RetroGames e.V. – Ein Games-Museum zum Anfassen

Retro ist In. Ob Hipster-Mode, Plattenspieler, die (nicht enden wollenden) Remake-Welle im Kino oder neue Alben von Rock-Großvätern. Der Nostalgie-Medien-Flut sind keine Grenzen gesetzt, vielmehr festigt sich bei einigen Produkten der Verdacht, dass das Gebiet kommerziell ausgeschlachtet wird und das „Früher war alles besser“ ausgenutzt wird, um schnellstmöglich schnellsteinfach Geld zu scheffeln. So fällt es insbesondere in der Indie-Games-Szene auf, dass (wohlgemerkt nur einige) schwarze Schafe unter dem Deckmantel der Pixeloptik und 8-Bit Sound-Kulisse eher schlechte als rechte Spiele in der Hoffnung raushauen, mit der Retro-Kultur auf Kundenfang gehen zu können. Gerade bei Games spielt Retro eine spannende Rolle, denn während andere Medienformen schon die ein oder andere Wiedergeburt erlebt haben, erscheint sie bei Videospielen doch noch als ein neues Phänomen. Das mag sicher zum einen mit der Zeitspanne selbst zusammenliegen. Seit Nolan Bushnells erstem kommerziellen Gang mit dem Pong-Arcade-Automaten (das war eigentlich der zweite, aber das ist eine andere Geschichte… Anm. d. Red) sind 45 Jahre vergangen. Die Hardcore-Gamer, die seit den 70er Jahren dabei sind, erleben demnach gerade ihr erstes „Heimweh“ und den Wunsch nach „Rückkehr“ (was nostalgia im Griechischen bedeutet) zu ihren kindlichen Schätzen. Zum anderen ist Nostalgie zeitunabhängig und ein Lebensgefühl. Wenn junge Leute Tetris oder Mario-T-Shirts tragen, Minecraft mit traditioneller Pixeloptik glänzt und Nintendo ihre erste Heim-Konsole NES von 1983 in 2016 erfolgreich als Mini Version rausbringt, dann haben die wenigsten der jungen Generation die Optik oder die Medien jener Zeit selbst miterlebt. Ungeachtet des ganzen Treibens um Retro gibt es jedoch Organisationen und Vereine, die sich dem verschrieben haben, was retro bedeuten sollte: Bewahren, Erhalten, Pflegen und Genießen. Der Verein RetroGames e.V. in Karlsruhe hat sich diesen Credos in Bezug zur Kultur der elektronischen Videospiele verschrieben und setzt sich mit dem Motto „Anfassen ausdrücklich erlaubt!“ von herkömmlichen Museen ab: jeder, der ausgestellten Arcade-Automaten und Flipper aus über 40 Jahren Videospielgeschichte darf angezockt werden, um den Geist vergangener Gamertage wieder aufleben zu lassen.

Es begann mit einer Schnapsidee

©RetroGames e.V.

Während viele aktuell (2017) das neue Zelda: Breath oft the Wild auf der Handheld-Heimkonsolen Kombo Nintendo Switch zocken oder die unglaublich detaillierte, phantastische Open World von Horizon Zero Dawn auf der PS4 genießen, muss geneigter Gamer sich erneut vor Augen führen, dass jene abenteuerliche Entwicklung der Videospiele einmal mit gewaltigen Arcade-Automaten begann, die mit rund 2 Meter Höhe und mehreren hundert Kilo Gewicht zu Buche schlugen und für den heimatlichen Gebrauch eher ungeeignet waren. Im Gegenteil: diese Spiele-Maschinen standen in der Öffentlichkeit und waren auch als solche ausgelegt, in Supermärkten, im Sportverein, Kaufhäusern, an Tankstellen oder in riesigen Spielhallen. Wer diese lauten, buntleuchtenden Freudespender noch nie im öffentlichen Raum gesehen hat und die Vermutung hat, dass diese schöne Zeit dann wohl leider vor einem stattgefunden hat, der mag einerseits recht haben, andererseits kann es auch einfach so sein, dass ihm die deutsche Rechtsregelung zuvorkam.

„Seit März 1985 durften in der Bundesrepublik Deutschland keine Arcades mehr an öffentlichen Plätzen ausgestellt werden“, sagt Mario Berluti, 2. Vorstand bei RetroGames e.V. und seit zehn Jahren im Verein. „Damit konnte man diese Geräte nur noch in Spielhallen und Freizeitparks sehen und anspielen. Und das erst ab 19 Jahren.“

Die BRD war das einzige europäische Land, das sich aufgrund von möglicher Spielesuchtgefahr und dem damit verbundenen Geldverlust (die Automaten liefen per Münzeinwurf) dazu entschied, den Zugang zu großen Spielekisten einzuschränken. Ebenso spielten für diese Entscheidung zum Teil gewalttätige Spiele auf den Automaten eine Rolle. Erst heute mit einigem Abstand lässt sich absehen, wie folgenreich dieser Entschluss war. Während in anderen europäischen Ländern und den USA in den 70er und 80er Jahren die Videospielkultur ihren durschlagenden Anfang nahm und auch in anderen Medien wie Film prägend für die Zeit war (berühmt ist beispielsweise Flynn’s Arcade in dem Film Tron), hängt Deutschland in der Hinsicht hinterher, da der Videospielboom erst mit dem Aufkommen der Heimkonsolen begann.

Die Gründungsmitglieder von RetroGames entstammen jener Generation aus Arcade-Veteranen, die vor diesem Gesetz die Ursprünge der Videospielgeschichte miterlebt haben und gerade dieses Gefühl wieder aufleben lassen wollten. Doch das kam alles später, am Anfang bestand die Schnapsidee lediglich darin, einfach mal wieder die alten Spiele zu zocken.

„Das war 2002 gewesen“, sagt Mario. „Wir hatten das Gefühl, dass in Deutschland nirgendwo mehr Automaten vorhanden waren, daran wollten wir etwas ändern.“

Eine kommerzielle Geldspielhalle stand den Gründern nicht im Sinn, daher traf es der Zufall gut, dass sie einen Automatenaussteller in Raum Karlsruhe fanden, der ihnen anbot, im Falle dessen, dass sie sein altes Lager saubermachten, die alten Automaten behalten dürfen. Wieder führte der starke Arm des Gesetzes dazu, dass es überhaupt zu dieser Situation kam. Denn der Automatensteller wollte seine alten Maschinen schnellstens loswerden, da ab 2000 ein neues Verschrottungsgesetz in Kraft getreten ist, bei dem jede Entsorgung beim Schrotthändler einiges an Geld gekostet hätte. Dem wollte der Aussteller entgehen, da traf es sich gut, dass die ursprünglichen Mitglieder von RetroGames nicht nur putzten, sondern 25 Automaten „entsorgten“ und damit letztlich vor der Zerstörung retteten.

Diese und viele andere kann man deswegen heute im Verein von RetroGames bewundern, die Ausstellung besteht inzwischen aus 70 lauffähigen Exponaten, im Lager befinden sich nochmal 100 Arcades.

Im Rausch der Spiele

©RetroGames e.V.

Was damals im Kleinen Rahmen begann hat sich schnell über Mundpropaganda verbreitet, die öffentliche Aufmerksamkeit für RetroGames ist über die Jahre angestiegen, im deutschen Raum, aber auch international ist der Verein vielen ein Begriff. Heute hat er 80 Mitglieder mit einem harten Kern in Karlsruhe, welche die Arcade-Automaten pflegt, instant hält, wartet und repariert. Der aber auch neue Geräte baut, was in Unikaten mündet. Die Zockergeneration ist breitgefächert, das Publikum teilt sich in Arcade- und Flipper-Liebhaber ein, es zeugt aber auch von einem besonderen Umstand, dass jüngere Generationen der Videospielkultur, sei es Konsolenspieler oder gar Smartphone-Jünger ihren Weg zu RetroGames finden.

„Sie möchten die Dinosaurier ihres Hobbys sehen“, sagt Mario. „Wir bei RetroGames sind auch Gamer der heutigen Zeit und gehen mit dieser mit, deswegen machen wir beispielsweise Nintendo Streetpass Days, es gibt Gildentreffen von World of Warcraft Spielern, VR-Abende, Unity Workshops, Bastel- und Reparaturtage, C64 Treffen, einen Brettspieltag zum Thema Videogames oder ein Podcast-Treffen. Zuletzt haben wir einen Nintendo Switch Day gemacht, um einmal Nintendos neue Konsole auszuprobieren.“

Jeden ersten Dienstag im Monat ab 19 Uhr und jeden Samstag ab 20 Uhr öffnet RetroGames für das Publikum die Pforten und allein das Erlebnis in der brechend vollen Halle, das funkelnde Lichtermeer der Automaten, das Dröhnen der Geräte mitsamt der Mischung aus Dutzenden zugleich ablaufenden Spielen und dem Aufjauchzen der Gamer, allein dafür lohnt sich ein Besuch. Es bedeutet einen Unterschied, daheim vor seinem Gerät zu zocken, entweder allein, mit seinen Kumpels oder online, als wenn man unter dutzenden anderen seinem Hobby in einer Spielhalle nachgeht. Es hat beinahe Clubatmosphäre, in RetroGames zocken zu gehen. Gedämmtes Licht, funkelnde Lampen, der Rausch der Automaten, die Anfeuerungs- und Freuderufe der Gäste – und wenn obendrein noch Musik aus den 80ern aus den Boxen tönt und eine Disko-Kugel ihre Runden dreht, bekommt der Begriff Gaming eine ganz neue Bedeutung. Ein Besuch durch die Automatengänge erzeugt das Gefühl wie beim Durchstöbern einer Schatzkiste, überall gibt es etwas zu entdecken. Das Ganze endet rasch in einen intensiven Flow, sodass es plötzlich spät nach Mitternacht sein kann und man sich fragt, wo die Zeit geblieben ist, man doch eigentlich nur kurz spielen wollte.

Auf Schatzjagd durch die Videospielgeschichte

©RetroGames e.V.

In RetroGames kann man neben den üblichen Verdächtigen der Videospielgeschichte auch einige besondere Unikate vorfinden.

„Unsere Ausstellung ist statisch“, sagt Mario. „Wir versuchen für unsere Gäste immer die typischen Klassiker anzubieten, wie Donkey Kong, Asteroids, Missile Command, Centipede, Pacman, Frogger, Tron, Gauntlet oder Space Invaders, da viele eben damit Arcades verbinden. Andererseits wechseln wir die Ausstellung regelmäßig und versuchen immer etwas Neues. Allgemein sehen wir uns als Hafen für Videospiele aller Art.“

So kann man in RetroGames auch wahre Schätze vorfinden, von denen es auf der Welt kaum noch Exemplare gibt. Beispielsweise den Computer Space (übrigens Nolan Bushnells tatsächlich erster Videospiel-Automat, Anm. d. Red.), den ersten münzbetriebenen Arcade-Automaten der Welt von 1971. Das gelbe Modell, das in RetroGames steht, gibt es im Ganzen nur 20 Mal auf der Welt. Des Weiteren gibt es auch den einzigen Videospielautomaten der damaligen DDR, den Poly Play, zu bewundern, dessen Exemplare nach der Wende fast vollständig verschrottet wurden.

Natürlich sind jedoch alle Ausstellungsobjekte Schätze. So hat der geneigte Spieler in der Auswahl an 70 Automaten die Qual der Wahl zwischen den frühen Beat’em‘ Ups wie beispielsweise Mortal Kombat, Killer Instinct oder Street Fighter, Rennspielen wie Outrun, diversen Star Wars Automaten, aber auch einigen Konsolen wie Sonic für den Sega Mega Drive sowie Koop-Automaten wie The House of the Dead. Bei den Flipper-Maschinen reicht die Palette von einer Terminator 2 Maschineüber Indiana Jonesbis zu einer KISS Variante. Wer genau wissen möchte, welche Games sich in der Sammlung befinden, der kann sich auf der Internet-Seite erkundigen, wo sich nicht nur eine umfangreiche Liste der Exponate befindet, sondern gleich passend dazu ein informativer Text mit allen Details zu dem jeweiligen Arcades.

Letztlich lohnt sich ein Besuch bei RetroGames nicht nur wegen der freundlichen, familiären Umgebung, sondern auch, um sich neben sein Hobby allgemein über alle möglichen Geek-Themen auszutauschen.

„Wir sind alle mit der Kultur großgeworden“, sagt Mario. „Wir sind alles Nerds, bei uns redet man über Star Trek genauso wie über Star Wars, Comics, Filme und Bücher.

Was damals als Schnapsidee begonnen hat, um mal wieder einige Arcades zu zocken, ist ein etablierter Verein geworden, der sich gar in der Pflicht sieht, die Geschichte der Videospielkultur zu bewahren. 2017 feiert RetroGames sein 15-jähriges Bestehen. In der weiteren Planung für die Zukunft will der Verein seine Ausstellung erweitern und neue Räumlichkeiten erschließen. Des Weiteren ist es das Ziel, die nächste Generation der Gamer, die Konsoleros, mehr zu fördern, indem die ganze Konsolen-Palette von Nintendo, Sega, Sony, Microsoft, Atari und Co. einen Platz in der Sammlung findet.

Infos:
RetroGames e.V.
Gablonzer Str. 11
76185 Karlsruhe

Telefon: 0721/66530655
E-Mail: [email protected]
Homepage: http://www.retrogames.info

Am 1. Dienstag eines Monats ab 19 Uhr und jeden Samstag ab 20 Uhr öffnet RetroGames e.V. für Publikum.