DiRT 4 im Test – jetzt wird´s dreckig

Schaut man in die Liste der dienstältesten, noch aktiven Rennspielentwickler, dann sind die Jungs und Mädels von Codemasters ganz vorne mit dabei, vielleicht belegen sie sogar die Pole Position. Na gut, die Pole Position schlechthin war zwar noch eine gute Ecke früher da, aber mit Spielen wie Grand Prix Simulator, Micro Machines, TOCA, Colin McRae Rally, Race Driver und natürlich der Dirt Reihe entwickeln die Meister des Codes bereits seit 30 Jahren Rennspiele. In den vergangenen Jahren musste Codemasters allerdings verstärkt mit Kritik leben, die gerade auch die letzten Dirt Titel betraf. War Colin McRae: Dirt noch ein zugänglicherer, minimal arcadig angehauchter Action-Simulationsvertreter mit Rallyschwerpunkt setzte Dirt 2 schon verstärkt auf stylische Präsentation, mehr Offroadrennen als Rally und mehr Action. Dirt 3 wollte mit Gymkhana und Co. noch mehr weg vom klassischen Rallyrennspiel. Dirt Showdown schließlich hatte mit den alten Colin McRae Teilen so gar nichts mehr gemein, obendrein viele zweifelhafte Designentscheidungen und wurde entsprechend von Spielerschaft und Presse abgestraft. Erst im vergangenen Jahr konnten sich Codemasters mit Dirt Rally wieder weitgehend auf alte Tugenden besinnen, nicht zuletzt dank klarem Fokus auf Rally. Gerade mal ein Jahr später steht mit Dirt 4 wieder ein vollwertiger Serienvertreter auf der Matte. Da stellt sich natürlich die Frage, ob Codemasters erneut an alte Qualitäten anknüpfen kann.

Rally, Rally, Rally und ein bisschen Offroad

Wer in den Veranstaltungskalender von Dirt 4 schaut, dem wird schnell klar, der Fokus steht erneut auf Rally. Neben modernen Klassen gibt es als eigene Kategorie noch historische Rally. Außerdem darf bei Rallycross auf Rundstrecken auch gegen andere Fahrer direkt angetreten werden, nicht nur gegen deren Zeiten. Ein bisschen verloren wirkt im Vergleich dazu Landrush. Hier dürfen wir in Buggies, Crosskarts oder Trucks auf Offroadpisten antreten. An der Stelle macht sich auch eine klare geografische Trennung bemerkbar, Landrush ist amerikanisch, Rallycross europäisch. Die beiden klassischen Rallykategorien dagegen sind global. Von Australien über die neue bis in die alte Welt reicht hier die Pistenaswahl. Ebenso fällt auf, dass Landrush mit Abstand die kürzeste Kategorie bildet, klassische Rally dagegen die umfangreichste. Auswahl und relativ nüchterne Präsentation drängen dabei den Vergleich zum allerersten Dirt auf. Im Vergleich mit diesem fehlen allerdings Hillclimb sowie Rally Raid. Schade, aber zumindest für ersteres gibt es einen guten Grund, dazu kommen wir aber später noch.

Nettes Gimmick: Es besteht zu jeder Zeit die Möglichkeit, für ein Fremdteam zu fahren. Oder wir bauen unser eigenes Team auf. Dazu gilt es, Teammitglieder einzustellen, Sponsoren an Land zu ziehen und unsere “Anlagen”, also Gebäude und dergleichen auszubauen. Auch dieser Part des Spiels ist in der Präsentation eher nüchtern gehalten. Zwei Punkte können hier dennoch nerven. Für Sponsoreneinstellungen muss jedes Mal der Streckenhintergrund Dirtfish geladen werden, was einfach dauern kann. Und weil viele Verträge nach einer bestimmten Zahl von Meisterschaften auslaufen,sich das Teammanagement aber nicht komplett automatisieren lässt, muss man hier ein wenig Zeit versenken, will man das Maximum rausholen. Dabei bieten gerade die Anlagen Verbesserungen auch Dinge wie mehr Fahrzeugstellplätze und Rabatte für Reparaturen. Dadurch, dass Upgrades, Sponsorenangebote und besseres Personal an unser Fahrerlevel gebunden sind, dass wir mit Erfahrungspunkten aus gefahrenen Rennen natürlich verbessern, ergibt sich noch ein minimaler Rollenspieleinfluss.

Handling with care

Erste wirklich auffällige Neuerung, Dirt 4 bietet zwei Handling Modelle, Game und Simulation. Das erinnert in mehr als einem Punkt an Forza respektive Forza Horizon. Für Game gilt die gleiche Physik, die Fahrzeuge steuern sich hier aber etwas leichter und arcadiger. Schneller um die Kurven kommt man so aber keineswegs. Wer mit Simulationssetting fährt wird dagegen von der (optionalen) Fahrschule profitieren, die man im oben bereits genannten Dirtfish absolvieren kann. Davon abgesehen bietet Dirt 4 aber natürlich reichlich weitere Optionen, den Schwierigkeitsgrad rauf oder runter zu schrauben, KI-Schwierigkeit, ABS, ESP und Traktionskontrolle gehören hier sicher zu den gängigeren Punkten. Manueller Start und Verzicht auf Außenperspektiven wohl eher zu den untypischen. Gerade das Deaktivieren der Launch Control, optional auch mit manueller Kupplung, kann dabei sogar Vorteile im Spiel bringen. Auch die Anzahl an Neustarts kann man einstellen. Völlig abwesend ist dagegen ein Feature, das erst Codemasters vor mittlerweile zehn Jahren im Rennspielgenre etablieren konnte,die Rückspulfunktion. Das ist insofern schade, dass gerade Codemasters den Rücklauf seinerzeit mit einem gewissen spielerischen Anspruch verknüpfen konnte. Und seien wir mal ehrlich, wer arbeitet, Kinder hat und so weiter, der weiß dass eine optionale Rückspulfunktion auch gelegentlich ihre nervenschonenden Vorteile hat. Gerade dann wenn man in der letzten Runde bei Landrush vom rabiaten KI-Gegner abgeschossen wird oder dergleichen.

Aber zurück zum Handling, ein Punkt in dem Dirt 4 grundsätzlich völlig überzeugen kann, vielleicht mit einer Einschränkung für absolute Realismusfanatiker. Die Reifen haben nämlich ziemlich viel Grip, auch wenn das bei Rally Cross etwas weniger zu sein scheint. Insgesamt fühlen sich die Fahrzeuge dabei immer sehr passend und nachvollziehbar an. Fronttriebler haben einen Hang zum Untersteuern, Hecktriebler brechen glaubwürdig aus, Pro Trucks wirken entsprechend wuchtig, Rallycross Fahrzeuge leichtfüßig. Auch das Verhalten der Autos bei Sprüngen oder Bodenwellen ist immer sehr glaubwürdig. Allerdings haben die Autos üblicherweise ordentlich viel Bodenhaftung, so dass die meisten Fahrzeugklassen gut beherrschbar bleiben. Natürlich sind historische Hecktriebler ganz andere Biester als aktuelle Rallyfahrzeuge. Und wie bereits angemerkt bieten die leichten Rallycross Fahrzeuge gefühlt weniger Grip. Übermäßig einfach wird Dirt 4 so aber keineswegs, einerseits bietet der vierte Teil, sieht man mal vom letztjährigen Rally ab, vielleicht das anspruchsvollste Handling der Dirt Reihe. Andererseits ist Dirt 4 auch mit Controller jederzeit gut spielbar.

Es ruckelt nicht aber es fließt

Nach wie vor setzt Codemasters auf die hauseigene EGO-Engine, bei Dirt 4 passenderweise in Versionsnummer 4.0. Die schlechte Nachricht vorweg, grafische Referenz liefern die Briten hier nicht ab. Zumindest nicht auf Konsolen. Dafür wirken Landschaftsdetails gerne mal zu flach, Texturen teils zu matschig und so weiter. Dennoch sieht Dirt 4 immer sehr ordentlich und immer wieder mal wirklich gut aus und zwar bei konstanten 60 Frames pro Sekunde. Zur Erinnerung, das erste Dirt ruckelte geradezu mit Leidenschaft immer wieder, die Nachfolger liefen in der letzten Generation auch nur mit konstanten 30 Bildern. Dabei erlebt man im aktuellen Teil selten, dass höhere Detailstufen sichtbar eingeblendet werden, es gibt durch die Bank Multisampling Anti-Aliasing und der Gesamteindruck ist entsprechend sauber. Staub von vorausfahrenden Fahrzeugen kann sogar die Sicht rauben. Ganz allgemein können auch die unterschiedlichen Wetterbedingungen und Tageszeiten überzeugen, einzig die dicke Nebelsuppe wirkt ein wenig altbacken. Auch unterschiedliche Tageszeiten machen sich gut.

Soundseitig überzeugt Dirt 4 auch weitestgehend. Musik bekommen wir allerdings nur abseits der Rennen zu hören. Die Soundkulisse von Motoren über Reifenquietchen bis zu Schotter, der gegen den Fahrzeugboden schlägt entschädigt dafür, auch wenn ein Forza Horizon 3 abseits der Straße noch echter und weniger nach Aufnahme klingt. Ein wenig nerven können dafür die Spotteransagen bei Landrush und Rallycross. Das liegt vor allem daran, dass sich die Sprüche auf Dauer schnell wiederholen und man Dinge wie “Gas, Gas, Gas” oder “Du hast drei Plätze aufgeholt” mit etwas Pech entsprechend oft zu hören bekommt. Hier wären ein paar Ansagen mehr nicht verkehrt gewesen, auch weil die Spotter in den Rundrennen nicht getrennt vom Rallybeifahrer stummgeschaltet werden können.

In den Staub mit dir

Alles in allem kann Codemasters neuester Ausflug in dreckigere Gefilde wieder voll und ganz überzeugen. Der Onlinemodus läuft üblicherweise rund, das Handling der Fahrzeuge passt einfach. Der Aufbau der Rennkarriere ist einerseits schlank und geradeaus, bietet andererseits aber auch nette Details wie Aufbau und Verbesserung des eigenen Rennteams. Auf der anderen Seite wäre hier und da auch noch etwas mehr drin gewesen. Da ist der komplette Verzicht auf Rally Raid und Hillclimb. Letzteres erklärt sich wohl auch daraus, dass Sony die Exklusivrechte für Pikes Peak sichern konnte und wir die ikonische Piste wohl auf Jahre hinaus nur noch in Gran Turismo befahren dürfen. Allerdings wäre durchaus denkbar gewesen, ähnlich wie bei Trailblazer in Dirt 2, Hillclimb Fahrzeuge auf anderen Strecken antreten zu lassen. Sieht man davon mal ab, dann hätte es einfach gerne noch etwas mehr Offroad sein dürfen. Schon allein deshalb, weil die Landrush Rennen in Dirt 4 die besten Offroad Rennen der vergangenen Jahre darstellen, sofern man vom arcadigeren Forza Horizon absieht. Unterm Strich ist Dirt 4 jedenfalls das beste Dirt seit langem, auch wenn absolute Realismusfanatiker hier (wieder) nicht ganz glücklich werden.

Fazit

Die schlechte Nachricht zuerst, ganz perfekt ist Dirt 4 nicht. Und jetzt die gute, es ist trotzdem ein richtig gutes Rally- und Offroadrennspiel. Klar, noch mehr Offroad wäre für Fans toll gewesen. Und man muss wohl abwarten, wie voll die Mehrspielerserver auf längere Sicht bleiben. Das gilt aber für jedes Spiel mit Onlinemultiplayer. Und beides ändert nichts am stimmigen Gesamtbild. Weiter so, Codemasters!

DiRT 4
Grafik/Präsentation
83
Gameplay
86
Multiplayer
84
Spielspaß
87
Leserwertung0 Bewertungen
0
85