Von wegen Kinderkram: Wie Nintendos Super Metroid bis heute ein Ausnahmespiel darstellt

1986 werkelten bei Nintendo unscheinbar in einer ominösen Abteilung namens Research & Development 1 einige Tüftler um einen Herrn namens Yoshio Sakamoto an einem Spiel namens Metroid für das Nintendo Entertainment System (NES). 31 Jahre später ist einer der Urväter heutiger 2D-Sidecroller Shooter immer noch ein Standard in Sachen schneller Action, Atmosphäre und kniffligen Rätseln. Selbst das Genre Metroidvania, eine Kombination aus Metroid und dem anderen Klassiker Castlevania huldigt den Vorgängern mit immer neuen Ablegern. Dabei ist die Idee hinter den Abenteuern der Kopfgeldjägerin Samus Aran eine ganz einfache gewesen: Nachdem Nintendo damals auf dem Game & Watch und NES mehrere Franchises wie Zelda und Mario etabliert hatte, fehlte den Spielekünstlern in Japan ein erwachsenerer Titel mit Horror-Elementen und höherem Schwierigkeitsgrad. Mit Metroid wurde die Wurzel für eine erfolgreiche Serie gelegt, dessen Nachfolgetitel über alle Nintendo-Konsolen hinweg bis zum letzten veröffentlichten Metroid: Other M auf der Wii im Jahre 2010 reichen. Nachdem eine lange Durststrecke und stellenweise die Hoffnung auf eine Weiterführung der Reihe verloren war, wurde auf der E3 2017 mit Metroid Prime 4 auch endlich der neueste Titel für die Nintendo Switch angekündigt. Ob es den Erfolg der Serie aufrecht halten können wird, muss sich zeigen. Bisher gilt nämlich Super Metroid, 1994 auf dem Super Nintendo erschienen, bei vielen Gamern nicht nur als bestes Metroid-Game, sondern als eines der besten Spiele aller Zeiten.

Gestatten, Samus, kein Mann

Bereits der erste Metroid Teil auf dem NES sorgte nicht nur mit dem komplett neuen Spielgefühl, der düsteren Atmosphäre und dem Schwierigkeitsgrad für Furore. Ein Highlight des Spiels war, dass man gegen Ende herausfand, dass Samus, der Protagonist des Spiels, eine Frau war. Was einem heutzutage nicht mal ein Schulterzucken hervorbringt stellte damals eine Revolution dar. Samus Aran, die intergalaktische Kopfgeldjägerin war eine der ersten wichtigen weiblichen Figuren der Gameswelt und ebnete damit den Weg für alle kommenden Heldinnen, sei es Tomb Raiders Lara Croft oder Aloy aus Horizon Zero Dawn.

Weiter ging die Serie auf dem Gameboy, nämlich mit Metroid II – Return of Samus, das 1991 veröffentlicht wurde. Nachdem Samus den Heimatplaneten der Metroids, SR-388, besucht und in diesem Spiel dort nahezu alle Aliens ausgelöscht hat, verschont sie eine Larve, um sie Wissenschaftlern der Forschungsstation Ceres zu überreichen. Diese entdecken, dass sich aus dem Alien eine alternative Energiequelle ableiten lässt. Kurz darauf ereilt Samus ein Hilferuf, dass die Forschungsstation angegriffen wurde. Einer der Space Pirates, Ridley, ein alter Erzfeind, stiehlt die Metroid-Larve und flüchtet nach Zebes, wo die Piraten um ihre Anführerin Mother Brain ihren alten Stützpunkt wieder aufgebaut haben. Samus Aran folgt Ridley auf Zebes und beginnt, die Oberfläche des Planeten bis ins Erdinnere zu erkunden und sich zu Mother Brain durchzukämpfen.

Genau hier startet Super Metroid auf dem SNES, die gerade eben geschilderte Vorgeschichte samt der Larve auf SR-388 wird für damalige Verhältnisse mittels einer revolutionären Intro-Sequenz eingeleitet und knüpft somit nahtlos an das Geschehen aus den vorherigen Spielen an. In vielerlei Hinsicht ist Super Metroid von der Story her eine Neuinterpretation des ersten Teils auf dem NES. Allerdings wird diese in vielerlei Hinsicht erweitert, auch inhaltlich durch mehr Waffen, Special-Moves und Spielinhalten. Aufgabe des Spielers ist es, die Kopfgeldjägerin Samus in ihrem hochmodernen Space-Suit durch die Open-World von Zebes zu steuern, die in einzelne durch Schleusen abgetrennte Abschnitte geteilt ist. Auf der Suche nach dem Baby-Metroid durchstreift sie mehrere, unterschiedliche Ebenen, wie den Dschungelbereich Brinstar, die Lava-Level von Norfair oder die Wasserwelt Maridia. Samus Aran selbst ist durch ihren Kampfanzug eine Ein-Frau-Super-Soldatin, die auf verschiedene Kampfsysteme wie Raketen, Super-Raketen und Granaten zurückgreifen kann. Von der Seitenansicht gesteuert kann sie auf die Gegner schießen, springen oder in dem Morph Ball zu einer Kugel werden und versteckte, geheime Orte erreichen. Bis heute tragen diese wenigen zentralen Spielelemente zur grundeigenen Atmosphäre bei und erzeugen das einmalige Metroid-Gefühl.

Lost in Space

Rein von der Optik her war Super Metroid für 1994 einzigartig, da es als erstes Game für den SNES als 24 Mbit-Modul programmiert wurde. Auch heute noch wirkt alles geschmeidig und wie aus einem Guss und die teils sehr schnellen Bewegungsabläufe von Samus sind immer flüssig und schön anzuschauen. Wirkten viele zeitgleiche Games auf dem SNES eher behäbig und stumpf, erschuf Super Metroid einen durch sein dunkles Ambiente getragenen Flow, der seines gleichen sucht. Ein Spieler dieser Zeit, der das erste Mal den Speed Booster anwendet und mit Samus mit überdimensionaler Geschwindigkeit durch die Level heizt, der wird sich zu gerne an diesen „Wow!“-Moment zurück erinnern.

Die Grafik trägt zur klaustrophobischen Stimmung bei, die stets ein wichtiger Aspekt der Metroid Spiele gewesen ist. Samus ist stets allein unterwegs und auf sich gestellt, in einer verwinkelten, gefährlichen Welt voller Alien-Monster, wo jeder Schritt, jede Entscheidung, in Gegnermassen, Fallen oder in den Abgrund führen kann. Zu dieser beklemmenden Stimmung tragen auch die vielfältigen Musikstücke bei, jedes einzelne wurde gezielt auf einen Levelbereich von Zebes hin komponiert. Insbesondere die Metroid-Theme zieht sich durchgängig durch alle Spiele, ist so beliebt und bekannt, dass sie auch abseits der Spiele Berühmtheit erlangt hat.

Wie ein Hollywood-Film

Eine weitere Besonderheit erlebten Spieler bei Super Metroid in Hinblick auf die erzählerische Gestaltung. Wenn man bedenkt, dass wir 1994 schreiben, erweist sich die Fähigkeit der Entwickler, Story-Elemente nicht nur als rahmenschmückendes Beiwerk einzufügen, sondern wirklich spielrelevant zu integrieren, als außergewöhnliches Meisterwerk. Wie beschrieben startet Super Metroid mit einem gekonnt in Szene gesetzten Intro. Auch das erste Spielgeschehen auf der Forschungsstation Ceres, auf der Samus lauter getötete Wissenschaftler vorfindet und schließlich auf ihren altbekannten Feind Ridley trifft, welcher nach einem Kampf mit der Metroid-Larve flieht, nicht ohne dass daraufhin der Selbstzerstörungs-Mechanismus der Station aktiviert wird, woraufhin die Kopfgeldjägerin fliehen muss – das alles ist Drama pur und für damalige Verhältnisse geradezu eine Revolution in Sachen narratives Design in Computerspielen.

Auch das Ende überrascht mit einem bis dahin ungewohnten Element aus dem Storytelling: der überraschenden Wende. Gegen Ende des Spielverlaufs, wenn Samus Aran sich ein weiteres Mal im Herzen von Zebes ins Basiscamp der Space Pirates in Tourian befindet, erfolgt die Wiederbegegnung mit der Metroidlarve, welche die Kopfgeldjägerin zu Beginn des Spiels gerettet und nach Ceres gebracht hat. Diese, nun zu einer gigantischen Größe angewachsen, attackiert Samus zunächst überraschend und entzieht ihr alle Lebensenergie – bis auf einen Lebenspunkt. Im Moment des bevorstehenden Todes erkennt das einstige Baby Samus jedoch wieder, erinnert sich wohl, wie sie es auf dem Heimatplaneten der Metroids, SR-388, verschont und es dann gerettet hat. Sind dies Liebesgefühle eines artfremden Wesens zu einem Menschen? Kindheitserinnerungen? Lediglich Zufall? Wohlgemerkt, es ist 1994, Doom ist gerade mal ein Jahr alt und meilenweit von solch innovativem Story-Design entfernt. Allgemein besitzen die wenigsten Computerspiele dieser Zeit solch eine narrative Komplexität (sprich keine Cutscenes, Sprachausgabe, Dialog etc.), wie wir es heutzutage gewohnt sind. Und doch erzeugt Super Metroid solch eine intensive Spannung mit geradezu minimalen Mitteln. Es folgt das Finale des Spiels, der Endkampf gegen Mother Brain, die Anführerin der Piraten. Mittels einer rätselhaften Kraft, einem regenbogenartigen Strahl, beharkt das Monster Samus Aran und schafft es, sie nach kurzem Kampfgeschehen in die Knie zu zwingen.

Es folgt der finale Akt, in der Mother Brain voller Vorfreude Samus Aran ein Ende bereiten will, da ereignet sich die Story-Wende, in dem das Metroidbaby in den Bildschirm hinein rauscht und sich auf den Kopf von Mother Brain wirft – eine Szene wie aus dem Actionfilm. Was für ein Plot-Twist beim Spannungshöhepunkt! Das Metroidbaby saugt daraufhin Mother Brain alle Lebensenergie aus, darunter auch die rätselhafte Regenbogenkraft. Die Anführerin der Space Pirates erstarrt durch diesen Energieverlust daraufhin zu Stein und das Metroidbaby geht nach vollendeter Tat dazu über, Samus Aran aufzupäppeln, indem es ihr die gesamte Energie von Mother Brain zukommen lässt. Doch das Drama geht weiter. Wie im besten Hollywood-Film erwacht Mother Brain noch während des Wiederbelebens von Samus Aran aus der Starre und schwächt das Metroidbaby mit einer Schuss-Salve. Sobald Samus wieder unter den Lebenden weilt, will das Metroidbaby Mother Brain erneut angreifen. Doch geschwächt dadurch, dass es uns seine gesamte Energie übergeben hat, wird der zweite Angriffsversuch sofort vereitelt, Mother Brain tötet das Baby. Allerdings erhebt sich danach Samus Aran wie Phönix aus der Asche, mit neuen Kräften, samt Regenbogen-Beam ausgestattet. Die Rache wird im Spiel perfekt eingeleitet, dramatische Musik setzt genau dann ein, wenn Samus dazu übergeht, mittels der neuen Kraft Mother Brain endgültig zu vernichten. Mutterliebe, Selbstaufopferung, Liebe, Rache, Auferstehung, Entscheidungskampf … Shakespearehaftes Storydesign, und das alles nur mit Pixelgrafik und 16bit-Sound. Was Super Metroid hier an erzählerischem Niveau leistet, dass schaffen viele moderne Games nicht einmal mit opulenter Grafik und Soundkulisse. Ein Ausnahme-Spiel in jeglicher Hinsicht.