Firewatch – Rauchmelder im Test

Henry hat es schwer. Gerade mal Anfang 40 ist seine Frau an Demenz erkrankt. Eigentlich hatten die Zwei ein gutes Leben, nachdem sie sich in einer Bar kennengelernt hatten. Den Familienhund gab es auch schon früh. Die Familienplanung haben die beiden wegen Julias Karriere allerdings immer ein wenig vor sich her geschoben, bis plötzlich und völlig unerwartet das große Vergessen einsetzte. Mit der Situation letztlich völlig überfordert, auch wenn er sein Bestes gegeben hat, sucht Henry nun einen neuen Job und unbewusst Abstand.

Was bietet sich mehr an, als über den Sommer einen Job als Brandwächter im Shoshone National Forest zu haben? Ruhe, wandern, nachdenken, da kann ja nix passieren oder?

firewatch-5Campo Santos Firewatch spielt 1989, ein Jahr nach dem großen Brand, im Yollowstone Nationalpark. Der Shoshone National Forest liegt praktisch direkt nebenan. Brände sind für Wälder wichtig. Zu der überraschenden Erkenntnis kommt man Ende der 60er Jahre und geht allmählich dazu über, Waldbrände lokal und kontrolliert auch brennen zu lassen. 1988 geraten diese Brände im Yellowstone, dank anhaltender Trockenheit und aufkommender Winde, allerdings außer Kontrolle. Auch wenn es für das Ökosystem letzten Endes gar nicht so wild war, gingen große Teile des Waldes in Rauch auf. Vor dem Hintergrund, von dem Henry aber erstaunlich wenig Ahnung hat, machen wir uns vom geparkten Pickup auf und gehen zu unserem Aussichtsturm. Kaum dort angekommen, werden wir von unserer Vorgesetzten Delilah kontaktiert, die neben Löcher in den Bauch fragen, ziemlich schnell durch ihren sarkastischen Humor und einen Hang zum Flirten auffällt. Für die nächsten Spielstunden wird sie per Walkie Talkie unser ständiger Begleiter werden.

Am ersten Tag nach der Ankunft weist uns Delilah mitten in einem Funkgespräch darauf hin, dass irgendwer mit Feuerwerkskörpern hantiert. Übeltäter sind zwei betrunkene Teenagerinnen, die nackt im See gebadet haben und auf einer kleinen Insel Abstand zu Henry wahren. Wütend über dessen unerwarteten Besuch, beschimpfen die beiden Mädels ihn als perversen Lustmolch und dergleichen.

Dank ungeplantem Umweg kommen wir erst spät zu unserem Wachturm zurück, entdecken jemanden der von dort flüchtet und müssen feststellen, dass die Bettlaken geklaut, eine Scheibe eingeschlagen und alles durcheinander ist. Waren das die beiden Mädels oder ist hier noch jemand unterwegs?

Einige Zeit später finden wir das Zelt der Mädchen verwüstet. firewatch-3Die beiden sind anscheinend aus dem Wald abgehauen und gelten als vermisst. Für Henry und Delilah stellt sich die Frage, was hier eigentlich passiert ist, erst recht nachdem immer seltsamere Dinge geschehen sind.

Firewatch mischt Walking Simulator mit Dialogsystem. Hier merkt man übrigens auch ziemlich schnell, dass die Hauptverantwortlichen von Telltale kommen. Gerade das Dialogsystem erinnert deutlich an Telltales Adventures. Wichtigster Gesprächspartner dabei ist Delilah. Auf andere Menschen treffen wir über weite Teile des Spiels nicht. Das schafft bei aller Bewegungsfreiheit einerseits ein intimes Verhältnis zwischen uns als Henry und unserem Gesprächspartner, andererseits fühlt man sich teils wirklich isoliert. Das gilt besonders dann, wenn man mal keinen Kontakt zu Delilah haben sollte.

Der Clou bei den Gesprächen: Auf dem Weg zum Feuerturm darf man in einer Retrospektive über Henrys und Julias Leben entscheiden. So banal die Auswahl Beagle oder Schäferhund dabei ist, hat sie Auswirkungen auf Henrys Leben und damit auch auf unsere Unterhaltungen mit Delilah.

Allgemein ist der Funkverkehr letztlich auch das wichtigste interaktive Element. Flirten wir vielleicht zurück, sind wir abweisend, witzig oder doch eher ernst? Ewig viel Zeit für Antworten haben wir übrigens nicht. Geht man gar nicht auf das Auswahlmenü, antwortet Henry auch schlicht nicht.

firewatch-8Sieht man davon ab, bleibt Firewatch für einen Walking Simulator dennoch relativ interaktiv. Zwar sind viele Wege am Anfang versperrt und lassen sich erst mit Kletterseilen oder Feueraxt freischalten, aber dennoch kann Henry hier klettern, dort rüber laufen und da springen. Genauso finden sich reichlich Objekte, die man untersuchen oder auch einsammeln kann. Lassen wir gefundene Bierdosen liegen oder sammeln sie ein? Behalten wir eine Schildkröte als Haustier samt stilsicherem Namen oder lassen wir die Flasche Whisky einfach stehen? Ironischerweise liegen Licht und Schatten hier eng beieinander. Gerade weil Firewatch ein gewisses Maß an Interaktivität bietet, fällt hier auch auf, wie wenig das meist bringt. Es macht z. B. keinen echten Unterschied, ob man den Hochprozentigen nun einsammelt oder nicht. Auch die lustige Schildkröte ist letztlich nur ein netter Gag samt zwei Dialog Fußnoten. Das gleiche gilt für Henry. Warum kann er über den einen Baumstamm hüpfen und der andere stellt ein unüberwindliches Hindernis dar? Sicher gibt es Ego Abenteuer, die in den Punkten noch deutlich weniger bieten. Die mögliche Interaktion bei Firewatch lässt die unmögliche aber mehr vermissen. Das ein oder andere echte Rätsel wäre z. B. genauso nett gewesen, wie eine ‘richtige’ Sprungfunktion, statt nur über ausgewiesene Hindernisse zu hüpfen.

firewatch-15Ein weiteres Problem bei Firewatch kann unter Umständen Henrys Lauftempo werden. Der Gute ist für einen übergewichtigen Mittvierziger zwar immer noch ziemlich fit, im Vergleich mit einem Spartan oder gar einem Space Marine aber eher im Schneckentempo unterwegs. Und die Laufwege im Shoshone Forest können manchmal lang sein. Praktischerweise wird diese Zeit meist auch mit Dialogen zwischen Henry und Delilah verbracht. Und wenn nicht bietet der Nationalforst einfach eine fantastische Aussicht zum Genießen.

Die Entwickler haben auch an die kleinen Dinge gedacht. Wer nach unten schaut, stellt fest, dass Henrys Bauch noch flach genug ist, um die eigenen Füße zu sehen, auch wenn flach nicht wirklich das passende Adjektiv ist. Unsere Egosicht ist durch die Bank weg gut animiert. Der Grafikstil, der an Nationalpark Poster der New Deal Ära angelehnt ist, kann nicht zuletzt durch fantastische Lichtstimmungen überzeugen. So kann ein und derselbe Canyon zum Sonnenuntergang hin völlig anders aussehen als in der Mittagszeit. Auch kriecht mal Bodennebel zwischen den Bäumen hervor, ein andermal ist es völlig klar. Zusammen mit der abwechslungsreichen Umgebung, die über Wald- und Wiesenlandschaft und Canyon bis zum planmäßig abgebrannten und wieder grün werdenden Areal reicht, wird die Brandwacht visuell nie langweilig.

Einziger Wermutstropfen, wie bereits die Playstation 4 Fassung, nimmt sich auch die Xbox One Version gerne mal einen sekundenbruchteil Gedenkpause.

Sfirewatch-13oundseitig leistet sich Firewatch keinerlei Schwächen. Gerade die Dialoge zwischen Henry und Delilah sind absolut gelungen. Die Umgebung ist, wenig überraschend, ruhig aber stimmig inszeniert. Vor allem aber passt die Musik und deren Einsatz wie die Faust aufs Auge. Gerne mal ein wenig zwischen melancholisch und traurig schwankend, dominieren Klavier und Gitarre die Instrumentierung. Kann man sich mit den kleinen technischen Mängeln arrangieren, schafft Firewatch ein großartiges audiovisuelles Erlebnis zu zeichnen.

Eines sollte im Voraus klar sein, Firewatch bleibt am Ende spielerisch ähnlich simpel, wie die meisten Genrevertreter. Damit bleibt auch ein wenig Potenzial verschenkt, denn mit ein paar echten kleinen Rätseln und etwas mehr Bewegungsfreiheit hätte Firewatch noch besser werden können. Dennoch schaffen Campo Santo es, ein gelungenes Gesamtbild abzuliefern, weil audiovisuelle Erfahrung und Storytelling hier Hand in Hand gehen. Letzteres ist dabei sicher noch für Diskussionen gut. Die Auflösung der Story wird nicht jedem gefallen. Ich fand sie sehr gelungen, weil es eben nicht wieder genau das ist, was so viele andere Spiele bieten. Auch die vermeintlich banalen Wahlmöglichkeiten, insbesondere zu Anfang des Spiels, sind etwas besonderes. Gerade weil es die Kleinigkeiten sind, die über den Lauf der Dinge mitentscheiden. Wer es sehr eilig hat, ist vielleicht nach ca. drei Stunden durch. Für die meisten dürfte Firewatch aber eher um die sechs Stunden dauern. Und die Zeit sollte man sich auch nehmen.

Fazit

Ganz ehrlich: Ich bin kein allzu großer Freund von Walking Simulatoren. Nicht gerade selten bieten sie einfach wenig Spielraum. Campo Santos Erstling bietet bei aller Interaktion hier keine echte Ausnahme. Nennenswerte Rätsel sind Fehlanzeige. Trotzdem konnte Firewatch mich begeistern. Das liegt zum einen am großartigen Zusammenspiel von Grafik, Sound und Dialogen, zum anderen aber auch an der über weite Teile recht intimen, ruhigen und meist so gar nicht mitreissenden Handlung.

Firewatch
Grafik/Präsentation
85
Story/Atmosphäre
89
Gameplay
72
Spielspaß
83
Leserwertung0 Bewertungen
0
82