Nach dem schrecklichen Amoklauf in einem Münchener Einkaufszentrum überschlugen sich die medialen Ereignisse. Es folgten stundenlange Live-Schaltungen nach München, ein Brennpunkt jagte den nächsten und im Netz verbreiteten sich die wüstesten Gerüchte über Terroranschläge und Schüsse in der ganzen Stadt. Nachdem sich der erste Schock legte und nach den Ursachen für die Bluttat gesucht wurde, erwähnte unser Innenminister de Maizière doch tatsächlich wieder gewalthaltige Computerspiele als Mitursache für die den grausamen Amoklauf des Täters. Zwar umschiffte er verbal clever das bei Spielern in Ungnade gefallene Wort „Killerspiele“ doch im Prinzip wussten alle was gemeint war. Fairer Weise bleibt jedoch anzumerken, dass sich de Maizière nicht direkt für ein Verbot aussprach, sondern eine Diskussion über diese Spiele erwünscht sei. Die Auswirkungen dieser Spiele haben „schädliche Folgen“, es „gäbe Studien die dies belegen würden“ und „kein vernünftiger Mensch könne dies bestreiten“. Lassen wir mal die letzte, wie ich finde etwas unglückliche Formulierung der „vernünftigen Menschen“ außen vor und betrachten den Aspekt der Studien die dies belegen.
Kennt Herr de Maizière die Methodik dieser Studien und weiß er denn auch das es Studien gibt die keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Gewaltpotential und Gewaltspielen finden lassen? Mir ist durchaus bewusst, dass es nicht die Aufgabe des Innenministers ist, sich in der Methodik und Durchführung Sozialpsychologischer Studien auszukennen. Allerdings kann es auch helfen sich zumindest zwei, drei Studien genauer anzuschauen und die Ergebnisse untereinander zu vergleichen, wenn nötig mit Hilfe von Experten. Die Resultate solcher Studien sind meist komplexer als es vermuten lässt und lassen sich auch nicht pauschal nach dem Schema „wenn a dann b“ interpretieren. Wie man in Fachkreisen auch gerne sagt: „Ziehe aus Korrelationen (Zusammenhängen) keine Kausalschlüsse“.
Nun gibt es allerdings auch einen Aspekt an de Maizières Pressemitteilung, dem ich tatsächlich zustimme (und das passiert nicht sehr oft). Lasst uns darüber reden und mit dem Thema auseinandersetzen, denn wenn wir Spieler uns in unsere einsame Meinungsburg zurückziehen und die Gegenseite wieder nur mit Dreck und Vorwürfen bewerfen, sind wir keinen Deut besser als die Leute, die unser Hobby in eine eindimensionale, gewaltverherrlichende Ecke drängen wollen. Daher ist es mein Anliegen den Lesern und Gamern da draußen mal eine Studie zum Thema „Videospiele und aggressives Verhalten“ genauer vorzustellen um zu zeigen, wie so ein Experiment überhaupt aufgebaut ist. Ich beziehe mich dabei auf eine Studie die ich während meines Studiums etwas ausführlicher bearbeitet hatte da sie, wie ich finde, neben der kurzfristigen Auswirkung von Gewaltspielkonsum auch eine interessante und spannende Aussage über unsere Medienwahrnehmung und soziales Verhalten beschreibt. Dies geht allerdings nicht ganz, ohne einige fachspezifische Theorien und Methoden zu beschreiben. Ich werde mir jedoch im Folgenden Mühe geben, so gut es geht komplexe Zusammenhänge zu beschreiben und so verständlich es geht zu erklären. Abschließend werde ich die Ergebnisse der Studie noch etwas erläutern und ein persönliches Fazit ziehen. Allen die sich mit dem Thema etwas genauer befassen wollen oder sich für psychologische und soziologische Phänomene interessieren wünsche ich nun viel Spaß beim Lesen.
Das mediale Bild der Spieler von 2009
Die Studie die ich hier beschreiben möchte, stammt aus dem Jahr 2009, also zu einer Zeit, in der das Thema „Killerspiele“ gerade nach dem Amoklauf in Winnenden, welcher im gleichen Jahr ereignete, sehr brisant und hitzig diskutiert wurde. Die mediale Darstellung in den gängigen deutschen Fernsehsendern wie ARD und ZDF wurde damals sehr einspurig geführt und ich denke die meisten von uns können sich noch an die teils hetzerischen Beiträge von Frontal 21 oder Panorama erinnern, in denen Computer- und Videospiele immer mit Gewalt assoziiert wurden. Das häufigste anzutreffende Argument der Videospielkritiker war, dass gewalttätige Spiele bei übermäßigen Konsum die Hemmschwele für Gewalttaten im echten Leben senken würden. Zudem könnten Jugendliche und Kinder anhand virtueller Waffen, den Umgang mit echten Schusswaffen üben. Die Psychologinnen Dr. Julia Kneer und Dr. Sabine Glock hatten zu jener Zeit eine etwas andere Theorie bezüglich des Videospielkonsums. Ihrer Meinung nach sei es möglich, dass Videospieler und Nicht-Spieler (die soll es ja damals wie heute tatsächlich noch geben) unterschiedlich auf das Spielen eines gewalthaltigen Videospiels reagieren würden. Was genau sie damit meinten und wie das funktionieren soll, wird im nächsten Textteil erklärt.
Von Priming und assoziativen Netzwerkmodellen
Wie bereits angekündigt muss ich nun etwas weiter ausholen um die Theorien und Hypothesen des Experiments zu Glock und Kneer nachzuvollziehen. Wie kann es also passieren, dass Menschen unterschiedlich auf dieselben Reize und Themen, wie beispielsweise Videospiele, reagieren? Zunächst ist diese Frage sicherlich nicht allzu schwer zu beantworten, wenn wir uns mal kurz dem Thema Fußball widmen. So wird beispielsweise der Begriff „Borussia Dortmund“ bei einem Schalke-Fan andere Gedanken und Gefühle auslösen als bei einem BVB-Fan, ohne dabei jetzt auf weitere Details eingehen zu wollen. Nach sozialpsychologischen Theorien entwickeln sich Assoziationen zwischen Umweltmerkmalen (wie beispielsweise Videospiele) und psychologischen Reaktionen (in diesem Fall „aggressive Gedanken“), wenn beide häufig und konsistent zusammen auftreten. Das bedeutet wenn uns oft vermittelt wird (wie damals in den Medien üblich), dass gewalthaltige Computer- und Videospiele Aggressives Verhalten fördern, festigt sich dieses Bild in unseren Köpfen. Wir Spieler haben jedoch andere Erfahrungen gemacht. Wir verbinden mit unserm Hobby beispielsweise Spaß, oder oft auch wettbewerbsorientierte Gedanken und Gefühle wie „Ansporn“ oder „Glück“. Wenn euch nun jemand spontan fragen würde, was für Gedanken das Wort „Videospiel“ bei euch auslösen, werden also vermutlich schneller eher positive Begriffe einfallen als Leuten die das Bild von „aggressiven Spielern“ durch die Medien vorgesetzt bekommen haben. Den Nicht-Spielern werden da vermutlich eher gewalthaltige Wörter wie „brutal“ oder „Waffe“ einfallen. In der Sozialpsychologie spricht man hier von einem sogenannten „Priming“-Effekt. Der Begriff “Priming“ beschreibt einen Prozess, bei dem vorhergehende Erfahrungen (in unserem Bespiel zum Thema gewalthaltige Videospiele) die Zugänglichkeit eines Schemas, einer Persönlichkeitseigenschaft oder eines Konzepts erhöhen.
Die Idee dahinter gründet auf der Theorie des assoziativen Netzwerkmodells. Diese Theorie besagt, dass die einzelnen Konzepte (gewalthaltige Videospiele) als Knotenpunkte im Netzwerk des Gedächtnisses repräsentiert sind. Diese konzeptionellen Knoten sind durch Assoziationen miteinander verbunden. Je ähnlicher sich zwei Konzepte sind und je häufiger sie miteinander in Verbindung gebracht werden (denkt hierbei an die Mediendarstellung von Videospielen 2009), desto stärker ist ihre Assoziation. Wird ein Konzept durch einen äußeren Stimulus (beispielsweise das Betrachten oder gar Spielen eines Videospiels) oder durch Priming aktiviert, so wird auch das Zweite aktiviert, welches in starker Assoziation zum ersten Konzept steht. Wem beim lesen dieses Theorieteil schwindelig geworden ist, dem habe ich noch eine kleine Zeichnung angefertigt, um es zu verbildlichen. Ich entschuldige mich an dieser Stelle für meine eher schlecht ausgeprägten Paint-Skills.
Wie misst man Gewaltpotential?
Soweit die Theorie. Doch was hat das mit dem Experiment zu tun? Nun, wie im vorherigen Kapitel beschrieben wollten die Forscherinnen nachweisen, dass das Konzept „gewalthaltige Videospiele“ bei Nicht-Spielern andere Assoziationen auslöst als bei Langzeitspielern und ob dies einen Effekt auf aggressive Konzepte hat.
Doch wie misst man eigentlich Gewalt? Oft greift man dabei auf die sogenannte Methode der lexikalischen Entscheidungsaufgabe zurück. Die Aufgabe der Versuchspersonen besteht dabei darin, Wörter (z.B. Auto) von „Nicht-Wörtern“ (z.B. Aulbo) durch möglichst schnelles Drücken einer entsprechenden Taste voneinander zu unterscheiden. Dabei wird die Reaktionszeit gemessen. Vor dem Hintergrund des Netzwerkmodells, sollte daher nach der „Aktivierung“ aggressiver Gedankenkonzepte gewalthaltige Wörter wie „Gewehr“ schneller als Wort erkannt werden als Wörter aus anderen Kategorien wie „Auto“ oder „lieben“.
In dem hier beschriebenen Experiment, wurde diese Entscheidungsaufgabe an insgesamt drei unterschiedlichen Versuchsgruppen gemessen. Diese Reaktionsaufgabe wurde vor und nach dem Spielen eines gewalthaltigen Videospiels, in diesem Fall der Shooter „Unreal Tournament“ durchgeführt. Anhand der bereits beschriebenen, theoretischen Grundlangen, gingen die Versuchsleiter von folgenden drei Hypothesen aus:
- Nichtspieler sollten aufgrund der medialen Berichterstattung über Videospiele eine besonders starke Assoziation zwischen den beiden Konzepten “gewalthaltige Videospiele“ und “aggressives Verhalten“ aufweisen. Wurden ihnen vor dem Spielen gesagt das es sich um „eine Studie über die Auswirkungen von gewalttätigen Videospielen handelt“ (Die Versuchspersonen wurden somit auf das Konzept „gewalthaltiges Videospiel“ geprimed), sollte ein schnellerer Zugriff auf aggressive Konzepte durch eine schnellere Reaktionszeit bei gewaltimplizierten Wörtern aus den Entscheidungsaufgaben gemessen werden. Das Spielen eines Gewaltspiels sollte hingegen keinen zusätzlichen Effekt auf die Aktivierung dieser Konzepte hervorrufen.
- Versuchspersonen die nicht auf das Konzept „gewalthaltige Videospiele“ geprimed wurden (ihnen wurde vorher nicht gesagt, es ginge um eine Studie, welche die Auswirkungen von Gewaltspielen handelt), der schnellere Zugriff auf aggressive Konzepte ausbleiben und kein Unterschied in den Reaktionszeiten bei gewalthaltigen und nichtgewalthaltigen Worten in den Wortlisten erkennbar sein. Erst mit dem Spielen des Gewaltspiels sollten erhöhte aggressive Konzepte erkennbar sein (schnellere Reaktionszeiten beim Erkennen aggressiver Wörter)
- Langzeitspieler sollten durch das Konzept „gewalthaltige Videospiele“ andere Assoziationen aufweisen als Nichtspieler. Aggressive Konzepte sollten daher nicht schneller zugänglich sein und sich auch in den Testergebnissen dadurch widerspiegeln, dass es zwischen den beiden unterschiedlichen Wortgruppen (aggressive Wörter vs. Nicht-aggressive Wörter) innerhalb der Buchstabenketten keinen Unterschied in der Reaktionszeit geben sollte. Das Spielen eines Gewaltspiels sollte ebenfalls keinen Effekt auf die Aktivierung aggressiver Konzepte haben, da dabei eher spielerspezifische Konzepte (Spaß usw.) aktiviert werden sollten.
Die Ergebnisse
Die Auswertungen des Experiments wiesen einige interessante Ergebnisse auf. Die Nichtspielergruppen (geprimed und nicht-geprimed) zeigten in beiden Entscheidungstests vor und nach dem Spielen von Unreal Tournement eine schnellere Reaktionszeit bei aggressiven Wörtern als die Gruppe der Langzeitspieler. Das heißt bei den Leuten die eher selten bis gar nicht spielen, wurden eher gewalthaltige Konzepte aktiviert als bei Langzeit-Spielern. Die Gruppe der Nicht-Spieler, welche kein Priming auf „gewalttätige Videospiele“ erhielt, zeigte keine schnelleren Reaktionszeiten nach dem Spielen. Das heißt das Spielen alleine hatte weniger Auswirkung auf aggressive Gedankeninhalte als die Info, es handle sich um eine Studie zum Thema „Gewalt in Videospielen“. Bei den Langzeitspielern wurden sowohl vor als auch nach dem Spielen die längsten Reaktionszeiten gemessen, eine Aktivierung aggressiver Konzepte schien demnach auszubleiben.
Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass die Erfahrung der Versuchsteilnehmer einen größeren Einfluss auf die Aktivierung aggressiver Konzepte hatte, als das Spielen eines gewalttätigen Spieles selbst. Eine weitere interessante Beobachtung waren die längeren Reaktionszeiten bei Langzeitspielern auf aggressive Wörter. Die Autoren des Experiments vermuteten eine Art „Unterdrückungseffekt“ auf aggressive Konzepte aufgrund des damals medial eher schlechten Rufes von Videospielen, wobei dazu erwähnt werden muss, dass diese Hypothese bisher nicht bestätigt werden konnte.
Und heute?
Mittlerweile hat sich die mediale Berichterstattung über Computer- und Videospiele in Deutschland schon merklich geändert. Selbst vormals eher negativ berichtende Sender wie ARD und ZDF gehen heute weitaus differenzierter und offener mit dem Thema um. So widmete beispielsweise das ZDF Nachrichtenjournal Heute Plus dem Rollenspielhit Fallout 4 zum Release einen eigenen Bericht inklusive Interview mit Entwicklern. Bedenkt man die Thematik und die Gewaltdarstellung in diesem Titel, ist dies im Vergleich zu 2009 auf jeden Fall eine angenehme Entwicklung. Sicherlich haben auch Großevents wie die gamescom in Köln oder die stärkere Fokussierung News und Informationen aus dem Internet zu ziehen zu einem differenzierteren Bild über Videospiele beigetragen. Auch die Bundesprüfstelle für Jungendgefährdende Medien, zeigte sich in den letzten Jahren mit diversen Listenstreichungen alter Klassiker (zuletzt Gears of War) und dem Durchwinken neuer Spiele (Doom oder Mortal Kombat X) sehr liberal. Es wäre daher interessant, ob ein das Experiment unter gleichen Bedingungen heute noch zu den gleichen Ergebnissen führen würde wie 2009.
Betrachten wir die Studienergebnisse einmal etwas abseits der Thematik Videospiele zeigt sich noch eine weitere interessante Beobachtung die uns Bezüglich unserer Medienkompetenz aufhorchen lassen sollte. Wie wir in den Ergebnissen gesehen haben, schienen die durch Medien erstellten Konzepte über Gewaltspiele einen stärkeren Effekt auf die Versuchspersonen zu haben, als das Spielen selbst. Da der Effekt auch bei anderen Studien mit anderen Inhalten nachgewiesen wurde, sollten wir und auch die Medienmacher selbst nochmal bewusst machen, welch mächtigen Einfluss Massenmedien auf uns haben können und ob wir uns in anderen Themenbereichen selbst immer vorurteilsfrei eine Meinung bilden. Wie das Experiment auch zeigte, waren Nicht-Spieler ohne das Priming „gewalthaltige Videospiele“ weniger befangen von der Gewalt des Spiels, vielleicht hatten sie sogar Spaß dabei empfunden. Um es auf den Punkt zu bringen: Wir sollten uns bei aufkommenden Diskussionen nicht nur auf die eigenen Erfahrungen versteifen und uns vielleicht auch mal die Argumente der Gegenseite anhören. Gerade in derart unruhigen Zeiten wäre es wünschenswert, auch über das Thema Videospiele hinaus, etwas mehr Offenheit zu wagen. Denn wie wir jetzt wissen, schränken einseitige Meinungen und Berichterstattungen eher ein, als das sie uns helfen.