Kolumne: 5 Gründe – Darum ist Hellblade: Senua’s Sacrifice eines der innovativsten Spiele 2017

Seien wir mal ehrlich: GTA V ist im Grunde GTA 4 oder 3, nur mit anderem Setting, Assassin‘s Creed III ist wie II oder I, stets geht es um einen Assassinen, der eine Geschichtsepoche nacherlebt und auf Häuser klettert. Und bei Call of Duty geht’s immer um eines: Krieg. Keineswegs sind dies schlechte Spiele, bis heute gelten sie als die erfolgreichsten Games-Serien überhaupt, doch im Kern bleiben sie, was neue Ideen angeht, rar. Augenblicklich scheint es der Fall, als ob die Gameswelt sich zu sehr an Hollywood mit ihren Superheldenfilmen in Serie orientiert. Altbewährtes ist gut, bloß nicht experimentieren. Sehnsüchtig wartet man auf etwas Neues und Bahnbrechendes. Und dann, unerwartet aus der Dunkelheit, erscheint eines dieser besonderen Spiele. Und nicht von einem großen Entwickler. Das kleine Studio Ninja Theory hat ihr Indie-Projekt eigenständig finanziert und damit einiges riskiert, um ein Wunder zu vollbringen oder unterzugehen. Die Unabhängigkeit von einem großen Publisher sowie dem Druck, der Norm aus Triple-AAA-Titel zu entsprechen, hat Ninja Theory, das am ehesten wegen DmC: Devil May Cry und Heavenly Sword bekannt ist, zu Neuem und Außergewöhnlichen abseits des Mainstream beflügelt. Hellblade: Senua’s Sacrifice hat die besten Chancen, als eines innovativsten Indie-Games, wenn nicht als das innovativste Game 2017, verewigt zu werden. Nachfolgend seien fünf Gründe genannt, warum die Heldenreise der keltischen Kriegerin Senua durch die von ihren eigenen Traumata und Psychosen beeinflusste, dunkle Welt der nordischen Mythologie, um die Wahrheit und zu sich selbst zu finden, so besonders ist.

1. Ein psychischer Horrortrip

Nicht umsonst warnt das Spiel beim Start, dass es Psychosen auf sehr eindringliche Weise darstellt und das diese realitätsnahe Darstellung nicht für jedermann ist. Das Spiel ist gelinde gesagt heftig und damit sind keineswegs Horror-Elemente oder brutale Gewaltszenen gemeint. Es sind psychische Erkrankungen, die detailgetreu inszeniert werden und gerade wegen ihrem realen Bezug einem durchaus zusetzen können. Das Ganze geht einem wortwörtlich unter die Haut, da wir in der Haut der jungen, keltischen Kriegerin Senua stecken und ihren Erlebnissen nicht entkommen können. Selten erlebt man ein Spiel, dass so intensiv mit der Welt, der Hauptfigur, ihren Gedanken und den Stimmen in ihren Kopf interagiert, sie abwechselnd in verschiedene Weise komponiert, um eine andere Psychose darzustellen. Realität, Traum und Erinnerung verschwimmen zu Chaos, in dem der einzige Anker die Hauptfigur Senua ist, was im Laufe des Games eine ungeheure Bindung vom Spieler zu der Heldin ergibt. Diese Verbindung geht einem bisweilen so nahe, dass einem schon mal die Lust am Weiterspielen genommen wird, weil Senuas Abgründe einen selbst verstören. Solch einen eindringlichen Bezug zu der Gefühlswelt einer Spielfigur hat es selten bei einem Spielerlebnis gegeben. Ninja Theory hat jahrelang Recherche betrieben, Professoren, Institute und Betroffene mit Psychosen befragt, um mittels der Form des Videospiels eine gänzlich neue Anschauungsweise zu einem Tabuthema in unserer Gesellschaft aufzuzeigen. In den exzellenten Entwickler-Tagebüchern von Ninja Theory wird das Engagement des Teams um Chef-Designer Tameem Antoniades umso deutlicher, das mit viel Respekt aber auch Ehrlichkeit an das Spektrum der Krankheitsbilder herangehen sind und diese in ihre Hauptfigur Senua projiziert hat.

Nach den Ergebnissen ihrer Studien hat Ninja Theory vielerlei Psychosen in ihrem Spiel einfließen lassen, um ein einmaliges Spielerlebnis zu generieren. So ist der Spieler beispielsweise niemals allein, stets begleitet Senua eine Schar an Stimmen in ihrem Kopf, die das Abenteuer kommentieren, Tipps geben, sich über sie lustig machen, ihr sarkastisch den Tod wünschen und vieles mehr. Diese schizophrenen Züge gehen einem nahe, noch näher, wenn man die entsprechenden Kopfhörer hat, da Ninja Theory den Sound über binauraler 3D-Technik aufgenommen hat. Dadurch hat der Spieler wirklich das Gefühl, die Stimmen würden sich in seinem Kopf befinden. Weitere Symptome, die auf psychische Krankheiten hindeuten, sind flirrende Farben und Muster in der Welt, Splitter- und Blur-Effekte, wabernde Wände, Visionen oder plötzliche alles umgebende Dunkelheit. Solche Erlebnisse sind einzigartig und weder Film oder Buch oder ein anderes Medium als das Videospiel ermöglichen es, solch eine Intensität zu erzeugen, weil wir als Spieler mit Senua all diese Psychosen persönlich erleben und dadurch erfahren, was sie sind und welche Ausprägungen sie haben. Man fühlt mit Senua mit, wie sie all ihre Traumata durchlebt, umso stärker wird dieses Gefühl, wenn man realisiert, dass die gezeigten Psychosen keineswegs ausgedacht, sondern Krankheiten realer Menschen nachempfunden sind, die täglich damit zu kämpfen haben. Deswegen bietet Ninja Theory auch Hilfe in Form einer Webseite an, indem sich Betroffene, die nie gewagt haben, über ihre Krankheit zu sprechen, austauschen können.

2. Schauspielkunst auf einem neuen Level

Wer das erste Mal erlebt, wie Senua mit sich selbst und ihren Stimmen redet und plötzlich mit einem Mal die vierte Wand durchbricht, also den Kontakt zum Spieler hinter dem Monitor sucht, indem sie diesen anscheinend direkt anspricht, der wird sich zum einen emotional verbunden fühlen. Zum anderen wird er äußerst aufgewühlt sein; so sehr, dass man geneigt ist, den Blick vom Monitor abzuwenden, da hier die Barriere von Video-Spielwelt und Realität gebrochen wird. Selten hat man als Spieler in einem Spiel solch eine menschliche Nähe gespürt, Senuas Art und Weise, ihre Augen, ihre Lippenbewegungen, ihre Mimik und Gestik, alles wirkt authentisch und individuell, weil diese es auch sind. Hinter der Performance steckt eine Schauspielerin namens Melina Juergens. Motion Capturing erreicht mit Hellblade ein ganz neues Niveau, eines, das gar über die Welt der Games hinausgehen kann, da hier auch neue Visionen für zukünftige Film- oder Theatererlebnisse geschaffen werden. Denn trotz aller technischen, narrativen und Gameplay-mechanischen Gimmicks ist es letztlich Juergens, welche Senua zum Leben erweckt und diese durch ihre Schauspielkunst durch das Spiel trägt. Das Erleben der nordischen Unterwelt Helheim, die Charakterentwicklung durch die Story hinweg, getragen durch das Drama der vielen Psychosen, das alles läuft Hand in Hand mit Juergens Darstellung von Senua, an welcher der Spieler teilhat und umso mehr mitfühlt.

3. Erzählerische Atmosphäre und Nordische Mythologie

Letztlich spiegelt Senua eine Heldenreise wider, Protagonistin Senua reist in die Unterwelt Helheim, um die Seele ihres verstorbenen Geliebten Dillion aus den Fängen der Totengöttin Hela zu reißen. Was anfänglich als simpler Plot beginnt, entpuppt sich mehr und mehr zu einer verschachtelten Story, in der nicht nur Senua und ihr Werdegang, sondern letztlich auch die Wahrheit um ihr Dasein und Streben gelüftet wird. Diese langsam annähernde Enthüllung um Senuas Geschichte, die ihre Person veranschaulichen, ist behutsam und geschickt von den Entwicklern eingearbeitet. Dieser Werdegang verbindet sich gekonnt mit der nordischen Götterwelt und ihrer Mythologie, die in Helheim entweder durch den Spielvorgang selbst oder immer wieder auftauchenden Runensteinen erläutert wird. Odin und Thor sind nur die berühmtesten Figuren, die im Spiel erzählerisch in Erscheinung treten, ebenso tauchen beispielsweise Sigurd alias Siegfried und die Drachentötergeschichte auf, der Weltenbaum Yggdrasil, der erste Riese Ymir, die Midgardschlange und schlussendlich der Weltuntergang Ragnarök. Dabei werden die Figuren und die Geschichten aus der nordischen Mythologie zumeist in der Weise mit der Spielhandlung verwoben, dass Senua auf ihrer Reise Aufgaben in Bezug zu diesen Geschichten meistern muss. Entweder als Rätsel oder in Form von Gegnern. So tauchen beispielsweise der Rabengott Valravn und der Feuerriese Surt selbst im Spiel auf. Wer sich für nordische Mythologie interessiert, hat mit Hellblade sowieso sein Spiel gefunden, für alle anderen kann es auch eine lehrreiche Erfahrung bedeuten. Die Verbindung aus Spielgeschehen, Senuas Geschichte sowie den Details aus der nordischen Mythologie erzeugen eine ungeahnt dichte Atmosphäre, sodass es nicht selten geschieht, dass man als Spieler bewusst inne hält, um der Erzählerstimme von Druth zu lauschen sowie die Umgebung zu genießen, die entsprechend der nordischen Mythologie gestaltet wurde.

4. Grafik zu schön, um sie nicht in Bild festzuhalten

Das Beschauen der Umgebung ist ein weiterer Punkt, der Hellblade heraushebt. Die Unreal Engine 4 pusht das Level aktueller Grafik-Leistung in Games weit nach oben. Helheim ist eine grafische Wucht, oft verbringt man einfach nur Zeit damit, stehen zu bleiben, Pflanzen, Himmel, Bauwerke, Strände, Gebirge, Wasser oder Senua selbst in all diesen Umgebungen zu betrachten und zu bewundern. Die Optik ist ein Augenschmaus an sich, erreicht ihre Besonderheit aber gerade deswegen, dass sie keine reine Grafik-Tech-Demo, sondern ein Bestandteil des Gesamtkonzepts von Hellblade ist. Hellblade will keine Effekthascherei darstellen, die schaurig-düstere Welt von Helheim wird nüchtern und schonungslos präsentiert und erreicht gerade wegen ihrer Tristheit umso mehr Atmosphäre. Die Welt will nicht herausstechen, sondern ein Teil zum Spielgefühl liefern. Das zeigt sich später im Spiel, indem man einen Part beispielsweise fast in kompletter Dunkelheit bestreiten muss und sich lediglich auf sein Gehör verlassen kann. Die Welt von Hellblade spiegelt Senuas von Psychosen geleitetes Ich wider, gemeinsam mit dem Sound, den Stimmen sowie den detail-verliebten Einfluss der nordischen Welt schafft sie es, ein herausragendes Ambiente zu erzeugen. Gerade die innovativen Design-Experimente in Bezug zu den Psychosen heben die Grafik umso mehr hervor, die verbunden mit der exzellenten Darstellung der Performance von Melina Juergens als Senua sicher in Erinnerung bleiben wird. Nicht unerwähnt bleiben soll der exzellente Foto-Modus, bei dem man in verschiedenen Einstellungen, Perspektiven und Filter seinen persönlichen, eindrucksvollen Hellblade-Moment festhalten kann. So geschieht es nicht selten, dass ein guter Teil der Spielzeit dabei drauf geht, seine Heldin in neuen Posen und Kampfsituationen festzuhalten.

5. Ein Schwert, sie zu spalten … das Kampfsystem

Trotz aller Lorbeeren, die Senua einheimst, ist es letztlich das Gameplay, das alltägliche Spielgeschehen, was ein Game zum Game macht. Hier sind es neben den Rätsel-Einlagen und der Suche nach Runenmustern vor allem das Kampfystem, dass sich als ein Kernelement von Hellblade herausstellt. Dabei laufen die Kämpfe stets nach gleichem Schema ab. Senua erreicht ein bedrohliches Gebiet und zieht dann ihr Schwert, noch ehe die untoten Widersacher aus dem Nichts materialisieren. Oftmals sind es gleich mehrere Gegner, die auch in ihrer Kampfkraft und Art variieren, vom Schwertkämpfer, über den gepanzerten Schildträger, bis hin zum Axtwerfer. Gleich bleibt, dass je einer der Gegner sich auf Senua fokussiert, während die anderen am Rande des imaginären Kampfkreises verbleiben, aber der keltischen Kriegerin auch mal in den Rücken fallen, insofern sich die Möglichkeit ergibt. Die Kämpfe sind exzellent animiert, die stets übermächtig-wirkenden Feinde schlagen wuchtig auf die im Vergleich zierliche Senua ein, die sich jedoch unbeeindruckt gibt und raffinierte Konter gibt. Die Möglichkeiten der Angriffe ist begrenzt, aber effektvoll. Ein schneller und ein starker Angriff, Blocken, Treten und eine Sprungattacke sowie die Fähigkeit zur Seite zu Rollen runden die Palette an Möglichkeiten ab. Trotz weniger Kombos gestalten sich die Kämpfe spannend und hollywood-reif, da sie sehr realitätsnah wirken und durch Senuas amazonen-hafte Art umso mehr an Intensität gewinnen. Ein Zeitlupen-Modus bei entsprechend vielen erfolgreichen Angriffen rundet das Spektrum ab, sodass man oftmals zu gerne stirbt, da man sich so nochmal in den Flow des Kriegers begeben kann. Apropos Sterben: Jedes Mal wenn Senua scheitert, kriecht die Dunkelheit von ihren Fingerspitzen an den Arm hinauf über ihren Körper, damit wird signalisiert, dass Senua nur eine endliche Zahl an Toden sterben kann. Dieser Thrill steigert umso mehr die Spannung in den Kämpfen, da man auch optisch an Senua selbst sieht, dass jeder weitere Tod der Letzte sein könnte.

Mit viel Liebe im nordischen Detail

Letztlich zeigt sich erneut, was geschieht, insofern ein kleineres Studio und keine 100-Mann Truppe ein Spiel realisiert: die Liebe zum Detail. Man spürt in jedem Pixel das Herzblut, dass Ninja Theory in ihr Projekt gesteckt hat. Ebenso, wie wichtig es den Entwicklern war, mit dem Spiel mehr als Spielspaß zu bewirken, sondern auf das ernste Thema von Psychosen in unserer Gesellschaft aufmerksam zu machen. Das Ganze wird gemixt mit einer starken, realitätsnahen Persönlichkeit, die offen ihre Schwächen zeigt und von einer Schauspielerin zum Leben erweckt wird, einem wunderbar düsteren, nordischen Setting, das zum Weinen schön ist, sowie einem brachialen Kampfsystem, das die Devise, weniger ist mehr, verfolgt.