Faith no more? – Mirrors Edge Catalyst im Test

Wenn man nach Spielen fragt, die im First Person Bereich Einfluss hatten, dann fallen ganz sicher Namen wie Doom, Quake oder Half Life. Wahrscheinlich wird auch irgendwer Halo sagen, vielleicht sogar Call of Duty. Ein Name der wohl eher nicht fallen wird ist dagegen Mirror’s Edge. Vielleicht liegt es daran, dass ballern hier bestenfalls Nebensache war. Kein Wunder bei Achievements wie ‘Pazifist’. Einfluss auf andere First Person Spiele hatte Mirror’s Edge aber dennoch massiv. So gehört ein schicker Slide heutzutage ebenso zur Grundausstattung eines Egohelden, wie sich an Kanten hochzuziehen. Elegant über hüfthohe Hindernisse flanken kann er sowieso. Nicht selten gibt’s coolere Nahkampfmoves als früher und der ein oder andere kann mittlerweile sogar einen Wallrun. Von immersiver animierter Egosicht mal ganz zu schweigen. Dennoch, frei von Kritik war Faith’s erstes Abenteuer keineswegs. Das soll Mirror’s Edge Catalyst nun alles besser machen.

Alles neu

Mirror's-Edge-Catalyst (0)Für Catalyst hat sich DICE entschieden, die komplette Mirror’s Edge Story auf Null zu setzen. Überraschend kommt das nicht wirklich, war die Handlung doch einer der Hauptkritikpunkte am Vorgänger. So richtig abnabeln will sich die Fortsetzung dennoch nicht, viele Elemente kommen Kennern im Ansatz oder auch verfremdet bekannt vor. Andere wurden mehr oder minder abgewandelt wiederverwendet. Zwei kleine Beispiele? Aus Pirandello Kruger Security wird KrugerSec während Project Icarus seinen Status aberkannt bekam und zum Runner und Nervensäge degradiert wurde. Auch wenn vieles jetzt in einem völlig anderen Kontext steht, Mirror’s Edge Fans dürfte vieles vertraut vorkommen.

KrugerSec ist dann auch der Bertreiber der Haftanstalt, aus der wir zu Spielbeginn entlassen werden. Ein Runnerkollege fängt uns praktischerweise ab, entledigt uns eines Überwachungsarmbandes und verpasst uns direkt einen ‘Beat’ der unter anderem als Erklärung für die Runner Vision und die Kennzeichnung interaktiver Elemente herhalten darf. Damit geht auch schon die erste Storymission los, unsere Flucht aus der Komplettüberwachung wurde bemerkt und wir müssen schnellstmöglich die Beine in die Hand nehmen. Der erste Spielabschnitt dient dabei gleichzeitig als Tutorialpassage. Neben der Bewegungssteuerung steht der Kampf gegen simulierte sowie anschließend echte Gegner an. Ist das geschafft dürfen wir uns erstmals auf die Socken zum Hauptquartier der Runnertruppe und Heim von Ziehvater Noah begeben. Weil wir ja ein wenig eingerostet sein könnten steht nun erstmal ein kleines Pflichtprogramm in der Oberwelt an. Der Begriff ist übrigens gleich doppelt passend. So besuchen wir den ehemaligen Runner Birdman und absolvieren einen ersten Dash. Was ist das denn? Dash’s sind eine von vielen Nebentätigkeiten. Im Prinzip geht es dabei immer darum, am schnellsten von A nach B zu gelangen. Beim Dash rennt man allerdings um eine möglichst hohe Sternewertung und gegen Onlinezeiten anderer Spieler.

Und warum eigentlich Oberwelt? Auch wenn Catalyst als Open World Mirror's-Edge-Catalyst (5)bezeichnet wird, der Begriff ist nur halb passend. Sämtliche Hauptmissionen haben ihr eigenes Areal, in der Welt auf den Dächern (und Baustelle sowie Kanalisationsanlagen) finden sich dagegen eine ganze Reihe verschiedenster Nebentätigkeiten. So müssen Pakete möglichst schnell abgeliefert werden, Dash’s und von anderen Spielern erstellte Time Trials können absolviert werden, es gibt eine Reihe unvermeidlicher Sammelobjekte und mehr. Einige spezielle Aufgabentypen können für Freunde erledigt werden. Graffitikünstler und Kumpel Nomad etwa bittet uns, Funktürme zu deaktivieren. Immerhin müssen die gar nicht erst erklommen werden.

Besser du rennst

In der ‘Open World’ liegt dabei Licht und Schatten gleichzeitig. Wer Mirror’s Edge nicht gespielt hat wird sich daran vielleicht nicht stören, das geniale Pacing des Vorgängers geht Catalyst aber gerade in der Oberwelt oft verloren. Gerade zu Spielbeginn manövriert man sich schnell mal in eine Sackgasse weil Ausrüstungen und Moves noch fehlen. Und auch wenn man überraschend viele Punkte erreichen kann, so ganz perfekt durchdesigned sind die offenen Gebiete im Vergleich zu linearen Level nun mal nicht. Ironischerweise kann das Gebiet gleichzeitig durch freie Erkundbarkeit und die gesammelten Nebenaufgaben glänzen. Selbst Sammelkram suchen und einsacken kann so überraschend viel Spaß machen, einfach weil man eben seinen Weg findet. Die Nebenaufgaben können dabei auch überraschend fordernd sein, einerseits sind die Zeitlimits knackig, andererseits zeigt die Runner Vision nicht unbedingt den schnellsten Weg. Gerade in der offenen Welt zeigt sich hier auch ein Knackpunkt der überarbeiteten Runner Vision. Die ist nämlich wesentlich mächtiger als früher und verleitet noch mehr dazu, stur der roten Spur zu folgen. Ganz ohne die Navigationshilfe manövriert man sich dagegen schnell in eine Häuserschlucht, zumindest bis man Glass sehr genau kennt. Und das kann geraume Zeit dauern.

Mirror's-Edge-Catalyst (13)Leider übernimmt Catalyst hier auch direkt eine Untugend anderer Open World Titel, nämlich die leidigen Upgrades. Das mag bei einem Far Cry eher weniger stören. Bei Mirror’s Edge wirkt es allerdings völlig deplatziert. Das größte Problem sind dabei Moveketten, die in diesem Spiel schlicht und ergreifend Basisabläufe sind. Aber auch Kampffertigkeiten und Ausrüstung lassen sich upgraden. Da wäre einerseits der Disruptor, der Lüfter abschalten kann und andererseits das MAG Rope, mit dem man sich über Abgründe schwingen, hochziehen, Hindernisse aus dem Weg und Leitern runterziehen kann. Bin ich Batman? Tatsächlich erinnert das MAG Rope ein wenig an die Kletterhilfe des schwarzen Ritters aus der Arkham Reihe. Allerdings wird sie bei Mirror’s Edge Catalyst weit weniger exzessiv genutzt und fügt sich weitestgehend in den Spielfluss ein. Anders sieht das mit dem Disruptor aus. Einen gewissen Nutzen hat es zwar im Kampf. Lüfter abzuschalten, und das nicht nur ein Mal sondern immer und immer wieder, ist dem Flow allerdings nicht gerade zuträglich.

So ganz anders sieht es zum größten Teil in den Hauptmissionen aus. Catalyst ist plötzlich zu fast 100% Mirror’s Edge. Zum einen liegt das daran, dass die linearen und meist sehr schnell schaffbaren Areale einfach sauberer durchdesigned sind, zum anderen wird man nicht durch fehlende Upgrades ausgebremst. Hier fühlt sich Catalyst einfach sehr nach dem Vorgänger an und die Inszenierung wirkt einfach mehr auf den Punkt. Dennoch gibt es oft mehr als einen Weg. Auch das wird Runnerveteranen bekannt vorkommen, gab es doch bereits im Vorgänger Abkürzungen und Alternativrouten bei denen jedes Navi streiken würde. Vielleicht liegt es daran, dass ich Mirror’s Edge mittlerweile zu gut kenne und die Catalyst Areale noch wenig vertraut sind, unterm Strich bleibt das Gefühl, dass die Areale des Vorgängers etwas durchdachter und fließender schaffbar sind.

Element des Verbrechens …

… sind die Runner, wenn es nach den Konsortien geht. Mirror's-Edge-Catalyst (9)Und das gilt ganz besonders im weiteren Spielverlauf. Vielleicht haben sie damit auch nicht so ganz unrecht, immerhin haben manche Runs durchaus zwielichtige Hintergründe. In jedem Fall hat es KSEC immer mehr auf uns abgesehen, da heißt es Flucht oder Kampf. Die Flucht funktioniert dabei fast immer, einige Kämpfe sind aber unvermeidliches Pflichtprogramm. Das überarbeitete Kampfsystem funktioniert dabei an sich ziemlich gut, auch wenn leichte Angriffe gegen verschiedene Gegner mehr oder minder wirkungslos sind. Immerhin kann Faith auch treten wie ein Pferd. Sprich, es gibt auch starke Angriffe, die wir gegen verschiedene Gegnertypen weit häufiger benutzen. Das ganze kann wirklich Spaß machen, auch wenn mich persönlich bis Spielende störte dass Tritte nicht mehr auf dem rechten Trigger liegen. Vielleicht bin ich zu sehr Gewohnheitstier. Was nicht mehr geht, Gegner entwaffnen und die eigenen Ballermänner gegen die bösen Buben verwenden. Das Gunplay in Mirror’s Edge wurde viel kritisiert, ob nun zurecht könnte man hervorragend drüber streiten. In der Praxis finde ich es schade, dass hier eine Option der Konfliktbewältigung einfach komplett gestrichen wurde. Auch wenn ich sie selten genutzt habe. Beides Kritikpunkte werden Neulinge kaum stören. Der schablonenhafte Aufbau der wenigen Pflichtkämpfe womöglich schon eher. Es hat zumindest mir deutlich mehr Spaß gemacht, Gegner auf den Hausdächern einfach so zu vermöbeln. Das gilt ganz besonders im Vergleich zu einem Kampf gegen Ende des ersten Storydrittels.

Back to the Start

Die Handlung und vor allem der Storyreset sind dabei ein Thema für sich. Mirror’s Edge wurde fleißig für seine Handlung kritisiert. Warum ist mir persönlich bis heute nicht wirklich klar. Sicher war es nicht besonders einfallsreich oder allzu ausgefeilt aber die Geschichte funktionierte im Rahmen des Spiels. Es war nicht die dümmste Idee das große Ganze in eine Handlung auf persönliche Ebene zu setzen.

Mirror's-Edge-Catalyst (3)Nichtsdestotrotz fängt Catalyst bei Null an. Zwar gibt es eine Reihe vertrauter Elemente, Faiths Eltern starben nach wie vor bei den Novemberaufständen, die Runner übertragen Nachrichten und dergleichen. Auch Elemente wie die Scherbe tauchen reihenweise wieder auf. Und natürlich spielt totale Überwachung wieder eine ganz massive Rolle. Ohne zu viel verraten zu wollen, schafft es die gesamte Haupthandlung aber weder einfallsreich noch überraschend daher zu kommen. Einen der größten Storytwists spoilert DICE dann nahezu direkt durch etwas übertriebene Farbsymbolik. Dem Aspekt der Überwachung und Kontrolle wird auch nichts wirklich Neues abgewonnen. Auch das wesentlich umfangreichere Personal stellt keine echte Verbesserung dar. Das liegt teils schlicht an der Klischeehaftigkeit der Figuren. Die Handlung mag nicht außergewöhnlich schlecht sein, allerdings bleibt sie letztlich ausgesprochen banal. Das kennt man alles schon längst, vor allem kennt man aber mindestens eine bessere Variante. Auch die Nebenmissionen reißen das nicht gerade raus. Können die sammelbaren Tonaufnahmen, die einiges über die jüngere Geschichte von Glass erzählen noch punkten wird es bei manchem Lieferjobs dezent absurd. Warum bitte muss diese blöde Statue auf den Punkt genau in spätestens einer Minute und elf Sekunden ausgeliefert sein? Nicht dass entsprechende Aufträge völlig spaßfrei wären. Ganz im Gegenteil. Die besten Wege in der Oberwelt suchen macht Laune. Aber die verdammte Blume wird auch in einer halben Stunde noch ok sein, wenn die Austern in fünf Sekunden um sind, würde ich die jetzt schon nicht mehr essen und überhaupt.

Immerhin schafft Catalyst bei allen Storydefiziten genau das wieder, was Mirror’s Edge für sich in Anspruch nehmen kann. Mich mit der ganz eigenen Atmosphäre wieder komplett in Beschlag zu nehmen.

Licht und Schatten…

… findet man auch auf technischer Seite. Soundmäßig bietet Mirror’s Edge Catalyst dabei nicht viel Raum zur Kritik. Die Elektrosounds passen nach wie vor und es finden sich auch einige Mirror's-Edge-Catalyst (7)Remixes des Mirror’s Edge Soundtracks. Passender Weise steht im Runner Hauptquartier auch direkt eine Jukebox. Auch seitens der Effekte macht es nichts verkehrt. Großes Krach-Bumm gibt es natürlich eher nicht, wie schon beim Vorgänger passt die Soundkulisse aber perfekt zum Spiel. Etwas anders sieht es bei der Sprachausgabe aus. Der englische O-Ton wirkt im Vergleich mit anderen EA Spielen zwar nach wie vor professionell, stellenweise aber lustloser als gewohnt. Auch die deutschen Sprecher schwanken etwas.

Schwieriger sieht es an der Grafikfront aus. Das Artdesign kann voll und ganz überzeugen, ist allerdings auch wieder eine “Lieben oder Hassen” Geschichte. Dabei bewegt sich Catalyst etwas mehr in Richtung Sci-Fi als der Vorgänger, der mal moderne aber gewöhnliche Umgebungen, dann wirklich ausgefallene Architektur zeigte. Logisch und funktional wirkte die Oberwelt allerdings nicht immer. Wohl ein klarer Kompromiss in Richtung offener und abwechselungsreicher Umgebung. Auch die Animationen machen immer noch viel her, was für NPC’s leider weniger gilt. Gegnertypen sind innerhalb einer Klasse praktisch immer identisch, während andere Runner oder Auftraggeber außerhalb der Cutscenes oft erschreckend detailarm aussehen. Sieht man mal von den damaligen Betonfrisuren ab überzeugt der Vorgänger in diesem Punkt oft mehr, und der hat nun schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Über andere aktuelle Egospiele wie Far Cry 4 möchte man da lieber gleich den Mantel des Schweigens hüllen. Ebenfalls auf der Negativseite stehen manch matschige Textur und immer wieder auftretende Pop-Ins. So kann ein platter Pixelbrei mal sehr plötzlich und ebenso spät in einen schicken Schutthaufen auf Betonboden verwandelt werden. Davon allerdings sind vor allem die Open World Abschnitte betroffen, während entsprechende Probleme in den linearen Hauptmissionen seltener vorkommen. Ganz allgemein wirkt das Bild vergleichsweise weich und unscharf. Ganz besonders gilt das bei der Xbox One Fassung, die wieder in 720p läuft. Schuld dürfte wohl das Post Processing Antialiasing sein, das immerhin für Flimmerarmut sorgt.

Pluspunkt dagegen sind sehr solide 60 Bilder pro Sekunde. Man kann nahezu jeden Punkt erreichen und an einigen Stellen hat man tatsächlich einen sagenhaften Überblick über die Stadt. In seiner Gesamtheit sieht es dann auch schließlich und endlich oft doch gut aus. Ein ganz anderes Kaliber sind die Zwischensequenzen. Wurden die bei Mirror’s Edge oft kritisiert weil es recht schlicht gehaltene Animationen waren präsentiert der Nachfolger vorgerenderte und durchweg schicke Cutscenes.

Frei zu sein…

…hat nicht immer Vorteile. Das merkt man Mirror’s Edge Catalyst manchmal auch an. Womöglich mehr wenn man den Vorgänger kennt. DICE hat zwar viele alte Schwächen behoben, teils auch schlicht umgangen. Dabei wurden aber auch neue Fehler gemacht. Catalyst macht nicht alles richtig und manches vielleicht sogar schlechter als Mirror’s Edge seinerzeit. Gleichzeitig macht es vieles eben doch richtig und manche Neuerung funktioniert blendend. Knackpunkt dürfte letztlich der Open World Part sein. Entweder man mag ihn und all die Möglichkeiten die es mit sich bringt oder man sieht primär die Schwächen. Dazwischen gibt es nicht viel.

Fazit

Michael: Dice kann es mir anscheinend einfach nicht so ganz recht machen. War mir Mirror’s Edge manchmal zu eingeschränkt ist Catalyst stellenweise zu offen. Vielleicht liegt der perfekte Mix am Ende genau dazwischen. Davon ab hatte ich dennoch reichlich Spaß mit Mirror’s Edge Catalyst und letztlich dürfte gerade die Oberwelt mit ihren Herausforderungen und Nebenbeschäftigungen dafür sorgen, dass es in der nächsten Zeit immer wieder in meinem Laufwerk landet. Und vielleicht muss ich auch nicht ganz so lange auf ein Sequel warten, dass das beste von beiden kombiniert. Dann aber bitte ohne weiteren Story Reboot.

Koecki: Als der erste Teil von Mirror’s Edge rausgekommen ist, hatte ich ihn nur kurz angespielt. Da ich damals eh nicht so viel gezockt habe ist er bei mir irgendwie durchgefallen und nicht hängen geblieben, wodurch ich mich getrost als Mirrors Edge-Neuling bezeichnen kann. Vielleicht sollte ich den ersten Teil aber mal nachholen, denn Catalyst hat mich trotz meiner Skeptik schnell gepackt. Der “cleane” Look, den man ja auch schon aus dem ersten Teil kannte, gefällt mir richtig gut und die Steuerung ging schnell in Fleisch und Blut über, so dass ich nach kurzer Zeit ohne viel nachzudenken durch die offene Welt in Parcour-Manier flitzte. Zwar ist das Kampfsystem etwas gewöhnungsbedürftig, aber wenn man will, kann man den meisten Kämpfen auch aus dem Weg gehen. Insgesamt ein wirklich packendes und gutes Spiel, welches mir sehr viel Spaß gemacht hat.

Mirrors Edge Catalyst
Grafik/Präsentation
84
Story/Atmosphäre
79
Gameplay
87
Spielspaß
85
Leserwertung0 Bewertungen
0
84