Metacritic – Sinnvoll oder Blödsinn?

Was habe ich mich als Kind immer gefreut, wenn in der Zeitschriftenauslage meines Stammkiosks neue Ausgaben meiner Lieblingshefte lagen. Maniac, Total! Und diverse Marken spezialisierte „Käseblätter“ wanderten regelmäßig in meine stetig wachsende Sammlung. Klar, meine Mutter fand das löblich, der Junge liest schließlich etwas und das galt und gilt als kulturell wertvoll. Gespannt blätterte ich voller Vorfreude zu den Abschnitten der Hefte mit den Tests. Hat mein neues Spiel die erhoffte Höchstwertung erhalten? Welche Spiele kommen denn überhaupt bald heraus? Zur Erinnerung: Anfang der Neunziger gab es halt noch kein Internet. Informationen entnahm man den Printmedien. Und zu eben diesen Informationen gehörten auch die Wertungen zu den neusten Spielen, da man sich ohne Internet weder Screenshots, geschweige denn Videos auf Youtube ansehen konnte. Als Kind in den Neunzigern stand man also vor dem Regal und sortierte erstmal nach Covern aus. Fand man ein cooles, ansprechendes Cover wurde anschließend die Rückseite gecheckt. Dort gab es dann drei oder vier kleine Bilder und einen Werbetext vom Inhalt des Spiels. Aber zurück zu den wenigen Bewertungen, die man damals zu Spielen lesen konnte. Hatte der Kumpel zuletzt ein Spiel gekauft, was nur eine unterdurchschnittliche Benotung einheimste, wurde er mit Hohn und Spott überschüttet. Hatte man selber aufs richtige Pferd gesetzt, flanierte man mit Stolz geschwellter Brust über den Schulhof und war der King mit dem neuen tollen Super Nintendo Spiel. „Jaja ich habe gestern Earthworm Jim als US-Version für 160 DM gekauft, aber das Spiel hat auch eine 1- in der „Total!. Lohnt sich also voll.“

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Nun sind viele Jahre seit solchen Erlebnissen vergangen. Die Welt hat sich weiter entwickelt und eine bestimmte Webseite ersetzt mehr oder weniger heute die guten Spielemagazintests von früher. Die Rede ist von Metacritic oder Gamerankings. Klaubte man sich damals noch Noten aus allerhand Heften selber zusammen, nehmen einem solche Webseiten dieser Tage diese komplizierte Arbeit Gott sei dank ab. Dabei hauen sie sogar noch eine Prise „Globalisierung“ mit in den Metacritic-Eintopf. Für die, die es nicht kennen, Metacritic oder auch Gamerankings stellt eine weltweite Durchschnittswertung aktueller Videospiele auf. Dazu werden alle Bewertungen namhafter wie weniger namhafter Webseiten gesammelt und der Durchschnitt daraus berechnet. Die genaue Formel ist dabei etwas komplizierter, da manchen Webseiten per se mehr Kompetenzen zugesprochen werden als anderen. So werden also gewisse Wertungen größerer Magazine mit einem höheren Faktor für den Durchschnitt berechnet. Ein recht intransparentes Verfahren. Schlussendlich steht jedoch irgendwann eine Wertung zu Spiel XY auf der Seite. Sicherlich steckt hinter der ursprünglichen Idee eine gute Absicht. Auf diese Weise lässt sich bei akuter Unklarheit vor dem Regal in der Spieleabteilung des Elektronikmarkts schließlich schnell prüfen, ob das Objekt der Begierde eine Gurke ist oder nicht. Stimmt der Metascore, schleppt man das Ding beruhigt zur Kasse und malt sich auf dem Weg dorthin schon einmal die Spielspaß-Party aus, die einen nachher zuhause erwartet. Mmhhh, muss noch Bier kaufen….

Liegt der Score jedoch unter der eigenen persönlichen Erwartung oder Grenze des vermuteten guten Geschmacks, lösen sich alle Anzeichen von gerade eben noch bestehendem Interesse Ruck Zuck in Schall und Rauch auf. Das Spiel wird zurück gestellt und verschwindet aus sämtlichen Gedanken des potentiellen Käufers. Sicherlich gibt es Beispiele von Titeln, wo solch eine Ereigniskette verdient geschieht, weil das Spiel einfach schlecht ist. Doch ist das immer so? Ich glaube jeder von uns hat bereits in seinem Leben begeistert ein Spiel durchgespielt, obwohl der Metascore womöglich im 70iger Bereich lag. Andersherum ist auch kein hoher Score der Welt ein Garant für den eigenen individuellen Spielspaß. Ich selber habe schon recht häufig Spiele, die mit 90iger Wertungen und deren Cover mit diversen Awards zugepflastert waren, nach zwei Stunden in die Ecke gelegt. Wenn man dieses neue Kaufverhalten jetzt weltweit betrachtet, ist es nur logisch, dass auch Publisher unlängst auf die Auswirkungen von Metascore auf das Kaufverhalten der Leute aufmerksam wurde. Denn nach der Meinung vieler, hat der Score heute definitiv Folgen für die Verkaufszahlen eines Titels und entscheidet auch zu einem nicht unerheblichen Teil über Erfolg und Misserfolg eines Releases. Und da Spiele für den geneigten Publisher nun mal nichts weiter als finanzielle Kalkulationen sind, sieht man diese Entwicklung bei den hohen Tieren diverser Firmen wohl mit gemischten Gefühlen. Denn die Medaille hat bekanntlich immer zwei Seiten. Einerseits können also gute Wertungen den Absatz ankurbeln, andererseits kann so ein Projekt auch schnell mal zu einem wirtschaftlichen Flop werden.

Neue Wege in Form der zum Standard gewordenen Auftragsarbeiten in der Branche machen ebenfalls die Runde. So gibt es bekannte Fälle, in denen Bonuszahlungen an den Metascore gekoppelt waren. Prominentes Beispiel dafür ist Entwickler Obsidian Entertainment. Das Studio wurde mit dem Nachfolger zu Fallout 3 beauftragt. Ein zweifelsfrei sehr Prestige würdiges Projekt, welches im Oktober 2010 mit Fallout: New Vegas seine Geburtsstunde erlebte. Im Vertrag zwischen Publisher Bethesda und der Truppe aus Kalifornien wurden auch die Konditionen zu den Bonuszahlungen festgehalten. So stellte man Obsidian Entertainment eine Bonuszahlung über 2,5 Millionen Dollar in Aussicht, wenn ihr apokalyptisches Spielvergnügen in der Stadt der Sünde einen Metascore von 85 Punkten erreicht. Frei nach Fußballer Jürgen Wegmann hatte das Studio nicht nur kein Glück, sondern auch noch Pech dazu. Zum geforderten Zeitraum nach genau 30 Tagen nach dem Tag der Erstveröffentlichung prangte eine dicke „84“ als Bewertung auf Metacritic – der Bonus war futsch. Gerüchten zufolge soll es Bungie ebenfalls ähnlich erwischt haben. Heimste man durch die Abenteuer von John 117 aka Master Chief mit der Halo-Reihe noch quasi durchgehend 90iger Scores ein, schaffte es der Coop-MMO-Shooter- Destiny nur auf knappe 77 Punkte (völlig zu unrecht by the way). Activision konnte daraufhin auch vertraglich einige ausstehende Schecks in der Schublade liegen lassen. Wieviele Studios aufgrund von Metacritic noch auf Geld verzichten mussten, ist unbekannt. Die Dunkelziffer schätze ich jedoch relativ hoch ein.

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Schlimmer geht immer: Es gibt zudem einige Stimmen die außerdem behaupten, dass bereits Studios in der näheren Vergangenheit aufgrund schlechter Metascore-Ergebnisse komplett aufgelöst wurden. Direkte Beweise dafür sind jedoch nicht bekannt.

Doch was bringt denn nun Metascore für mich als einzelnen Spieler? Eingangs erwähnte ich, dass ich persönlich bereits mit vermeintlich schlechten Spielen bereits mehr Spaß hatte, als mit „Top-Titeln“. Klar, man kann natürlich immer anderer Meinung als ein Tester sein. Schuld daran ist der persönliche Geschmack. Diesen Umstand soll aber die Illusion von Metascore ausmerzen. Denn der Mittelwert vieler Meinungen muss ja irgendwo richtig sein. Stimmt meiner Meinung nach auch irgendwie. Meistens liege ich mit meiner eigenen Einschätzung als Tester recht nah beim Metascore (den ich vorher nie gegen prüfe). Der Grund dafür liegt auf der Hand: Als Tester bewertet man die Spiele-Software objektiv und neutral – also sollte man zumindest. Gewisse Dinge sind eben nicht nur persönliche Meinung und manche Fakten haben Auswirkung auf eine Benotung. Umfang, Technik oder Steuerung können kaum diskutiert werden. Sicher kann man auch da anderer Meinung sein. Manche mögen kurze, knackige und dafür intensivere Spiele lieber als ellenlange Open World-Mammut-Projekte. Und nicht jeder legt großen Wert auf saubere und zeitgemäße Technik (Gruß an die Wii U-Zocker *g*). Doch unterm Strich gibt es gewisse „Regeln“, an die sich ein Tester von Videospielen halten sollte, weshalb die Wertungen oft im selben Bereich liegen. Ein ordentlicher Umfang, passend zum Genre, wird einem Spiel immer Pluspunkte in der Endabrechnung bringen. Genau wie spektakuläre Technik oder eine gute Steuerung.

Bei Metacritic gibt es wie zum Beispiel bei Amazon auch User-Wertungen. Diese unterscheiden sind teilweise von den Fachwertungen. Im Falle des Sega-Schocker Alien Isolation wohl zu Recht. Hier haben einige Publikationen nachträglich ihre Wertungen angepasst. Sonst sind die User-Wertungen ein lustiges Sammelsurium an Troll-Kommentaren. In der Regel bekommen Spiele entweder null oder zehn Punkte. Das ist natürlich Blödsinn, da wir hier nicht bei Tinder sind, wo die Auswahl auf “ja” oder “nein” beschränkt ist. Motivation ist meistens auch grundlegend gegen unliebsame Hersteller, Publisher oder ganze Konsolen zu trollen. So gibt es User, die eben jedes PlayStation 4 exklusive Spiel besonders hoch und jedes Xbox One-Exklusive besonders niedrig bewerten. Umgekehrt gibt es das selbstverständlich auch – Trolle gibt es in jedem Lager. Dadurch werden die User-Meinungen so sehr verzerrt, dass man diese geflissentlich ignorieren kann.

Doch was passiert, wenn man sich nun nur auf die nackte Zahl verlässt? Mir wären einige gute Spiele durch die Lappen gegangen. Denn die Zahl bildet eben nur den Abschluss eines Artikels. Wichtiger ist nun mal immer noch der Text. Dort verstecken die Schreiberlinge dieser Welt einfach viel mehr Informationen, als eine reine Zahl jemals wiedergeben könnte. Daher bin ich froh, dass ich zu einer Zeit groß geworden bin, in der ich noch Spieletests lesen musste und diese deuten und schätzen lernte. Als Kind habe ich auch oft der Wertung an sich zu viel Aufmerksamkeit zukommen lassen – ich wusste es halt nicht besser – jugendlicher Leichtsinn. Durch diese Art der Erziehung, was Spieletests angeht, bemerkte ich jedoch irgendwann, dass die wahren Aussagen eben im Text liegen. Über diesen erfährt man, wenn er gut geschrieben ist, ob ein vermeintlich schwaches Spiel einem doch gefallen könnte. Über Metacritic kann man theoretisch auch jede Review selber lesen. Alle eingetragenen Wertungen sind dort hinterlegt und verlinkt. Doch mal ehrlich: Wer ängstlich vor dem Regal steht, weil er damit rechnen muss, dass die Freundin die neue Liebeskomödie mit Nora Tschirner bereits blitzschnell und erfolgreich aus der Neuheiten-Wand gefischt hat und demnach bald auf die Heimreise besteht, der liest sich nicht mal eine Review durch. Die Zeit ist knapp und man checkt kurz zwei, drei Wertungen mit dem langsamen, mobilen Internet auf dem Smartphone und trifft dann seine Entscheidung. Und mit dieser kann man dann ganz schön daneben liegen.

Ist Metacritic nun Segen oder Fluch für uns und die Industrie? Irgendwie ja beides. Als oberflächliche Informationsquelle ist ein Metascore sicher brauchbar. Nur sollte man diese Meinung am besten noch durch ein oder zwei Artikel selber ergänzen lassen. Was die „geldgeilen“ Firmenchefs mit diesem „Marketing-Instrument“ machen, können wir eh nur erahnen. Vermutlich werden einige Studios durch diesen mächtig gewordenen Idealwert gegängelt. Vielleicht spornt es so manch eingesessenes Entwicklerteam auch dazu an sich nicht hängen zu lassen. Mit einem guten Score kann man schließlich auf nicht unerhebliche Mehreinnahmen hoffen. Letztendlich könnte man so auf eine romantische Art und Weise davon träumen, dass dieser Druck auf die Hersteller sie zu mehr Mühe zwingt und wir auch in Zukunft bestens vor unseren Daddelkisten unterhalten werden. Schöne Vorstellung, oder?