Tales of Berseria im Test – Ein dämonisches JRPG über Rache und Vergeltung

Na, da habe ich mir ja was Schönes eingebrockt. Einmal ein „leichtes Interesse“ für ein durchaus interessant dreinschauendes JRPG geäußert und schon bin ich als glücklicher Tester für den neusten Teil der Tales-of-Saga auserkoren worden. Das ist zunächst einmal nichts Schlechtes, doch muss ich zu meiner Schande gestehen, dass die langjährige Rollenspielreihe aus dem Hause Bandai Namco bisher komplett an meiner Zockerkarriere vorbei ging. Ich bin also weder mit den Vorgängern der Reihe vertraut, noch könnte ich irgendwelche Spielmechaniken oder Plots früherer Serienteile zum Vergleich ziehen. Allerdings bietet mir diese Tatsache auch die Möglichkeit, das Spiel höchst unbefangen und unvoreingenommen testen. Zudem ist mein Interesse an JRPGs seit dem gelungenen Final Fantasy XV durchaus wieder gestiegen und hey, im Idealfall schafft es Tales of Berseria ja vielleicht mich so sehr zu überzeugen, dass ich Lust auf die Vorgänger bekomme.

Mein ist die Rache

Im 16. Teil der Tales-of-Reihe dreht sich die Geschichte um die junge Protagonistin Velvet Crowe. Vor zehn Jahren musste sie miterleben, wie während der scharlachroten Nacht Menschen in Dämonen verwandelt wurden. Dabei verlor sie sowohl ihre Eltern als auch ihre große Schwester. Nur sie und ihr kleiner Bruder Laphicet überlebten. Ihr Schwager Arthur, seines Zeichens Exorzist, nahm die beiden bei sich zu Hause auf. Als sei dies noch nicht genug an traumatischen Erlebnissen muss Velvet während einer weiteren blutroten Nacht mit ansehen, wie ihr eigener Schwager ihren Bruder als Menschenopfer darbietet. Während ihres kläglichen Rettungsversuches wird sie mit einem Fluch belegt, durch den sie nicht nur einen Teil ihrer Menschlichkeit einbüßt, sondern zudem noch ihre linke Hand in eine dämonenbesessene Klaue verwandelt. Um das Martyrium abzurunden, wurde sie von der Gefolgschaft Arthurs drei Jahre lang in einen Kerker geworfen, wo sie sich von Dämonenfleisch ernähren muss, bis sie eines Tages aus zunächst unerklärlichen Gründen befreit wird.

Nachdem unserer Protagonistin die Flucht aus dem Gefängnis gelingt, muss sie feststellen, dass ihre bekannte Welt, so wie sie sie einst kannte, sich sehr verändert hat. Arthur wurde mittlerweile zum Retter der Welt auserkoren und Mischwesen wie Velvet werden von den Menschen verachtet, als auch von Dämonen gejagt. Das einst liebevolle und fürsorgliche Mädchen sieht sich nun also einer ihr feindlich gesinnten Welt gegenüber, in der es für beide Seiten keine Chance auf Versöhnung zu geben scheint.

Ein Käfig voller Außenseiter

Trotz Velvets wuterfüllten Art trifft sie im Verlauf des Spiels auf einige Gefährten, die ebenfalls an den gesellschaftlichen Rand gedrückt wurden. Auf ihrer Flucht aus dem Gefängnis lernt sie zum Beispiel die Hexe Magilou kennen, die mit ihrer sarkastisch, lasziven Art ein wenig an Harley Quinn erinnert. Dann wäre da noch Rokurou, der eine besondere Beziehung zu seinem Schwert pflegt, ein Exorzist der Malakhim, der Ähnlichkeiten zu Velvets verstorbenen Bruder aufweist und noch weitere Halbdämonen und Gesetzlose.

Klar, dass es bei einer solch vielschichtigen Truppe auch das ein oder andere Mal zu Reibereien und Konflikten kommt mit teils dramatischen Folgen für den Geschichtsverlauf. Hin und wieder findet sich jedoch auch etwas Humor wieder, der dem eher düsteren Grundton eine heitere Note vermittelt. Die Gruppengespräche sind während des Spielverlaufs meist optional wählbar und werden durch die teilanimierten Portraits der Figuren dargestellt. Die meisten Gespräche sind im guten Englisch vollvertont und dank deutscher Untertitel auch für jeden Spieler, der des Lesens mächtig ist, verständlich. Wer noch etwas mehr Manga-Flair aufkommen lassen möchte, kann auch auf die japanische Originalsynchronisation zurückgreifen. Tatsächlich empfand ich während meiner Reise die Gespräche weniger nervend und störend als angenommen. Um die Geschichte in vollen Zügen zu genießen, sollte man allerdings schon einige Anime- und Manga-Klischees in Kauf nehmen können.

Live und direkt

Tales of Berseria bietet, im Gegensatz zu vielen anderen JRPGs, Kämpfe in Echtzeit. Die Gegner sind jederzeit auf der Welt sichtbar, verfolgen die Heldentruppe bisweilen aber auch oder greifen plötzlich an. Berühren wir einen Gegnertypen, wechseln wir in den Arena-Modus. Hier können wir jederzeit zwischen vier Partymitgliedern wählen und Attacken ausführen, während die nicht angewählten Mitglieder nach automatischen Angriffsmustern agieren. Dank einer Pause-Option sind auch direkte Befehle an unsere KI-Recken möglich. Wie viel Kampfmanöver wir ausführen können, hängt von unseren Seelengrad ab. Dieser dient als eine Art Energieleiste, die uns anzeigt, wie viel Attacken möglich sind, so benötigen logischerweise aufwendigere und stärkere Attacken mehr Seelenenergie. Führen wir erfolgreiche Kombis aus, können wir einen Teil unserer Energieleiste wieder auffüllen und unsere Angriffskombinationen weiter fortführen. Werden wir getroffen oder patzen beim Ausführen der Kombis, sinkt die Anzahl unserer Seelenenergie irgendwann auf null. Zwar regeneriert sich diese Anzeige wieder, jedoch setzen uns Treffer in diesen Zeitraum mehr zu als mit einer gefüllten Energieleiste.

Der Schlüssel für einen erfolgreichen Kampf liegt also in der perfekten Kombination aus Angriffen und Blocktechniken, um seine Seelenanzeige immer möglichst gefüllt zu halten. Gerade bei Bossen zeigt sich das Kampfsystem als angenehm taktisch und abwechslungsreich.

Tatsächlich ist es auch möglich, sich mit bis zu vier Spielern gleichzeitig auf Velvets Rachefeldzug zu begeben, wobei sich der Multiplayer-Part immer einzig auf die Kämpfe beschränkt. Während der restlichen Zeit müssen sich also drei Mitspieler in der Rolle des Zuschauers zufrieden geben.

Es geht auch schöner

Die Geschichte von Tales of Berseria läuft recht linear ab. Auch größere Areale sind meist eher schlauchig, bieten durch geschickte Verzweigungen oder Umwege trotzdem noch ausreichend Erkundungswerte. Leider sieht die Optik trotz vieler abwechslungsreicher Schauplätze recht karg und steril aus. Texturen und Bewegungsanimationen wirken zum Teil sehr betagt und auch einige Objekte, die ins Bild ploppen, trüben die ansonsten recht stimmige Optik. Selbst die hervorragend animierten Zwischensequenzen litten unter gelegentlichen Rucklern. Zumindest die Bildrate blieb auch bei größeren Gefechten stabil, was allerdings auch an der betagten Engine liegen dürfte. Soundtechnisch präsentiert sich Tales of Berseria auf einem guten Niveau. Die Kampf- und Nebengeräusche sind stimmig und klangvoll. Die Musikstücke reichen von trällernder Stadtmusik bis hin zu rockigen Kampftracks, die bisweilen sogar recht stimmig und eingängig sind. Für die epochale Wucht eines Final Fantasys reicht es jedoch nicht ganz.

Fazit

Nun habe ich also auch endlich meine erste Erfahrung mit einem Spiel der Tales-Reihe gemacht. Das Ergebnis hat mich durchaus beeindruckt. Die Geschichte rund um Velvets persönliche Vendetta gegen ihren Schwager ist gerade zu Beginn packend und hoch emotional inszeniert. Man kann den Schmerz und die Wut in ihr quasi spüren, was ihre Motive sowie Entscheidungen während des geschichtlichen Verlaufs durchaus nachvollziehbar macht. Dank ihrer durchwachsenen und sympathischen Begleiter verliert sich das Spiel aber nie völlig im Wutrausch, sondern lässt auch noch genug Platz für lustige und heitere Momente in einem Spiel mit solch düsterer Hauptthematik. Sicher, die Autoren dieser Gespräche können gerade Leuten mit wenig Affinität zum Anime- und Manga-Genre, gehörig auf den Keks gehen, doch arten diese Dialoge unter den Protagonisten nie in völliges Fremdschämen aus. Besonders angetan war ich von dem vielseitigen und abwechslungsreichen Kampfsystem, das an seiner Oberfläche leicht zu verstehen ist, in seiner Tiefe jedoch genug Potential für vielseitige Taktikmanöver und individuelle Kampfvorlieben hat. Gerade das freie Wechseln zwischen den Charakteren während des Kampfes oder das Erteilen direkter Befehle waren Optionen, die ich in Final Fantasy XV schmerzlich vermisst hatte. Tales of Berseria zeigt hier auf jeden Fall, wie man es besser machen kann. Leider wird die Freude trotz der spannende Geschichte sowie des motivierende Kampfsystems durch die betagte Technik etwas ausgebremst. Zwar wirken die einzelnen Städte und Landschaften genug optische Abwechslung, doch leider wirken Texturen und Animationen wie Relikte aus vergangenen PS3-Zeiten. Das stört nicht dauernd, nur merkte ich leider doch wieder, wie schnell man sich an die pompöse Optik eines Final Fantasys gewöhnt hat und sie als Maßstab nimmt.  Trotz der angestaubten Technik bietet Tales of Berseria viele Stunden feinste Rollenspielkost aus Fernost. Wer also nach Squares neustem Rollenspielstreich immer noch nicht genug oder vielleicht gerade wieder Lust auf JRPGs bekommen hat, wird mit dem neusten Tales-Ableger auf jeden Fall sehr glücklich werden.

Tales of Berseria
Grafik/Präsentation
75
Story/Atmosphäre
85
Gameplay
80
Spielspaß
80
Leserwertung0 Bewertungen
0
80