Blood & Truth im Test – Mittendrin statt nur dabei!

Blood & Truth ist exklusiv für Sonys Playstation VR Plattform erschienen und wurde von Sonys Studio in London entwickelt. Das Team von SIE London Studio hat dabei ein vollwertiges Spiel aus dem entwickelt, was sie selbst seinerzeit mit London Heist als Teil zu Playstation VR Worlds beigesteuert haben. Und auf die Gefahr hin, dass ich damit schon die ersten Leser am Lesen des vollständigen Artikels hindere: klare Kaufempfehlung!

Rache ist Blutwurst!

Blood & Truth nimmt sich Zeit. Zeit, um eine, wenn auch ein bisschen Klischee beladene, spannende Geschichte zu erzählen. Dabei schreckt das Team von London Studio nicht davor zurück, auch leisere Töne anzuschlagen.

Die Ausgangslage fühlt sich an, ohne es mit konkreten Fakten belegen zu können, als hätte ich genau das schon in einer fast unendlichen Anzahl von Actionfilmen, die ich mit Begeisterung seit frühester Kindheit schaue, gesehen. Zu Beginn des Spiels finde ich mich in der Rolle von Ryan Marks in einer Art heruntergekommenem Lagerhaus wieder und werde an einem schäbigen, von Kratzern übersäten, Holztisch verhört. Wer bin ich? Was ist los? Was passiert hier überhaupt gerade? Ehe diese Fragen, abgesehen vom Namen meines Spielcharakters, beantwortet werden, befinde ich mich in einer spielbaren Rückblende als Soldat mitten in einem Krisengebiet. Schon hier versprüht Blood & Truth einiges an Actionfilm-Flair. Kampfjets und Explosionen am Himmel, Explosionen um mich herum und jede Menge Sand. Scheinbar befinde ich mich als Mitglied der SAS, quasi dem britischen Gegenstück zu den US-amerikanischen Navy Seals, irgendwo im Nahen Osten. Mein Auftrag: die Befreiung eines in Gefangenschaft geratenen Kameraden.

Kurze Zeit später geht es auch schon los: aus allen Richtungen im Sichtfeld vor mir stürmen Gegner auf mich ein, die mit ein paar gezielten Schüssen aus meiner Pistole zu Boden gehen. Dabei fühlt sich ab dem ersten Moment die Steuerung mit den beiden Move Controllern (wahlweise kann auch mit dem normalen Gamepad gespielt werden) absolut genial, direkt und butterweich an. Das Gefühl für das Gewicht der Waffen, den Rückstoß und das grobe aus der Hüfte schießen oder Zielen über Kimme und Korn oder mit dem Blick durch entsprechende Visiere klappt hervorragend! So muss sich ein VR-Shooter anfühlen!

Diese Steuerungsqualität erklärt auch, warum wir seit Playstation VR Worlds und London Heist so lange auf das vollwertige Spiel haben warten müssen. Aber das Warten hat sich gelohnt!

Die Mission endet mit einem beinahe klassischen Fahrzeugabschnitt, in dem ich mich als Beifahrer feindlicher Fahrzeuge bzw. deren Insassen durch den Einsatz meiner Pistole erwehre. Am Ende erreichen wir den rettenden Helikopter, der uns aus der Gefahrenzone fliegt. Doch ein Funkspruch trübt die Freude über die erfolgreiche beendete Mission: mein Vater ist gestorben. Es wird Zeit, nach Hause zurückzukehren.

OK, meinem Vater geht es gut aber dem Vater meines Spielcharakters leider nicht mehr. Aber hey, es ist ein VR Spiel, bei dem ich die Kontrolle über Ryan aus der Egoperspektive übernehme. Und Blood & Truth macht so unglaublich viel richtig, was in einer absolut tollen Immersion mündet. Deshalb wird es nicht Zeit für Ryan nach Hause zurückzukehren, sondern für mich. Mein Zuhause ist London. OK, dass von diesem Ryan zwangsläufig auch.

Die beschriebene Erzählstruktur über Rückblenden, bis die Geschichte in der Gegenwart anknüpft, spinnt einen spannenden roten Faden und stoppt an genau den passenden Stellen. Die Fragen, die ich als Spieler und Zuschauer hier selber im Kopf habe, werden dann tatsächlich von meinem Gegenüber im Lagerhaus gestellt. So setzt sich eine spannenden Rachestory zusammen, die so oder so ähnlich auch einem Ethan Hunt oder James Bond hätte passieren können. Inklusive interessanter Wendungen und genug Raum am Ende der fast sechs stündigen Kampagne, um mindestens ein weiteres Spiel in der Welt von Blood & Truth auf der Playstation VR abbilden zu können.

So geht VR-Steuerung!

Die PlayStation VR wurde am 13.10.2016 veröffentlicht und ich bin einer der Early Adopter. Der Release-Day-Käufer. Ja tatsächlich sogar der Vorbesteller und ich habe es bis heute nicht bereut. Abgesehen davon, dass ich noch die „alte“ Breakoutbox und HMD-Version ab und somit auf HDR auf dem TV verzichten muss, wenn die VR-Technik zwischen Konsole und TV angeschlossen ist. Was das nun mit Blood & Truth zu tun hat? Nun, ehrlich gesagt steht meine VR-Kiste, bestehend aus Playstation VR, zwei Move-Controllern mitsamt Ladestation, Kamera samt Halterung und Aim Controller seit bestimmt einem Jahr in einer Abstellkammer herum. Einerseits, weil ich nicht auf HDR verzichten möchte und andererseits, weil ich zu faul für den Aufbau war, für mich interessante VR-Titel schon vorher gespielt habe oder neue Titel nicht interessant genug für meinen ganz subjektiven Spiele-Geschmack waren, um die Kiste auszupacken und alles aufzubauen.

Doch was bin ich froh, mich auf diesen beschwerlichen Weg für Blood & Truth gegeben zu haben. Ja, das Spiel hat auch negative Punkte und ja auf die komme ich noch zu sprechen. Trotzdem entspricht Blood & Truth quasi der Qualität eines PS VR Exklusivtitels wie man es bei klassischen Flachbild-Exclusives bisher fast nur von God of War und Horizon: Zero Dawn kennt. VR Fans schlagen bestimmt ohnehin zu und VR Fans wie ich, die schon länger das VR Thema aus den Augen verloren haben, sollten die Geräte entstauben, die Zeit fürs Anschließen investieren und werden es nicht bereuen! Dabei sprechen wir erst später über Optik und Sound. Dafür zuerst einmal über Genre und Eingabemöglichkeiten.

Grundsätzlich würde ich Blood & Truth nicht als reinen Railshooter bezeichnen, sondern eher als dynamischen Railshooter. Das klingt erstmal nach einem Widerspruch. Until Dawn Rush of Blood war ein handfester Railshooter. Weil, Rails halt. Also, Bergbau-Lore auf Schienen (englisch Rails) und so. Die Bewegungsmöglichkeiten für mich als SAS-Soldat sehen etwas anders aus. Es gibt keine freie Bewegung, sondern ich habe i. d. R. mehrere Bewegungspunkte zur Auswahl. Ein Blick auf einen der Punkte und drücken der entsprechenden Taste und schon geht Ryan dort hin. Während der Bewegung habe ich vollen Zugriff auf meine Aufrüstung und kann Waffen wechseln, nachladen oder eben auch Gegner aufs Korn nehmen. Wobei ich natürlich auch getroffen werden kann, wenn ich mich so dreist aus meiner Deckung heraus bewege. Für die unter uns, die anfällig sind für Motion-Sickness gibt es die Option, diese Bewegungen durch Schwarzblenden zu überspringen. Dann beamt sich Ryan quasi von Punkt zu Punkt, während das Bild kurz schwarz wird. Gut mitgedacht Jung und Mädels von SIE London Studio.

Das Nachladen von Waffen geschieht nicht auf Knopfdruck, sondern in dem ich entsprechende Munition von der Brusttasche nehme und das Magazin mit der einen Hand in die Magazinaufnahme der Waffe in der anderen Hand stecke. Gefolgt von einem beruhigenden Klick-Geräusch. Das Auswerfen des leeren Magazins wird hier, dem Flow des Gameplays geschuldet, einfach übergangen. Diese Art des Nachladens klappt, dank meiner Fingerfertigkeit oder eben Ryans SAS-Training auch wenn ich in beiden Händen Waffen trage. Ich nähere mich mit der einen Hand meinem Brustbeutel, drücke die entsprechende Taste und bewege meine munitionshaltende Hand in Richtung der Magazinaufnahme der zu ladenden Waffe- Klick! Und Immersion bei solchen Dingen ist es für mich, wenn ich mich selber dabei erwische, wie ich Dinge unbewusst aus dem Bewegungsgedächtnis tue und das auch offscreen, also außerhalb des Bildschirmes tatsächlich funktioniert. Das Nachladen ohne hinzugucken klappt dabei genauso gut, wie das Holstern von Waffen oder der Waffenwechsel.

Ein Beispiel: mehrfach im Spiel muss man einige Gadgets aus Ryans Werkzeugbeutel verwenden. Z. B. um das Schloss einer Tür zu knacken. Dann muss man in beiden Händen jeweils ein Werkzeug halten und das Schloss bearbeiten. Dabei muss man die Move-Controller im richtigen Winkel und der passenden Geschwindigkeit drehen bzw. einen der beiden Controller und den anderen dann nach oben schieben, wenn man den Zylinder im Schloss (zu erkennen an einer Einblendung) richtig positioniert hat. So geschickt ich mit meinen Fingern auch bin, aber das klappt nur dann, wenn die Waffen im Seiten- oder Rückenholster verstaut werden. Das Schloss ist geknackt, die Tür geht auf und ich greife mit beiden Controllern unbewusst ganz intuitiv an meine Hüftholster und ziehe, ohne im Spiel hinzusehen, beide Pistolen. YEAH! Diese Bewegung ist mir beim ersten Mal unbewusst von der Hand gegangen aber gleichzeitig hat mich das Ergebnis zum Jubeln gebracht. Dabei ist es egal, welche Waffe ich wie wo verstaue oder hervorhohle. Es funktioniert einfach. Vom Nachladen einer abgesägten Schrotflinte durch einen Schwung aus dem Handgelenk nach einsetzen der neuen Patronen gar nicht zu reden! Herrlich!

Per Tastendruck kann man Waffen noch am Zeigefinger baumeln lassen und durch Bewegung der Controller um den Finger drehen, wie ein Revolverheld aus dem wilden Westen. Mit einer anderen Taste können Gesten mit den freien Händen gemacht werden: Daumen hoch, Daumen runter, das Rock-Zeichen der gehörnten Bestie und der böse Finger darf natürlich auch nicht fehlen.

Nun ist es soweit. Zeit für den erste negativen Punkt: werfen! Egal ob Granaten oder das Werfen von Papierkugeln in Mini-Basketball-Körbe über Mülleimern innerhalb der Missionen. Das ist nicht so richtig gut. Es ist extrem ungenau und die geworfenen Gegenstände folgen eher eine geskripteten Flugbahn, je nachdem in welche Richtung und wie stark bzw. schnell man den Controller bewegt hat, werden ein paar wenige Flugbahnen ausgeführt. Das fühlt sich aber nach einem technologischen Problem an, was mit einem anderen und genaueren Tracking sowie anderen Controllern vermutlich gelöst werden könnte. Im Eifer des Gefechts sind trotz meiner korrekten Arm- und Handbewegungen Granaten gerne mal im Nirvana verschwunden. Schade.

Gegnerische Granaten dafür aufzuheben und zurückzuwerfen oder noch in der Luft per Beschuss zur Explosion zu bringen, geht dafür wieder super von der Hand. Das macht es irgendwie noch unschöner, dass eigene Würfe nicht so wirklich funktionieren.

Yummy – das Auge isst mit!

Blood & Truth ist das bisher optisch beste Spiel für Playstation VR und dass eben nicht nur auf Screenshots im Stillstand sondern auch ganz klar in Bewegung. Natürlich reden wir hier immer noch von der gleichen VR-Brille, also vom gleichen Fliegengitter, gleicher Bildwiederholfrequenz und der gleichen (geringen) Auflösung der Displays der Playstation VR. Und trotzdem schlägt es alles bisher Dagewesene. Dazu kommt der grandiose Sound. Neben den Motion-Capture Charakteren in Dialogabschnitten und der tollen deutsche Tonspur und den Einsatz bekannter Schauspieler aus diversen TV-Serien, weiß vor allem die originale Tonspur zu überzeugen. Sie liefert den richtigen London-Flair und auch die im Spiel vertretene Musik des Londoner Hip-Hops, auch Grime genannt, trägt hier einiges zur britischen Atmosphäre bei

Und tatsächlich habe ich mehr als einmal bei Blood & Truth die Realität mit der virtuellen Welt durcheinander gebracht. Einmal habe ich eine neue Waffe gefunden und mich so gefreut, dass ich diese meiner Freundin zeigen wollte. Sie saß neben mir auf der Couch. Was mache ich also? Na ich lehne mich mit der Waffe in der Hand zu ihr rüber und drehe die Waffe. Aus meinem Gefühl heraus, halte ich ihr die Waffe vors Gesicht und zeige sie ihr von allen Seiten. Tatsächlich habe ich in der Realität den Move-Controller knapp vors Gesicht gehalten und damit rumgefuchtelt, obwohl sie auf dem TV ja ohnehin sehen konnte was ich sehe.

Ein anderes Mal wollte ich die Waffen vor mir auf einem Tisch ablegen. In der Realität hätte ich so beinahe beide Move-Controller fallen lassen.

Mein Name ist Neo!

Zugegeben, das Foto auf dem Klemmbrett von mir, ähm Ryan meine ich natürlich, passt nicht gerade dazu, wie ich Neo in der Matrix-Trilogie im Kopf habe. Und dennoch haben die beiden eine Parallele, die auch schon die Max Payne Reihe besonders gemacht hat: Zeitlupen!

Immer wieder schaltet das Spiel bei besonders beeindrucken Szenen in einen Zeitlupenmodus, in dem alles um mich herum extrem langsam abläuft, während meine eigenen Bewegungen inkl. schießen und nachladen, in fast normaler Geschwindigkeit weiterlaufen. Aber auch ich selbst kann eine Zeitlupe auslösen. Das geht z. B. wenn ich auf explosive Fässer oder dergleichen feuere und Gegner von der Explosion erfasst werden. Dann kann ich die Zeitlupe nutzen, um weitere Gegner auszuschalten oder mich an der Optik zu erfreuen.

Auf Knopfdruck bzw. durch gleichzeitiges Drücken der mittleren Knöpfe an der Oberseite der beiden Move Controller kann ich auch manuell die Zeitlupe auslösen. So fällt das anvisieren der Schwachstellen bei besonders stark gepanzerten Feinden deutlich einfacher und der Kampf sieht auch spektakulärer aus.

Durch das Auffinden besonderer Gegenstände innerhalb der Missionen oder abschießen weißer Zielmarkierungen in den Leveln schalte ich Punkte frei, die wiederum Addons für meine Waffen freischalten. So kann ich sie im Unterschlupf mit Schalldämpfern, einer anderen Farbe oder einer anderen Zielvorrichtung anpassen.

Übrigens gibt es im Spiel abseits der ganzen Action auch immer wieder ruhige Moment. Unvergessen ein nächtlicher Museumsbesuch mit meinem Bruder und dem spielerischen Umgang mit interaktiven Kunstobjekten. Besonders der Raum, in dem sich die Beleuchtung an Boden und Decke farblich und in Bewegung entsprechend der Bewegungen meiner Hände anpasst, ist echt beeindruckend. Optisch und klangtechnisch.

Fazit

Ein großes Lob an das Team von SIE London Studio. Blood & Truth als Exklusivtitel für Playstation VR ist ein absolutes AAA-VR-Fest und geradezu eine Liebeserklärung an Sonys Headset. Die Story überzeugt, die Charaktere sind spannend inszeniert, die Wendungen begeistern und alle Bewegungen, abgesehen vom Werfen von Granaten und Papierkugeln, fühlen sich realistisch und natürlich an. Und das alles immer noch mit Controllern, die ohne jede Änderung seit mittlerweile fast neun Jahren auf dem Markt sind und ursprünglich eher nicht für den VR Einsatz gedacht waren. Was dieses Team wohl auf die Beine stellen könnte, wenn es Zugriff auf eine Playstation VR 2 mit brandneuen Controller-Konzepten hätte? Hoffentlich wird es uns ein Blood & Truth 2 in der next-gen zeigen dürfen. Alle VR Fans und auch die, die wie ich ihre Ausrüstung schon eingemottet haben, sollten hier unbedingt zuschlagen. Natürlich bleibt nach dem Abspann noch die Jagd nach Trophäen und das erneute Spielen auf höheren Schwierigkeitsgraden. Es sind aber auch bereits kostenlose DLCs mit einem noch härteren Hard-Mode und Zeitherausforderungen angekündigt. Technisch, akustisch, inhaltlich und was den Umfang angeht, macht man mit der Anschaffung von Blood & Truth einfach nichts falsch.

Und auch wenn der Aim-Controller bisher nicht unterstützt wird und man mit ihm natürlich nicht mit zwei Waffen kämpfen kann, würde mich ein Update mit entsprechendem Support doch sehr freuen. Warum nicht einfach einen Aim-Spielmodus mit dem Sturmgewehr als Spielmodus nachreichen? Das ist mein ganz persönlicher Wunsch für dieses Spiel. Blood & Truth ist, nach der Kitchen-Demo, auch absolut das Vorzeigespiel für Familie und Freunde, die VR mal ausprobieren wollen. Insbesondere der Sportschützen-Zeitmodus nach Beenden der Kampagne, in dem man auf statische Aufsteller schießen muss, ist hier ideal für Drop-in/Drop-out Schnuppersitzungen.

Blood & Truth
Grafik/Präsentation
91
Story/Atmossphäre
88
Gameplay
89
Spielspaß
91
Leserwertung2 Bewertungen
64
grafisch absolutes Highlight für VR-Verhältnisse
toller Umfang (ca. 6 stündige Kampagne)
gute deutsche/sehr gute englische Synchronisation
direkte, weiche, intuitive Steuerung
Wurf-Mechanik im Grunde nicht verwendbar
90