Saturday Moaning Live: Divers

Mal so ganz unter uns, meine Frau weiß nämlich nix davon, vor zwanzig Jahren hab ich nen Kerl geheiratet. War eigentlich ein Versehen, wirklich. Wir haben auf die Brahmin Herde seines Vaters aufgepasst, irgendwie ist dann was auch immer passiert und als sein alter Herr dann am nächsten Morgen da stand, blieb uns gar nix anderes übrig. Ich rede natürlich von Fallout 2, vielleicht das erste Spiel, das gleichgeschlechtliche Beziehungen erlaubte. Damals, ich war noch jung, war mir das irgendwie erstmal etwas peinlich, irgendwie fand ich es dann aber auch ziemlich mutig und ja, ganz witzig, dass ein Spiel sowas überhaupt durchzog. Statt also den Spielstand neu zu laden und mit der Tochter anzubandeln, zog ich die Sache durch und mit neuem Lebensgefährten durch’s Ödland.

Homo

Für sehr lange Zeit war das, erst recht in einem Westspiel, meine einzige Begegnung in der Richtung. Wenn überhaupt was schwules in einem Spiel vorkam, dann eigentlich immer klischeehaft und oft auch negativ. Das betraf allerdings so ziemlich immer männliche Homosexualität, auch wenn manche Titel wie Grand Theft Auto entsprechende Elemente eher parodistisch nutzten. Natürlich gibt es, zumindest bei Rollenspielen, mittlerweile schon lange die Möglichkeit, homosexuelle Beziehungen zu führen, wenn auch längst nicht bei allen. Was bei dem, immer noch erschreckend schwierigen, Thema noch auffällt? Lesbische Beziehungen wie bei Life is Strange: Before the Storm (je nach Spielerentscheidungen) kommen in Spielen deutlich häufiger vor und werden auch wesentlich häufiger explizit gezeigt. Vielleicht, weil man hier seitens der männlichen Spielerschaft mit deutlich weniger Gegenwind rechnen muss? Immerhin protestiert der ein oder andere immer noch lautstark, wenn ein Charakter in einem Multiplayer Shooter schwul ist.

Fast schon banal, beim Turn Based Taktikspiel Battletech durfte ich neulich am PC Personalpronomen beliebig wechseln, meinem Charakter oder Einheitsmitgliedern beliebig Make Up editieren und es gab ein drittes Personalpronomen womit auch eine nichtbinäre Zuordnung drin war. Wenig überraschend, neben Zuspruch gab es dafür auch Beschwerden.

Muss man sowas überhaupt in Spielen zeigen? Eventuell hilft an der Stelle ein kurzer Blick auf eine winzige Szene bei Witcher 3. Dort können wir Jäger Mislav bei einem Problem mit wilden Hunden helfen und bekommen im Gegenzug Infos. Mislav gilt im Dorf als Sonderling. Weil er homosexuell ist. Damit nicht genug, sein Partner hatte sich seinerzeit umgebracht, als die Beziehung der beiden entdeckt wurde. Immerhin, ganz so dramatisch ist es heutzutage nicht mehr. Aber Homosexuelle haben, gerade als Jugendliche, immer noch häufig einen schweren Stand und Probleme mit Akzeptanz. Gäbe es diese Akzeptanzprobleme nicht, dann hätten wir vielleicht entsprechende Diskussionen gar nicht.

Spasti

Overwatch’s Symmetra ist im autistischen Spektrum angesiedelt. Als jemand, der eine Person mit Asperger Autismus in der Familie hat, finde ich das eigentlich ganz positiv. Das liegt auch daran, dass Blizzard anscheinend mal ausreichend Arbeit in den Charakter investiert hat, um Symmetra nicht zur Klischeeautistin zu degradieren. Allgemein sind Charaktere mit Behinderung oder Einschränkung gar nicht mehr so selten. Auch wenn die Darstellung manchmal sehr zu wünschen übrig lässt. Bei Spielercharakteren sieht es da schon ganz anders aus. Adam Jensen und Kollegen verlieren Gliedmaßen eigentlich nur, um sie durch leistungsfähige Hightech Prothesen ersetzt zu bekommen. Eine Ausnahme ist Dunban aus Xenoblade Chronicles. Der verliert seinen Arm zwar nicht, kann ihn aber nicht mehr nutzen und muss lernen, mit dieser Einschränkung zu leben, was er auch schließlich schafft. Herausragend ist auch Senua aus Hellblade, die zwar keine körperliche Behinderung hat, aber an einer Psychose leidet.

Natürlich gibt es auch kleinere Beeinträchtigungen wie die Augenklappe von Big Boss, ziemlich oft beschränken sich Behinderungen von spielbaren Charakteren aber entweder auf mehr oder weniger coole Elemente oder sie ermöglichen erst besondere Fähigkeiten. Mal ganz provokant gefragt, wer will schon eine 1,37 Meter große Enddreißigerin mit Brille spielen, die sich nun einmal mit den Problemen kleinerer Leute rumschlagen möchte. Oder ernsthaft einen Rollstuhlfahrer? Wer hätte Mass Effect gespielt, wenn Commander Shepard statt Joker an Glasknochen leiden würde? Und so bleiben gerade körperliche Behinderungen fast immer NPC’s vorbehalten, mit wenigen Ausnahmen. Vielleicht zu wenigen, denn der ein oder andere wäre vielleicht um eine sinnvolle Erfahrung reicher, wenn beeinträchtigte Charaktere etwas häufiger wären.

Ach ja, B.J. Blazkowicz‘ Probleme mit seinem zerstörten Körper in Wolfenstein 2 waren irgendwo ganz interessant, auch wenn man als Spieler hier auch nur kurz eingeschränkt war. Denn danach gibt es auch hier wieder ein geeignetes Mittel zur Kompensation.

Fettsack

Mein Haupthaar ist seit einiger Zeit auf dem strategischen Rückzug, der Bart hat mittlerweile auch längst beschlossen, ein pigmentfreies Leben führen zu wollen und vor gar nicht langer Zeit musste ich ziemlich an meinem Gewicht arbeiten. Gegenüber den meisten Spielecharakteren wirke ich aber wahrscheinlich immer noch schlaff, vielleicht sogar wie ein schmaler Hering. Denn wenn es nicht gerade um Knuddelcharaktere Marke Mario geht, dann sind Dicke eigentlich immer nur NPC’s und hässliche Helden kommen höchstens aus dem Charaktereditor.

Im Prinzip ist das auch absolut nachvollziehbar. In Videospielen wollen wir für gewöhnlich ein idealisiertes Alter Ego. Außerdem wissen wir ja mittlerweile auch alle, dass etwa Dicksein ungesund ist. Aber selbst wenn man all das an Seite lässt, sind Charaktere in Spielen nahezu immer sehr stark idealisiert. Müssen Spielfiguren deswegen unbedingt hässlich sein? Nein. Aber warum musste beispielsweise aus der etwas herberen Faith des ersten Mirror’s Edge in Catalyst die glattgebügelte Asia-Schönheit schlechthin werden? Faith sah genau nach dem aus, was sie war. Eine Frau, die den lieben, langen Tag rennt, springt, klettert und sich wenn es nicht anders geht auch mal durchschlagen könnte. Mag sein, dass es bei Mirror’s Edge Catalyst auch an Engine, besseren Charaktermodellen und mehr lag, aber die neue Faith war für mich ein gutes Stück von der alten entfernt. Und die Faith von 2008 wirkte auf mich eine ganze Ecke glaubwürdiger.

Über die Umgestaltung der weiblichen Commander Shepard für Mass Effect 3 mal ganz zu schweigen. War das alte Charaktermodell als Covergirl nicht mehr hübsch genug?

Und in der Männerecke? Geralt von Riva ist ja schon ne coole Sau. Aber ist er Kraftpaket oder schmales Hemd? Gemessen an vielen westlichen Spielecharakteren wohl fast schon letzteres. Gemessen an normalen Menschen? Sieht das schon ganz anders aus. Immerhin, in anderen Punkten ist er gar nicht so stereotyp. Ich weiß zum Beispiel gar nicht, wie viele Spielehelden zeitenweise raspelkurze, dunkle Haare und Bartschatten bzw. Dreitagebart hatten. An der Stelle ein kurzer Blick zum männlichen Shepard, der übrigens keine Schönheits-OP bekam…

Tatsächlich sind alte, dicke oder auch nur besonders schmale Protagonisten selten. Dabei kann das durchaus seinen Reiz haben. Ich fand beispielsweise den gealterten Ezio aus Assassin’s Creed Revelations ziemlich gelungen und eigentlich schon das Highlight des Spiels. Es könnte aber auch gerne mehr gewöhnliche Helden geben, wie Jack Joyce aus Quantum Break. Oder vielleicht auch mal was ganz anderes.

Irgendwie sehr cool fand ich letztes Jahr übrigens Pixelheldin Dandara aus dem gleichnamigen Spiel. Leider stolperte ich letztes Jahr bei Recherche zur historischen Vorlage auch über den ziemlich brutalen Mord an einer brasilianischen Transfrau namens Dandara dos Santos. Das sei nur mal am Rande erwähnt, weil Hasskommentare und negative Sichtweisen mit ein Grund für diesen Artikel waren und aus Worten nun einmal Taten wachsen können.

Beleidigungen

Sind alle drei vorigen Überschriften. Warum eigentlich? Weil diese Dinge immer noch sehr stark negativ besetzt sind. Homo oder Schwuchtel, Spasti, bist du behindert, fettes Schwein…, im Prinzip könnte man an der Stelle ewig weiter machen. Aber warum eigentlich? Weil Dinge (respektive Menschen) nicht der Wunschnorm entsprechen? Videospiele sind zu einem gewissen Grad Wunschvorstellungen und Ideale. Es wird also auch 180 Kilo Menschen geben, die gerne mal ein paar Stunden Kratos oder Marcus Fenix sein wollen. Das ist völlig legitim. Und ich will auch gar nicht, dass ein Master Chief, eine Samus Aran oder Lara Croft verschwinden. Aber das muss noch lange nicht alles sein.

Wie wäre es beispielsweise mal mit einem etwas kräftigeren, schwulen Türken als Protagonist eines Spiels? Provokant? Vielleicht ist es das für viele. Aber wenn so ein Charakter gut geschrieben ist, dann könnte das richtig klasse werden. Und wenn Videospiele schon so ziemlich alles möglich machen, vielleicht fällt dem einen oder anderen Entwickler ja auch noch ganz anderes ein. Langweiliger würden Videospielhelden so jedenfalls nicht werden.