Mighty No. 9 – Nostalgische Robo-Action im Test

Am 2. September 2013 wandte sich Keji Inafune mit seinem Kickstarter-Projekt Mighty No. 9 an die Öffentlichkeit und weckte damit die Hoffnungen sehr vieler alter Mega Man-Fans. Am Ende der Kampagne erreichte der Titel die respektable Summe von knapp vier Millionen Dollar. Für den einstigen Serienvater der Mega Man Spiele und seinen Traum vom geistigen Nachfolger des Blauen Bombers standen die Sterne also gut. Lange wurde es still um das Spiel und seit 2014 folgten regelmäßige Verschiebungen des Veröffentlichungstermins. Zuletzt haderte man bei Comcept über den Online-Code, der genaue Vergleiche der Bestenlisten wohl nicht korrekt erfasst habe. Jetzt fast drei Jahre später, halte ich die fertige Disc tatsächlich doch in den Händen und legte voller Vorfreude Hand an das kultige 2D Jump and Shoot-Abenteuer. Ob Beck alias Mighty No. 9 in die Robo-Fußstapfen von Mega Man treten kann, verrät euch der Test.

Von Gutenberg-Style

screenshots-Mighty-No.-9-09Inafune-San hat zumindest bereits mit der Geschichte wirklich Nerven bewiesen. Die Story aus der Kampagne bei Mighty No. 9 würde in einer Doktorarbeit wohl als Plagiat durchgehen, so unverschämt bedient sich die japanische Entwickler-Legende an seinem eigens kreierten Vorbild aus den Achtzigern. Mighty No. 9 heißt eigentlich Beck und ist einer von Neun hochentwickelten und fortschrittlichen Roboter-Helden. In einer fernen Zukunft werden durch einen unbekannten Virus-Angriff alle Roboter der Erde korrumpiert und sorgen für Zerstörung und Chaos. Becks Aufgabe ist es nun, seine acht Blechbüchsen-Kumpels wieder zur Besinnung zu bringen und die Verschwörung um den Angriff aufzudecken. Wer sich bereits auf dem NES mit Rock aka Mega Man durch sämtliche Stages geballert hat, dem wird die Story nun sehr bekannt vorkommen – ist sie quasi eine 1:1 Kopie mit anderen Namen. Nun gibt es natürlich schlimmeres als die Story bei einem Jump and Shoot Plattformer.

Rennen und schießen sollst du!

screenshots-Mighty-No.-9-10Wichtigstes Merkmal eines solchen Spiels sollte natürlich das Gameplay und das Leveldesign sein. Aufgrund der Vorgeschichte um Keji Inafune war ich gespannt auf die Level-Konstrukte, die er der Welt präsentieren will. Leider muss ich gestehen, dass ich hier vom fertigen Spiel enttäuscht wurde. Die Stages erreichen leider nicht das kreative Niveau der ursprünglichen Mega Man-Teile. Bei Mighty No. 9 steuert ihr Beck meistens von links nach rechts durch die Level und entledigt euch dabei zahlreicher feindlich gesinnter Roboter. Die Steuerung kommt sehr spartanisch aus und im Grunde benötigt ihr neben dem Digi-Kreuz zum Laufen nur die Sprung- und Feuertaste, sowie die Dash-Funktion. Das Leveldesign ist überraschend unkreativ und lässt wirkliche Höhepunkte wie zu NES- oder SNES-Zeiten vermissen. Wirklich schlecht sind die Stages nicht gestaltet, ich meckere hier auf hohem Niveau, da die Vorgänger die Speerspitze dieses Genres darstellen. Mighty No. 9 gelingt es halt nicht diese Messlatte zu überwinden, liefert dabei aber noch solides Leveldesign. Der Schwierigkeitsgrad schwankt dabei von leicht bis wirklich nervig. Teilweise vermiesen euch Trial and Error-Passagen die Laune, teilweise sorgt die nicht ganz saubere Steuerung für Frust. In jedem der Level sind ca. zwei Stellen, in denen ihr es mit elektrisierten Stachelfallen zu tun bekommen werdet, in die ihr auch ein paar Mal hinein laufen oder fallen werdet. Den Rest der meisten Stages stellt euch vor keine wirklichen Probleme. Euer Standard-Blaster beseitigt die meisten Gegner mit wenigen Schüssen bzw. bereitet sie auf die Assimilation vor.

Kombo-Punkte durch Absorption

screenshots-Mighty-No.-9-01Habt ihr einem Widersacher genügend Schaden zugefügt, ist er betäubt und blinkt auffällig. Nun ist es an der Zeit ihm per Dash-Angriff den letzten Stoß zu versetzen. Den Dash-Angriff kennen Mega Man-Fans natürlich bereits. Damals hatte er nur die Funktion schneller und agiler durch die Missionen zu rushen. In Mighty No. 9 dient der Dash dem Aufbau von Kombo-Punkten. Ist ein Gegner betäubt, müsst ihr schnell handeln: Dasht ihr sofort durch den Gegner hindurch, erhaltet ihr 100% Absorb-Power für euer Konto. Je länger ihr wartet, desto weniger Punkte erhaltet ihr. Diese Punkte gibt es in vier verschiedenen Farben, die euch bei ausreichendem Kombo-Zähler unterschiedliche Boni verpassen. Rote Energie verstärkt eure Waffe, gelb verbessert eure Panzerung und grün gibt euch einen Temposchub. Die blaue Energie scheint zunächst keine Auswirkungen auf Beck zu haben. Hinter den Kulissen füllt sie aber einen Reservetank, den ihr Benutzen dürft, sobald dieser vollständig geladen ist. Wieso Inafune bei dieser Neuinterpretation auf einen aufladbaren Blaster-Schuss verzichtet, muss und will ich gar nicht verstehen.

Vier Millionen Dollar Technik?

screenshots-Mighty-No.-9-06Allein über Kickstarter wurden dem Projekt knappe vier Millionen Dollar in die Budget-Kasse gespült. Das merkt man dem Spiel aber leider nicht an. Der Grafikstil ist schlicht gehalten und lässt wirkliche Liebe zum Detail irgendwie vermissen. Alles sieht dezent unsauber aus, die Hintergrund-Grafiken sind meist sehr starr und versäumen es den Spieler mit vielen passenden Knall –und Überraschungseffekte zu begeistern. Über das Charakterdesign lässt sich natürlich streiten. Den einen gefällt es ganz gut, die anderen rümpfen die Nase, was wohl auch für die Bossgegner gilt. Diese haben selbstverständlich auch die vergangenen Capcom-Ikonen zum Vorbild und sind strikt in Themen unterteilt. Pyro ist der Flammenboss, der fliegende Aviator ist Storm Eagle und die elektrisch geladene Robo-Lady Dyna scheint mit Elec Man verwandt zu sein. Nachdem ihr die Bosse besiegt habt, erhaltet ihr selbstverständlich auch wieder deren Spezial-Angriffe.

Und danach?

Über die Steuerung kann man nach einer Eingewöhnungsphase nicht mehr wirklich meckern. Nach ein bis zwei Level steuert ihr Beck präzise und schnell durch die feindlichen Robo-Scharen und geratet dabei kaum noch ins Stocken. Habt ihr die Kampagne erfolgreich beendet, könnt ihr euch an den zahlreichen zusätzlichen Herausforderungen versuchen. Diese haben es teilweise ganz schön in sich. In der Regel müsst ihr in einer vorgegebenen Zeit das Level-Ende erreichen. Mal habt ihr dabei keine Schusswaffe, mal müsst ihr per Dash über etliche Abgründe fliegen oder ihr müsst es schaffen einen Turm aus Dutzenden Haken nach oben zu erklimmen. Der eingangs erwähnte Online-Code bedarf scheinbar noch noch immer einiger Überarbeitung. Andere Spieler gegen die ihr in den Herausforderungen antreten könnt, findet ihr nämlich quasi nicht. Sollte es doch mal passieren und ihr einem menschlichen Widersacher gegenübertretet dürft, absolviert ihr kleinere Coop-Herausforderungen oder eifert in einem Duell “live” um die beste Zeit.

Fazit

Keji Inafune hat es leider verpasst den alten Geist seiner grandiosen Schöpfung Mega Man ins Jahr 2016 einzufangen. Weder das Charakter -noch das Leveldesign reichen an die alten Vorbilder heran. Hier sollte man als Käufer jedoch auch den Anspruch und die Erwartungen relativieren. Dass Mighty No. 9 nicht die Klasse der NES -oder SNES Mega Man-Teile erreicht, macht aus dem Titel noch lange kein schlechtes Spiel. Im Gegenteil: Fans der alten Spiele sollten sich die Anschaffung ruhig überlegen. Spielerisch bekommt man gleichwertigen Mega Man-Ersatz geliefert, deren primärer Dämpfer einzig aufgrund der hohen Erwartungen zustande kommt. Auch ich hatte wahnsinnig viel Hoffnung in Mighty No. 9 gesteckt und wurde am Ende auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Ohne die Ambitionen und den ständigen Vergleich mit dem Blauen Bomber, bleibt Mighty No. 9 aber auch ein passabler 2D-Baller-Plattformer der alten Schule, der darüber hinaus sehr viel Mega Man-Flair versprüht.

Mighty No. 9
Grafik/Präsentation
67
Story/Atmosphäre
70
Gameplay
69
Multiplayer
54
Spielspaß
69
Leserwertung1 Bewertung
95
66