Wasteland 2: Director’s Cut im Test für Xbox One

Vor gut zwei Wochen ist der neue RPG-Blockbuster Fallout 4 aus dem Hause Bethesda erschienen und schickt sich an, das Genre Rollenspiel in ihrem postapokalyptischen Setting auf die nächste Ebene zu pushen. Verfolgt man diverse Tests und Beiträge im Internet, so scheint dieses Vorhaben durchaus gelungen zu sein. Im Vorfeld dieses medialen Hypes haben inXile Entertainment und Deep Silver „Wasteland 2 – Director’s Cut“ schon fast still und heimlich für die aktuelle Konsolengeneration veröffentlicht (erhältlich seit dem 16.10.2015 für PS4 und Xbox One). Die PC-Version ist bereits seit über einem Jahr über STEAM oder auch als Retailversion erhältlich.

Auch Wasteland 2 spielt in einer postatomaren Welt voller Wahnsinn und mutierter Skurrilitäten, die euch das Leben im Ödland (ja, selbst diese Bezeichnung teilen sich die beiden Titel) schwer machen wollen. Doch hier enden schon die größten Gemeinsamkeiten. Auch, wenn sich beide Titel als Rollenspiel bezeichnen, so unterscheiden sie sich doch in puncto Gameplay umso mehr. Wie diese Unterschiede aussehen und ob sich der Ausflug in das „andere“ Ödland lohnt, klärt der nachstehende Test für euch.

Das Prinzip A-Team

Bevor wir uns jedoch ins Abenteuer stürzen können, gilt es erstmal in bester Rollenspielmanier ein Team aus vier Rangern zusammen zu stellen. Wir können jedem Charakter einzeln die Attribut- und Fähigkeitspunkte zuteilen oder aus einem Pool aus vorgefertigten Charakteren wählen. Wer sich für die erste Variante entscheidet und jeden Mitstreiter selbst erstellen möchte, dürfte sich für die nächste Stunde schon mal gut beschäftigt fühlen, denn die Anzahl an wählbaren Fähigkeiten ist sehr mannigfaltig. Rollenspielneulinge dürften sich hier bereits überfordert fühlen und Spieler mit einer gewissen Erfahrung im Segment der Rollenspiele werden so lange rumtüfteln, bis sie glauben ihre „ideale“ Gruppenkonstellation gefunden zu haben. Um mir diese Aufgabe etwas zu erleichtern, wählte ich eine Methode, wie ich sie in manchen Shadowrun- oder Cthulhu-Pen & Paper-Runden angewendet habe. Ich stelle mir eine Gruppe nach dem A-Team-Prinzip zusammen. Das A-Team (Schande über jene, die nicht wissen sollten, um wen es sich dabei handelt!) bestand aus vier ehemaligen Soldaten mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Charaktereigenschaften, welche sich jedoch im Team prima ergänzten. Da wären Hannibal, der Taktiker und Anführer der Gruppe, Face, ein charismatischer Ladykiller und Beschaffer diverser Ausrüstungen, Murdock, ein technikaffiner Pilot mit einem leichten Hang zum Wahnsinn und zu guter Letzt der Mann fürs Grobe in Gestalt von B.A Baracus.

screenshot-wasteland-2-01In Anlehnung an eine TV-Serie aus den Achtzigern erstellte ich mir also mein Team. Anführer meiner Gruppe sollte ein gewisser Van Buren werden. Van Buren ist im Umgang mit Sturmgewehren geübt und besitzt zudem Fähigkeiten im Bereich „Führung“ (verringert die Wahrscheinlichkeit, dass angeschlossene NPC Befehle verweigern oder auf eigene Faust agieren) und „Sanitäter“ (kann Mitglieder der Gruppe heilen). An dieser Stelle seien die im Vergleich zur PC-Version neuen, sogenannten Psychoprofile (Quirks) erwähnt, mit denen man seine Figuren noch ein Stück weiter individualisieren kann. Van Buren gab ich das Profil des „Asketen“, welches ihm zusätzliche 5 Skillpunkte und einen Attributpunkt geben. Als Nachteil führt er jedoch ein enthaltsames Leben und kann somit keine Talismane oder ähnliches tragen. screenshot-wasteland-2-09-jpg

Der „Face“ meiner Gruppe wurde weiblich und hört auf den Namen Rose. Rose ist die Diplomatin und Verhandlungs-Spezialistin des Teams. Die Attributleiste „Charisma“ wurde bei ihr daher auch direkt zu Beginn bis zum Anschlag (maximal 10) gefüllt. Als Fähigkeiten erhielt sie die Dialogoptionen „Arschkriecher“ und „Klugscheißer“. Zudem sollte sie jeden Händler mit der Fähigkeit „Feilschen“ über den Tisch ziehen können. Falls Worte als Waffe mal nicht ausreichen sollten, kann sie sich immer noch mit Handfeuerwaffen zur Wehr setzen. Ihr verpasste ich den Quirk „Spätzünder“. Bis Level 10 erhält sie zwar einen Skillpunkt weniger, doch ab Level 11 dafür einen mehr. Vor allem im Lategame eine sicherlich nützliche Fähigkeit. screenshot-wasteland-2-08-jpg

Der Techniker und Wissenschaftler meiner Gruppe wurde der überdurchschnittlich intelligente Alexei (Intelligenzstufe: 10). Alexei ist unglaublich technikaffin und kann die meisten Computernetzwerke („Computerwissenschaft“) und Alarmanlagen („Alarm entschärfen“) problemlos hacken. Zusätzlich ist er der „Chirurg“ des Teams (kann bewusstlose Kammeraden heilen) und benutzt futuristische „Energiewaffen“ zur Verteidigung. Aufgrund seiner hohen Intelligenz lernt Alexei auch schneller als seine Kollegen, was sich beim Levelaufstieg in einer wesentlich höheren Anzahl von Skillpunkten wiederspiegelt. Vorhandene Skillleisten weiter aufzuleveln oder neue nützliche Fähigkeiten wie „Schlösser knacken“ (auch sehr wichtig) können somit schneller die Gruppe bereichern. Um das Klischee des verrückten Wissenschaftlers zu vervollständigen, wählte ich den Quirk „Psychopath“. Diese Fähigkeit erhöht den Grundschaden Kritischer Treffer, verringert jedoch auch deren Grundwahrscheinlichkeit auf Treffer per se.

Als letztes fehlte mir nun noch meine freie Interpretation des B.A.. Dieser Sollte in Gestalt des übergroßen Indianers Turok auftreten. Turok ist überdurchschnittlich stark (8 Attributpunkte) und kann somit auch mehr Gegenstände als seine Kameraden tragen. Er ist im Umgang mit „schweren Waffen“ geübt und kann auch im Nahkampf mit „stumpfen Waffen“ ordentlich Schaden austeilen. Zudem verfügt er über die Fähigkeit „brachiale Gewalt”, was ihm dabei hilft, verschlossene Truhen, Türen oder gar Mauern einfach aufzubrechen beziehungsweise zu durchbrechen. Um seine Herkunft etwas widerzuspiegeln, gab ich meinem Kampfindianer noch ein paar Punkte auf die Fähigkeit „Naturbursche“. Diese Fähigkeit erhöht die Wahrscheinlichkeit, auf der Weltkarte Oasen zu finden oder Gegnerkonfrontationen aus dem Weg zu gehen. Als Quirk wählte ich screenshot-wasteland-2-06-jpgletztlich „dickhäutig“, was Turok zwar noch widerstandsfähiger macht, jedoch auch etwas langsamer in seiner Angriffsgeschwindigkeit.

Anhand der ausführlichen Beschreibung zeigt sich also schon, das sich mit etwas Geduld, Inspiration und Fantasie individuelle Ranger-Squads entwickeln, die einem mit der Zeit sehr an Herz wachsen können. Umso ärgerlicher ist es dann, dass die Profilbilderauswahl für die Charaktere sehr begrenzt ist. Zudem haben die meisten Attribute kaum Auswirkungen auf Fähigkeiten. So musste ich zum Beispiel entsetzt feststellen, dass ein hoher Charismawert ausschließlich Vorteile im Kampf bringt, Skills wie „Arschkriecher“ jedoch nicht die Grundwahrscheinlichkeit auf einen Dialogerfolg erhöhen. Auch eine hohe Stärke hilft nicht beim Benutzen der Fähigkeit „Brachiale Gewalt“ weiter. Hier hätte ich mir persönlich etwas mehr Einfluss der Attribute auf die erlernten Fähigkeiten gewünscht. Nach also nicht einmal 90 Minuten ist mein Squad schon fertig und bereit, das Ödland zu bereisen.

Außen Pfui innen Hui

Gespielt wird Wasteland 2 in einer klassisch isometrischen Sicht, in der ihr euren Ranger Squad, bestehend aus den vier eigenen Teammitgliedern und maximal bis zu drei weitere NPCs befehligt. PC-Rollenspieler älteren Semesters werden sich bei diesem Anblick schnell an Klassiker wie Baldur’s Gate oder Planescape Torment erinnern und seufzend eine Nostalgieträne aus dem Auge wischen.

screenshot-wasteland-2-11-jpgDie Grafik von Wasteland 2, seien es seine Figuren oder die Umgebung, ist zweckmäßig gut und hat auf Grund seines skurrilen Stils und Settings durchaus einiges an Schauwerten. Große Wow-Momente werden jedoch eher ausbleiben. Schon auf dem PC gewann Wasteland 2 keine Schönheitspreise und dies gilt ebenso für die Konsolenfassung. Auch die Weltkarte, über die man im Stile eines Final Fantasy von Ort zu Ort wandert wirkt selbst im Vergleich zu seeligen PS2-Zeiten detailarm und etwas zu spartanisch. Zudem ist die Kameraführung mit Pad etwas umständlich. Zwar kann man zwischen 3 Kameraführungen jederzeit wählen, wirklich zufriedenstellend ist jedoch keine. Auch die Schriftgröße kommt selbst auf großflächigen HD-Fernsehern etwas mickrig rüber, was das Lesen der Texte mitunter etwas anstrengend macht, zumal auch nicht alle Textinhalte des Spiels vertont sind. Es empfiehlt sich, hier die Schriftgröße im Menü direkt auf Maximal einzustellen.

Zu allem Überfluss ist die Menüsteuerung und das Verwalten von Gegenständen unter den Teammitgliedern ein Graus. Während in der PC Version ein Befehl wie „heile Charakter A mit Gegenstand B von Charakter C“ mit wenigen Mausklicks erledigt wird, ist der gleiche Befehl an Fummligkeit und Umständlichkeit mit dem Pad kaum zu überbieten. Hier stößt selbst ein Elitecontroller an die Grenzen seiner Möglichkeiten.

Die Stärken von Wasteland 2 liegen ganz klar in der Erzählung und Inszenierung der Geschichte und ihrer Welt. Das Abenteuer startet im Vergleich zu großen Spieleblockbustern relativ unspektakulär. Es gilt, den Tod eines gefallenen Kameraden aufzuklären und seinen Mörder zur Rechenschaft zu ziehen. Nach Abschluss des Auftrages verspricht uns der charismatische Anführer, der Ranger General Vargas, uns als vollständige Mitglieder in die Zitadelle aufzunehmen. Schon im ersten Gespräch zückt meine Verbalkriegerin Rose ihr Mundwerk und versucht sich mittels „Arschkriecher“ einen vorzeitigen Eintritt zu verschaffen. Vargas lacht darüber zwar nur, aber schätzt durchaus den Versuch sich, die Mitgliedschaft zu ersprechen. Das verschafft meiner Gruppe zwar noch keinen Zutritt, belohnt sie aber dafür mit einer guten Portion XP.

Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert

screenshot-Wasteland-2-04-jpgEs sind eben genau solche Situationen, die ein Rollenspielherz höherschlagen lassen. Je mehr Möglichkeiten mir geboten werden, Aufgaben zu erledigen, umso freier fühle ich mich in einer Welt und desto größer wird in mir das Gefühl, hier mit meinen Entscheidungen etwas bewegen zu können. Zahle ich brav die Zollgebühren, die der halsabschneiderische Ödlandpunk von mir verlangt oder soll ich doch lieber mit meinem Sturmgewehr für klare Verhältnisse sorgen, schleiche ich mich vielleicht drum herum oder schleime ich mich ein? Ihr entscheidet! Zudem haben spätere Entscheidungen auch weitreichende Einflüsse auf den Ausgang einer Mission oder den Spielverlauf, da sich die Konsequenzen manchmal nur erahnen lassen.

Ein Hauch von XCOM

Sollte es trotz aller verbaler Bemühungen und Schleichskills doch mal zum bewaffneten Konflikt kommen, wechselt das Spiel in den Kampfmodus. Kämpfe laufen auf einer taktischen Karte rundenbasiert ab. Beginnen darf immer die Figur (egal ob Freund oder Feind) mit dem höchsten Initiativenwert. Jede der Figuren hat eine bestimmte Anzahl an Aktionspunkten, die wahlweise für Bewegung, Angriff oder andere Manöver ausgegeben werden können. Die Trefferwahrscheinlichkeit hängt von den Fähigkeiten eures Charakters, Art der Waffe und Entfernung zum Ziel ab. Zudem hat auch die Umgebung wie Höhenunterschiede und Deckung Einfluss auf die Trefferwahrscheinlichkeit und den potentiellen Schaden. Das alles erinnert in seinen Ansätzen stark an das grandiose XCOM, ohne jedoch dessen Klasse und Tiefgang zu erreichen. screenshot-wasteland-2-05-jpgKlar setzen die beiden Spiele unterschiedliche Schwerpunkte, jedoch hätte das Kampfsystem in Wasteland 2 durchaus noch etwas Feintuning vertragen können, wobei auch hier wieder die Steuerung mit Controller negativ erwähnt werden muss. Neu in der Konsolenfassung ist übrigens das Anvisieren bestimmter Körperregionen, welche bei erfolgreichen Treffern zusätzliche Mali auf Trefferwahrscheinlichkeit, Initiative usw. haben können. Fallout lässt an dieser Stelle wieder herzlich grüßen.

Die Kämpfe laufen mitunter recht blutig ab, ein kritischer Treffer kann da schon mal Köpfe zum Platzen bringen oder es jemanden buchstäblich die Beine unterm Boden weghauen. Das alles sieht jedoch „dank“ der grafischen Limitation schon eher comichaft abstrakt aus, so dass die dargestellte Gewalt höchstens bis Ende der Neunziger die Sittenwächter der USK noch in Unruhe gebracht hätte. Heute ist diese Art der Gewalt höchstens noch eine „USK 16“-Plakette wert.

Fazit

Wasteland 2 ist in erster Linie ein klassisches Rollenspiel alter Schule. Das zeigt sich vor allem im Erstellen der Charaktere und den Entscheidungsmöglichkeiten, die das Spiel mir geboten hat. Selbst, wenn ich mal eine Tür noch nicht öffnen oder eine Waffe nicht richtig benutzten kann, so weiß ich doch, dass der nächste Levelaufstieg neue Möglichkeiten bieten wird. Es macht einfach Spaß, die vielen Wege auszuprobieren und den vielen spannenden Geschichten, die mir das Ödland bietet, zu lauschen oder besser gesagt zu lesen (trotz einiger derber Text- und Übersetzungsfehler). Die Kämpfe sind unspektakulär inszeniert, halten aber aufgrund vieler taktischer Finessen bei Laune und sorgen mitunter auch für Abwechslung.

Doch der Einstieg ist denkbar holprig. Die Grafik ist nicht furchtbar, reißt aber auch niemanden mehr vom Hocker. Vor allem im Figuren- und Gegnerdesign hätte ich mir etwas mehr Details gewünscht. Das Skill- und Levelsystem erschlägt einen erstmal und wird auch nur unzureichend erklärt. Hier muss man sich besonders als Neuling erstmal richtig reinknien. Auch die mangelnde Vertonung vieler Dialoge wird den verwöhnten Neuzeitspieler erstmal abschrecken. Für Lesemuffel ist Wasteland 2 eher ungeeignet. Doch hat man all diese Punkte erstmal überwunden oder zumindest akzeptiert, so öffnet sich dem Spieler ein Abenteuer, das ihn für gut 50 Stunden beschäftigen wird. Nachhaltig negativ fällt nur die Controllersteuerung ins Gewicht. Klar gewöhnt man sich auch daran mit der Zeit, doch wirklich schneller oder leichter fallen die Befehlsketten dadurch nicht.

Pöbelnde Rollenspielpuristen, die einem klassischem Fallout hinterher weinen, sollten Wasteland 2 auf jeden Fall mal eine Chance geben. Die Reise ins „andere“ Ödland ist mitunter müßig, aber auf jeden Fall lohnenswert.

Wasteland 2: Director's Cut
Grafik/Präsentation
76
Story/Atmosphäre
90
Gameplay
70
Spielspaß
90
Leserwertung0 Bewertungen
0
82