, ist aber atmosphärisch meist sehr dicht und immer passend zum Spielgeschehen. Switch Besitzer müssen bei Grafik und Sound übrigens keine Abstriche gegenüber den anderen Konsolen hinnehmen.
Ungeschliffener Kristall
Schade, dass gewisse Kritikpunkte gerade auf spielerischer Ebene einfach vorhanden sind. Die Steuerung könnte schlicht und ergreifend präziser sein, die Rätsel etwas abwechslungsreicher und manche Wege sicher auch kürzer. In dem einen oder anderen Fall könnte eine Hilfefunktion für manche Spieler auch ganz gut sein. Einfach, weil man schon mal Dinge übersieht. Dabei spielt sich Forgotton Anne nicht schlecht. Es wäre einfach eine ganze Ecke mehr drin gewesen. Handlung, Charaktere und natürlich auch der gesamte Look and Feel des Spieles entschädigen dafür aber so deutlich, dass Forgotton Anne auf jeden Fall einen Blick wert ist.
Fazit
Optisch hui, spielerisch zwar kein Pfui aber mit Luft nach oben. Forgotton Anne macht Spaß, das liegt aber vor allem an Handlung und Präsentation. Das spielerische Grundgerüst ist allerdings auch kein Totalausfall.