A Way Out im Test – Zwei Nerds auf der Flucht

Zusammen durch dick und dünn. Im neusten Werk treibt das schwedische Entwicklerteam Hazelight Studio die gemeinsame Coop-Erfahrung ganz gehörig auf die Spitze. Still und heimlich werkelten die Skandinavier bereits seit Mitte 2014 am Koop-Action-Adventure A Way Out. Vorher gelang ihnen mit Brothers: A Tale of two Sons ein echter Überraschungshit, der mit seinem ungewöhnlichen Steuerungskonzept und der spannenden Geschichte Spieler weltweit überzeugen konnte. Ungewöhnlich ist die strikte Ausrichtung bei A Way Out auch. Das Spiel lässt sich nämlich ohne Ausnahme nur zu zweit mit einem Freund spielen. Ob ihr dabei online oder lokal gemeinsame Sache macht, spielt keine Rolle. Zu Beginn war ich skeptisch, weil diese Entscheidung sehr einschneidend ist, nach Beendigung der Geschichte macht alles jedoch Sinn und liefert euch und euren Freunden tatsächlich eine gänzlich neue Spielerfahrung.

Einfach mal aus dem Alltag ausbrechen

Nicht nur aus dem Alltag, sondern aus dem Gefängnis wollen die zwei Protagonisten des Spiels, Leo und Vincent unbedingt ausbrechen. Über Umwege bemerken beide schnell, dass sie vom selben Gangsterboss Harvey hintergangen wurden, weshalb sie nun beide hinter schwedischen Gardinen eingezogen sind. Getrieben von Rachegelüsten beschließen die zwei sympathischen Ganoven, den Knast-Alltag hinter sich zu lassen und Harvey einen persönlichen Besuch abzustatten. Was bis hier noch nach seichter Gangster-Komödie klingt, nimmt im Laufe des gut siebenstündigen Abenteuers jedoch noch gehörig Fahrt auf. Besonders die letzten Abschnitte von A Way Out sind grandios inszeniert und geschrieben. Dazu erlebt ihr eine absolut denkwürdige Endsequenz die euch psychologisch gehörig den Kopf verdrehen und für reichlich Gefühlschaos sorgen wird. Nach kurzer Verärgerung über das Speichersystem muss ich nach dem Ende anerkennen, dass die Methode funktioniert. Bei A Way Out habt ihr jeweils nur einen Spielstand mit einem Mitspieler aus eurer Freundesliste. Wollt ihr den Mitspieler tauschen, müsst ihr von vorne beginnen. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass ihr eure Reise tatsächlich komplett gemeinsam erlebt, euch verbunden fühlt und vom Ende umso mehr überrascht werdet. Ein großer Vorteil ist, dass der zweite, eingeladene Mitspieler beim Besitzer der Vollversion gratis mitspielen darf, wobei er dafür aber auf sämtliche Erfolge verzichten muss.

Doppelpass alleine? Vergiss es!

Frei nach der Weisheit von Lukas Podolski läuft bei A Way Out wirklich alles nur zusammen. Durch den permanent geteilten Bildschirm seht ihr ständig was euer Mitspieler aktuell alles so anstellt oder ob er gerade afk gegangen ist (An dieser Stelle schöne Grüße an meinen Mitspieler Thomas). Spielerisch bietet euch der Titel vergleichsweise wenig handfestes. Gerade in der ersten Spielhälfte zeigt sich der Titel fast ausschließlich von seiner Adventure-Seite und lässt euch lediglich eingeschränkt und recht linear handeln. Die Rätsel, die es zusammen zu absolvieren gilt, bauen zudem meist auf demselben Prinzip auf. In der Regel lenkt Spieler A eine arglose Wache ab oder beschäftigt einen Mithäftling, damit euer Partner unbemerkt ein Item stibitzen oder etwas sabotieren kann.

Ausbrechen verlang nicht viel Hirnschmalz

Diese eher seichten Rätsel fördern zwar den allgemeinen Spielfluss, werden aber vielleicht Spieler abschrecken, die geistig etwas mehr gefordert werden wollen. Teiweise werden euch Missionsziele und benötigte Items im Areal markiert. Es kann aber auch durchaus vorkommen, dass manche Rätsel selber erschlossen werden wollen. Gerade auf der Farm, wo ihr einen alten Truck reparieren sollt, ist das Gebiet jedoch zu groß und die Anweisung was ihr eigentlich sucht sehr suboptimal übersetzt. Neben diesen Denkaufgaben absolviert ihr einige kleine Minispiele gemeinsam mit eurem Freund, bei denen ihr meist im selben Takt eine Taste drücken müsst. Durch den Clou, dass ihr pro Spielstand in einem Durchgang immer mit dem selben Freund zusammenspielt, hat es der Entwickler sogar wirklich geschafft, dass die Bindung der Figuren auf euch übertragen wird. Zumindest erging es Thomas und mir so. Das Ende birgt zudem einige Wendungen inkl. Überraschungen und einem erzählerischen Highlight, welches durch die lange „Zusammenarbeit“ gänzlich neue Emotionen in euch auslösen wird.

Spielen, wir wollen spielen

Nach gut der Hälfte nimmt die Geschichte noch einmal richtig Fahrt auf und auch der Gameplay-Anteil des Spiels erhöht sich. Dann kommt ihr auch mal in den Genuss, nicht nur in abgesteckten Arealen herumzulaufen und kleine Rätsel zu lösen. Diese Gameplay-Elemente zählen leider rein qualitativ nicht unbedingt zu den Stärken des Titels. Die Fahrzeugsteuerung ist recht schwammig und die Shooter-Parts fast schon jenseits von Gut und Böse. Die Steuerung der Figuren ist hakelig und das Gunplay bzw. die Mechanik beim Zielen bedarf einiger Anpassung in den Optionen um überhaupt etwas zu treffen. A Way Out ist zum Glück jedoch nicht auf diese Gameplay-Aspekte angewiesen, sondern punktet mit der Story, der Atmosphäre (Krankenhaus-Szene) und dem engen Zusammenspiel zweier (optimalerweise) Freunde.

Echt Fründe stonn zosamme

Ich habe natürlich auch schon Spielanfragen in den sozialen Medien gesehen und muss hier auch wieder anmerken, dass so mancher von der engen Online-Bindung möglicherweise überrascht war. Es soll nun mal auch Leute geben, die kaum online unterwegs sind und dementsprechend im ungünstigsten Falle gar keinen passenden Mithäftling an der Hand haben. Zumindest der Punkt, dass selbst der Spielstand auf einen Freund beschränkt ist, halte ich für etwas Üüberzogen. Denn hat dieser besagte Mitspieler mal zwei oder drei Tage keine Zeit, kann man selber sein neues Spiel auch nicht weiterzocken. Für den Test musste ich also auch erstmal geeignete Kandidaten mit zugesicherter Zeit aus der Freundesliste akquirieren. Die Mühe für all das wird aber spätestens beim Abspann klar, denn während ihr die Credits begutachtet wird diese Entscheidung sehr viel verständlicher.

Cooler Siebziger Style mit schicker Optik

Optisch bietet euch A Way Out einiges fürs Auge. Ein klassischer optischer Augenschmaus ist das Spiel zwar nicht, aber das Setting, die Handlungsorte und das Flair der Siebziger hat Hazelight einfach perfekt eingefangen. Spiele dieser Art verlangen nicht nach Hochglanz-Texturen und Effektgewitter, wobei das Spiel auch rein objektiv und technisch eine gute Figur macht. Zumal die Optik permanent doppelt berechnet wird, da ihr immer auch den Bildauschnitt eures Partners sehen könnt um euch besser zu koordinieren und abzusprechen. Hier steht also der Stil über der Technik und hebt die Wertung somit etwas höher, als man es rein optisch vermuten würde. Auf eine deutsche Synchronisation hat man verzichtet, die englische Original-Vertonung ist dafür aber absolut hörenswert. Allen voran die Sprecher von Leo und Vincent machen ihren Job herrvorragend und hauchen den virtuellen “Freunden” gehörig Seele ein. Die restliche Synchro kann sich darüber hinaus auch sehr hören lassen. Musikalisch wird das Abenteuer der beiden Ausreißer eher angenehm untermalt und begleitet, was der Stimmung ebenfalls sehr zugute kommt. Audiovisuell weiß die relativ kleine Produktion aus dem Ikea-Land also zu überzeugen. Für das einmalige Durchspielen könnt ihr gute sieben Stunden mit eurem Partner einrechnen. Da man nicht ständig auf dem anderen Bildschirm spicken kann, lohnt sich zudem sogar ein zweiter Durchgang, um das Spiel aus teilweise sehr unterschiedlichen Situationen zu erleben.

Fazit

A Way ist eine gemeinsame Koop-Erfahrung die diese Bezeichnung auf ein völlig neues Level hebt. Der Aspekt, dass man den Titel ausschließlich zusammen mit nur einem Mitspieler pro Durchgang spielen kann, hat einige Nachteile. Besonders bedarf es sehr ungewohnter Absprachen im Freundeskreis, wenn man plötzlich einfach nur sein neues Spiel zocken möchte. Lässt man sich darauf ein und findet einen verlässlichen Partner, entfaltet A Way Out aber spielend leicht sein grandioses Potential. Besonders das Ende ist legendär und sucht in dieser Form bisher seinesgleichen. Rein aufs Gameplay bezogen ist das Spiel zwar nur guter Durchschnitt, die Präsentation und das unglaublich intensive Erlebnis durch das innovative Gamedesign machen den Titel aus Schweden aber trotz Schwächen zu einem Erlebnis der besonderen Art.

A Way Out
Grafik/Präsentation
82
Story/Atmosphäre
93
Gameplay
77
Spielspaß
83
Leserwertung4 Bewertungen
7
84