A Hat In Time im Test – Business as usual

Lange Zeit war es still um das einst glorreiche Genre der 3D-Jump’n’Runs. Was Mitte der 1990er Jahre als DER Style einer heranwachsenden Gamer-Generation galt, geriet so schnell auch wieder in Vergessenheit, wie es einst gekommen war. Gears For Breakfast hat sich nun mit A Hat In Time dieses Typs Spiel wieder angenommen und möchte den aktuellen Next Gen-Zocker mitnehmen in eine Welt, deren Zeit als längst abgelaufen galt.

Story? Welche Story?

Wer schon einige Jahre Zocken hinter sich hat, wird es bestätigen können: Die Hintergrundgeschichte bei einem Jump’n’Run ist vollkommen irrelevant und so überflüssig wie ein Kühlschrank in der Antarktis. Ja, Mario muss zum drölfzigsten Mal diese Prinzessin retten, die sich mal wieder von Bowser hat entführen lassen. Bei A Hat In Time geht es um die lediglich Hat Girl genannte Hauptprotagonistin, die friedlich mit ihrem Raumschiff durchs All gen Heimat zieht, bis aufgrund eines intergalaktischen Zwischenfalls die Panorama-Windschutzscheibe des Raumschiffs zersplittert und 40 magische Sanduhren, die dummerweise als Treibstoff dienen, auf einen mysteriösen Planeten gesaugt werden. Also muss Hat Girl runter auf den Himmelskörper, um jene magischen Sanduhren einzusammeln und die Heimreise fortsetzen zu können.

Klingt aufgesetzt? Ist es auch, aber wie bei jedem Jump’n’Run ist es doch eigentlich auch völlig uninteressant, warum sich von Plattform zu Plattform geschwungen und jede Menge mehr oder weniger nützliches Zeug eingesammelt wird. Die Story wird zwischen den Levels mit ein paar Videoschnipseln in Ingame-Grafik weiter erzählt, ohne allerdings in irgendeiner Form Relevanz zu erreichen. Aber: Niemand erwartet eine Geschichte epischen Ausmaßes, Jump’n’Runs sind schließlich primär immer noch Geschicklichkeitsspiele.

Es darf gesammelt werden!

Nun sind es nicht nur Sanduhren, die eingesammelt werden müssen – die können ohnehin nur errungen werden, wenn der Endgegner eines Abschnitts besiegt wird. Es gilt auch magische Garnknäuel einzusammeln – die werden nämlich zum Stricken benötigt. Ja, richtig gelesen – werden genügend Knäuel eingesammelt, kann sich das Hat Girl einen neuen Hut aufsetzen. Diese bringen dann neue Spezialfähigkeiten mit sich wie beispielsweise spurtstarkes Sprinten oder Explosivgeschosse mit kurzer Reichweite. Die neu hinzugewonnenen Spezialfähigkeiten ermöglichen es Hat Girl, immer wieder in neue Levelsegmente vorzudringen, die vorher noch unüberwindbar verschlossen schienen.

Doch die schicken Schiebermützen können noch mehr: In den Levels gibt es Unmengen grüner Edelsteine einzusammeln, die bei Händlern gegen Anstecker eingetauscht werden können. Maximal können drei dieser Anstecker an den Hut gedrückt werden, die wiederum ihre eigenen Spezialfähigkeiten mit sich bringen. So werden Items magnetisch angezogen oder eine temporäre Unverwundbarkeit aktiviert Das stellt einerseits eine Komfortfunktion dar, erleichtert im späteren Spielverlauf aber das Meistern kniffliger Passagen ungemein.

Der Entdeckergeist ist also geweckt: Nicht nur die Jagd nach Garnknäueln fordert, sondern auch der momentane Kontostand an Edelsteinen muss stets so hoch wie möglich gehalten werden – man weiß ja nie, was der Händler beim nächsten Mal alles an Ansteckern anzubieten hat. Zum Glück lassen sich bereits absolvierte Level ein zweites Mal abgrasen, so können mit neu hinzugewonnen Spezialfähigkeiten einst unerreichbar scheinende Extras doch noch erreicht werden.

Fühlt sich irgendwie falsch an

Die Steuerung ist heute wie damals bei einem Spiel dieser Gattung das A und O. Ein Jump’n’Run, das sich nicht glaubwürdig und intuitiv kontrollieren lässt, hat ein Problem. Leider hat A Hat In Time zwei Probleme: Die Kameraführung ist meistens stark suboptimal und das Gameplay hakelig. Nun könnte man einwenden, dass die Kameraperspektive durch Betätigen des rechten Sticks problemlos geändert werden kann. In der Praxis ist man aber gefühlt die Hälfte der Zeit damit beschäftigt, die Perspektive aufs Geschehen zu justieren, statt zu spielen. Hat Girl selbst lässt sich selbst dann, wenn die Kamera passt, auch nicht absolut direkt steuern. Zwar verfügt die Protagonistin über ein ansehnliches Aktionsportfolio wie einen Doppelsprung oder eine Attacke aus dem Sprung heraus, dennoch klebt auf dem ganzen Gameplay so ein seltsamer Schatten. Ohne es genau definieren zu können, fühlt sich die Steuerung von A Hat In Time irgendwie klebrig und unfertig an.

Das ist zumindest schade, denn das komplette Spieldesign genügt durchaus höheren Ansprüchen. Die verschiedenen Szenarien sind in mehrere Levels unterteilt, an deren Ende Zwischenbosse oder Endgegner warten. Sie sind wie die Abschnitte an sich lebendig und abwechslungsreich designed. Besonders bei den Bossfights haben sich die Entwickler Gedanken gemacht, denn diese bieten grundsätzlich viele Variationen und abwechslungsreiche Settings. Schlussendlich agieren die Bösewichte zwar auch nur nach Mustern und vorgegebenen Schemata, doch diese End- bzw. Zwischengegnerkämpfe lassen ein Spielgefühl wie vor 20 Jahren aufkommen, dass sich angenehm „echt“ anfühlt.

Die Referenzen von A Hat In Time sind unverkennbar: Bereits in den ersten Minuten springt einem Super Mario 64 förmlich entgegen, grundsätzlich hat Gears For Breakfast versucht, das Spielgefühl ebenso wie das Artdesign und das Leveldesign so weit wie möglich an die vergangenen Zeiten anzupassen – und gleichzeitig moderne Ansprüche an das Gameplay zu erfüllen. Ein Spagat, der nicht funktionieren kann. Die Quadratur des Kreises hat nämlich noch niemand geschafft – noch nicht mal Rayman Legends. Das hatte seinerzeit allerdings auch keine überschwänglichen Experimente ausprobiert, sondern sich auf das konzentriert, was es sein wollte und sollte: Ein klassisches, grafisch aufgebohrtes 2D-Jump’n’Run mit Schnickschnack, aber ohne Ballast.

Vom Schwierigkeitsgrad her bewegt sich der Titel auf moderatem Niveau. Einige Items sind nur durch waghalsige Manöver und Grips zu erreichen, einige Hüpfpassagen geraten hauptsächlich aufgrund der dämlichen Kamera zur Herkulesaufgabe. Grundsätzlich ist das Spiel in diesem Aspekt aber auch für die jüngere bis jüngste Generation geeignet, also die Klientel, die sich durch das allgemein knuddelige Design angesprochen fühlen wird.

Technisch stets bemüht

Trotz Unreal-Engine kann das Spiel aber technisch keine großen Sprünge machen. Grafisch hat sich der Entwickler für einen festen Stil entschieden, der insgesamt aber unglücklich wirkt. So sind die Figuren mehr eckig als authentisch (selbst für Comic-Charaktere), und auch die Spielwelten wirken rechtwinklig und mit mehr Kanten als Wölbungen versehen.

Das mag man als Geschmackssache abtun, dafür haut der Titel im Leveldesign noch einmal unzweifelhaft einen raus: Speziell das Level mit der Charakteristik zwischen Wald und Halloween ist vom Design und Setting her fantastisch. Hat man sich hier auf den eigenwilligen und primitiv wirkenden Grafikstil eingelassen, überrascht A Hat In Time in jeder Welt mit unterschiedlichen Themen, die detailliert bis liebevoll umgesetzt wurden und dem Spiel eine gehörige Portion Charme verleihen.

Gelungen zeigt sich ebenfalls die akustische Untermalung. Die Charaktere sind mit englischer Sprachausgabe versehen, die teilweise so wunderbar überzogen ist, wie man es von einem Comic erwartet. Da will man den ein oder anderen virtuellen Protagonisten einfach mal durchknuddeln vor Niedlichkeit! Auch die Begleitmusiken sind überzeugend, zeigt sich doch für einen Teil der Komponist Grant Kirkhope verantwortlich. Der hat Ende der 1990er auf dem N64 schon für die 3D-Jump’n’Runs von Rare komponiert – die Musiken für Banjo-Kazooie (unbedingt spielen!) und Banjo-Tooie stammen aus seiner Feder.

Fazit

A Hat In Time ist knuffig, bietet Abwechslung und kann vom Gameplay her überzeugen. Leider macht die vermurkste Kameraführung vieles wieder zunichte, laufend muss diese nachjustiert werden. Zudem liefert der Titel leider auch nicht das Spielgefühl der vielgepriesenen Genre-Highlights aus den 1990er- und 2000er-Jahren, sondern bleibt hier eher solide als spektakulär. Ja, originär war es einst ein ambitioniertes Kickstarter-Projekt, und das merkt man dem Spiel auch an. Was aber nichts Schlechtes bedeuten soll: Im Genre des Geschicklichkeitsspiels (zu dem sich Jump’n’Runs ja weitestgehend zählen lassen) bietet A Hat In Time genügend Unterhaltung und auch Alleinstellungsmerkmale, um es zumindest einmal anzuspielen. Leveldesign und vor allem die Musik erfüllen auch hohe Ansprüche, die Charaktere erhalten durch die atmosphärisch gelungenen Mini-Zwischensequenzen immerhin ein wenig Persönlichkeit. Gegen die Genre-Könige wie Mario oder Rayman hat Hat Girls Abenteuer aber nicht den Hauch eine Chance – es eifert den alten Vorbildern nach, ohne deren Klasse auch nur annähernd zu erreichen. Aber welcher Titel schafft das schon?

A Hat In Time
Grafik/Präsentation
73
Story/Atmosphäre
59
Gameplay
69
Spielspaß
71
Leserwertung0 Bewertungen
0
68